Kopfüber schwingt Frida an der roten Hängesitzschaukel. Ein ausgesprochen sportliches Mädchen, das sich sichtlich freut, in dem naturbelassenen Garten im wahrsten Sinne des Wortes abzuhängen. Ihr achtjähriger Bruder Joakim saust daneben die blaue Rutsche runter. Eine Idylle. Nur, wer es weiß und genau hinschaut, kann die lange, kaum sichtbare Narbe auf Fridas Bauch sehen, als kurz ihr T-Shirt hochrutscht. Die Elfjährige hat eine schwere Krebserkrankung hinter sich. 2021 war bei ihr ein bösartiger Tumor im Bauch entdeckt worden.
„Die Leichtigkeit ist weg, unser Urvertrauen.“
Carmen Rauh
Die Diagnose veränderte das Leben der Familie völlig. Bis heute. Es ist ein Schatten da, eine Angst oder, wie es Fridas Mutter Carmen Rauh ausdrückt: „Die Leichtigkeit ist weg, unser Urvertrauen.“ Doch die Erkrankung verstärkte auch Positives in der Familie: den Zusammenhalt, die tiefe Dankbarkeit für schöne Momente. Das Motto von Familie Rauh, es steht in geschwungener Schrift über dem großen Kalender in der gemütlichen Wohnküche des Hauses im Landkreis Augsburg: Lebe frech, wild & wunderbar.
Ein Motto, das auch gerade Frida überzeugt, passt es doch gut zu Pippi Langstrumpf, die ihr in den schwersten Stunden ihrer Erkrankung arg geholfen hat. „Lesen konnte ich damals ja noch nicht. Da habe ich viele Filme geguckt“, erzählt sie. Frida ist ein zartes Mädchen, ein sensibles, aber auch ein selbstbewusstes. Sie weiß, was sie will – und was nicht. Das spürt man, wenn man mit ihr spricht. Von ihr kommen Sätze, die einen zunächst stutzen lassen: „Ich hatte eigentlich das ideale Alter für so eine Erkrankung“, sagt sie und schaut einem direkt in die Augen: „Ich war nicht mehr so klein, dass ich gar nichts verstanden habe. Die ganz Kleinen weinen viel. Die älteren Kinder, so ab neun, zehn Jahre, die denken wiederum schon zu viel und haben dann auch große Angst. Ich war so dazwischen, das war genau richtig.“ Zu ihren Eltern hat sie mal gesagt: „Warum seid ihr Erwachsenen alle so verspannt? Lasst doch mal uns Kinder machen!“
Angst vor einem Rückfall hat sie heute eigentlich keine, sagt Frida. Sie habe auch kaum Einschränkungen mehr, müsse nur aufpassen, dass sie keinen Schlag in den Bauch abkriegt. Was sie nervt: wenn andere pauschal negativ über Krankenhäuser sprechen oder aus jeder Mücke einen Elefanten machen – Frida hat schließlich schmerzhaft erfahren müssen, was es heißt, wirklich krank zu sein. Sie hat auch erlebt, dass im Krankenhaus alles getan wird, um gerettet zu werden: Frida und ihre Eltern fühlten sich im Schwäbischen Kinderkrebszentrum der Universität Augsburg, bei Direktor Professor Michael Frühwald und seinem Team, bestens aufgehoben. Das betonen sie immer wieder.
Frida wollte alle OP-Bilder sehen
Was Frida auch auszeichnet, ist ein feines Gespür, wie es Gleichaltrigen geht. Da hakt sie gerne nach, erzählt sie. Fragt, wenn jemand sagt, dass er Schmerzen hat, wie stark sie sind, auf einer Skala zwischen null und zehn, und ob sie eher drücken oder stechen. Auch die Ärzte habe sie immer wieder gelöchert, warum sie beispielsweise jetzt in den rechten Arm piksen und nicht in den linken und was genau auf dem Ultraschall zu sehen ist. „Frida hat sich auch alle Bilder nach ihrer achtstündigen OP angesehen“, erzählt ihr Vater. „Sie wollte genau wissen, was in ihrem Körper abläuft.“
Fridas Neugierde, ihre Gelassenheit, ihre Haltung beeindrucken. Sie hat aber auch das Glück, in einer sehr empathischen Familie aufzuwachsen: Carmen und Georg Rauh versuchen sich nicht nur selbst immer wieder bewusst zu machen, wie wertvoll jeder Augenblick ist. Sie wollen auch anderen Betroffenen beistehen. Viele Familien, in denen Kinder an Krebs erkranken und geheilt werden, wollten das Kapitel schnell schließen und nichts mehr davon hören, erzählen sie. Doch sie selbst hätten so viel Unterstützung erfahren, haben erlebt, wie unverzichtbar die Arbeit von Vereinen wie etwa dem Förderkreis für krebskranke Kinder im Allgäu und dem „Bunten Kreis“ ist, wie stärkend Gespräche mit betroffenen Eltern sind, dass sie allen, die so eine Diagnose verkraften und mit ihr umgehen müssen, ermuntern möchten, sich helfen zu lassen. Carmen Rauh engagiert sich daher etwa auch im Elterncafé des Förderkreises für krebskranke Kinder im Allgäu.
„Ich bin nicht nur ohnmächtig allem ausgeliefert, wir können aktiv werden und agieren.“
Carmen Rauh
Zumal nicht nur die passgenaue Therapie den Krebs besiegt, wie ihnen eine Expertin der Kinderonkologie erklärt habe: „50 Prozent macht die Behandlung aus, 50 Prozent aber, wie man mit der Krankheit umgeht.“ Das sei eine so wichtige Botschaft für sie gewesen, sagt Carmen Rauh: „Denn das bedeutete für mich: Ich bin nicht nur ohnmächtig allem ausgeliefert, wir können aktiv werden und agieren.“
Doch viele betroffene Eltern stünden so unter Schock, dass sie sich verschließen. Dabei wissen Carmen und Georg Rauh nur zu gut, wie unvorstellbar viel Kraft die Krebserkrankung des eigenen Kindes kostet, an welche Belastungsgrenzen sie Eltern rasch führt, welche Abgründe sich auftun, wie es auch die Beziehung herausfordert. Umso wichtiger finden Carmen und Georg Rauh, dass die Familien mehr echte Anteilnahme erfahren. „Viel mehr Offenheit wäre bei dem Thema Krebs so wichtig“, betont Carmen Rauh.
An diesem Wochenende findet ein Sport-Aktionstag statt
Die Lehrerin für Mathematik und Sport organisiert daher am Wochenende auch ein Praxis-Seminar an ihrer Schule, dem Paul-Klee-Gymnasium in Gersthofen im Landkreis Augsburg. Elftklässler bieten für Kinder in der Nachsorge, ihre Geschwister und Freunde einen Sport-Aktionstag an. Anmelden konnten sich Kinder aus ganz Bayern. Veranstalter sind das Schwäbische Kinderkrebszentrum und das Netzwerk „ActiveOncoKids“, ein Zusammenschluss von Sporttherapeutinnen und -therapeuten. Denn gerade die Sporttherapie, die von dem Verein „Glühwürmchen“ finanziert werde, hilft krebskranken Kindern enorm. Noch heute schwärmt Frida von Sporttherapeutin Christina Schuster, die mit ihr auf der kinderonkologischen Station des Uniklinikums Augsburg von Anfang an sportlich in Bewegung war. Gerade wer Frida damals gesehen hat, wie sie in den Gängen der Klinik Bälle geworfen und gefangen hat, kann das unermessliche Glück fassen, sie nun so unbeschwert im Garten herum turnen zu sehen.
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