
Ein Tattoo im Gesicht? Für Nicht-Tätowierte der reinste Horror. Die Aussicht auf mögliche Schmerzen, aber auch die krasse Optik schrecken sie ab. Anders ist das bei Veit Merath (36). Der gebürtige Memminger ließ sich mit 16 Jahren seine erste Tätowierung stechen.
Mittlerweile ist sein ganzer Körper mit vorwiegend mystischen Motiven verziert - auch an ständig sichtbaren Stellen, wie Hals, Augenbraue oder Kopf. Vor zwei Jahren ließ er sich seine bislang krasseste Tätowierung stechen.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein gemalter Bart, entpuppt sich als geheimnisvoller Schriftzug: "Pandämonium". Ein Ort, an dem sich in der Fantasy-Literatur, das schlimmste Übel befindet: Dämonen, Grauen. Und was hat das jetzt bitte im Gesicht eines Allgäuer verloren?
"Das Pandämonium ist das Schloss der Hölle. All das Böse ist da drin", sagt Veit Merrath und deutet auf seinen Kopf. Dann fügt er kichernd hinzu: "Aber es kommt nicht raus. Zumindest nicht bei mir. Ich habe mein Leben im Griff."

Das war nicht immer so, erzählt Veit Merath nachdenklich. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er im Internat und Heim, lernte die Gesetze der Straße kennen, nach denen sich der Stärkere durchsetzt - immer auf Kosten der Schwächeren. "Ich wurde gepiesackt und geschlagen. Später geriet ich auf die schiefe Bahn." Viele Jahre lang nahm der gebürtige Memminger Drogen (Ecstasy und Kokain), trank, versackte - und musste schließlich wegen Drogendelikten ins Gefängnis. Sein Leben an der Seite einer damals Herion-abhängigen Freundin fühlte sich in etwa an wie der Horror, den er sich auf den Körper stechen ließ. Mit Mitte 20 stand er vor einem Abgrund.

Doch dann, so erzählt er, geschah die Wende. Mit einer Gruppe von Freunden, die ebenfalls clean werden wollten, zog er von Memmingen nach Kempten. Er wollte nicht weg vom Allgäu. Er liebt den Anblick der Berge und die Natur. Aber er wollte endlich raus aus dem Sumpf. "Wir haben alle ein neues Leben angefangen. Ohne Drogen, sondern ganz normal. Ich bin total glücklich, dass ich den Absprung geschafft habe", sagt Veit Merath.
Seit sieben Jahren hat der Vogelspinnen-Fan einen Job als Produktionshelfer bei einer Firma für Kunststoffverarbeitung. Er sagt: "Ich liebe meine Arbeit. Sie ist meine Therapie. Die Leute sind super drauf. Man hat mir eine zweite Chance gegeben."
Um sich nicht um diese zu bringen, fragte er seinen Chef, bevor er sich den Pandämonium-Schriftzug tätowieren ließ. "Der konnte damit leben, so lange ich weiter meine Arbeit so zuverlässig mache." Die anderen Tattoos hatten sie in der Firma ohnehin schon alle gesehen.
Viele davon erinnern Veit Merath an einschneidende oder schlimme Erlebnisse. Den Kreuz tragenden Jesus hat er beispielsweise mit dem Sterbedatum seines Vaters unterschrieben.
Ein anderes Motiv verbindet er mit der schweren Krankenheit einer Angehörigen. Ein paar kleine Vögel an die Freiheit.
Die Tätowierungen sind wie ein Schlüssel zu seiner Lebensgeschichte. Mit jedem Kapitel kommen weitere hinzu. "Das ist wie eine Sucht. Deswegen rate ich auch jedem, sich das erste Tattoo sehr genau zu überlegen", sagt Veit Merath, der sich bislang um die 150 Stunden tätowieren ließ. Die Ergebnisse schrecken viele ab, andere finden sie faszinierend. Wie's halt so ist, mit der Kunst.
Manchmal wird Veit Merath darauf angesprochen. Zum Beispiel in einer Kneipe. "Wenn Du mir einen ausgibst, erzähl ich Dir alles", antwortet er Fragenden. Und fügt dann im Stile des Abstinenzlers hinzu: "Am liebsten ne Cola...."
Viele Tatoo-Motive haben Freunde für wenig oder kein Geld für ihn gestochen. Weitere dürften folgen. Wobei der Horror-und Fantasy-Fan die Lage durchaus realistisch betrachtet: "Viel Platz auf meinem Körper bleibt nicht mehr...."