
Denn die Redner, die vorher nicht festgelegt waren, sondern spontan ans Mikrofon traten, hätten doch erneut die tiefe Verwurzelung der europäischen Idee in allen Schichten der Bevölkerung gezeigt. Siegel zitierte an diesem ersten schönen Frühlingstag nach langem Schlechtwetter aus Goethes Osterspaziergang („Vom Eise befreit sind Strom und Bäche ...) und erinnerte daran, dass Deutschlands großer Gelehrter und Dichter ein Kosmopolit gewesen sei, der vor über 200 Jahren seine berühmte Italienreise unternommen habe.
Siegel riet den heutigen jungen Menschen, sich wie Goethe in Europa umzuschauen und zu erkennen, dass überall liebenswerte Menschen leben: „Liebe Kinder, Enkel, Urenkel, schaut Euch um in Europa, nehmt Euch ein Interrail-Ticket oder das Auto Eurer Eltern ...“.
Die zweite Demo „Pulse of Europe“ in Sonthofen fand – wie gleichzeitig in vielen anderen Städten Deutschlands – genau zwischen der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl und der Stichwahl in einer Woche statt.

Deshalb griffen diesen Aspekt mehrere Redner auf. So sagte Gabriele Strunk aus Kempten, die seit 1955 zum Teil mehrmals pro Jahr nach Frankreich reist und dort viele Freunde hat: „Ich glaube, ich könnte nicht mehr rüberfahren zu Marine le Pen.“ Die Chefin des europafeindlichen und rechtsextremen Front National ist eine von zwei Kandidaten in der Stichwahl.
Den Deutschen die Hand gereicht
„Vive la France“ (Es lebe Frankreich) rief auch Fritz Fäßler aus Ofterschwang, der seit einiger Zeit in Sonthofen wohnt. Er hat als sechsjähriger Bub erlebt, wie 1945 die Spitalkirche in Sonthofen in Blickweite Platzes, wo sich die Menschen jetzt zum „Pulse of Europe“ trafen, in Schutt und Asche lag. Fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sei es mit dem damaligen französischen Außenminister Robert Schuman ein wahrer Europäer gewesen, der den verhassten Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht habe.
Fäßler rief auf der Kundgebung: „Haltet Emmanuel Macron die Daumen, dass er die Präsidentschaftswahl gewinnt. Vive la France, vive l’Europe!“ Macron hat mit seiner Europa-freundlichen Partei „En Marche“ (Auf dem Weg) gute Chancen, die Wahl zu gewinnen.
Die nächste Kundgebung „Pulse of Europe“ findet auf dem Sonthofer Spitalplatz am Sonntag, 28. Mai, um 14 Uhr statt.
Eine bewegende Rede hielt die 90 Jahre alte Schauspielerin Eva Schroer aus Rettenberg. Sie hat den Krieg erlebt und Verwandte im Konzentrationslager verloren. So etwas dürfe nie wieder geschehen – und dafür sei ein vereintes Europa der einzige Garant. Ähnlich äußerte sich Andreas Fisel aus Fischen. Vor 30 Jahren half er, in Verdun die Gräber von Tausenden gefallener Soldaten instand zu setzen. „Seit 70 Jahren ist Europa das größte Friedensprojekt“, sagte Fisel. „Lassen wir uns das nicht kaputt machen!“
Weshalb auch die Redaktion der Allgäuer Zeitung den "Pulse of Europe" unterstützt, erfährst Du im Kommentar von Redaktionsleiter Uli Hagemeier.