Die „Große“, wie sie Bauer Jürgen Zettl liebevoll nennt, ist eindeutig ein weibliches Wesen. Schließlich hat sie schon 15 Kälber zur Welt gebracht. Doch, um ihre Bekanntheit zu verdeutlichen, zieht der 54-Jährige einen Vergleich zu einem Mann: „Sie ist wie der Jopi Heesters unter den Kühen,“ scherzt Zettl.
Der berühmte Schauspieler wurde 108 Jahre alt. Die „Große“ dürfte so bei 104 bis 106 Jahren liegen, würde man ihr biblisches Kuh-Alter von fast 20 Jahren mit einem Menschen vergleichen.
Und auch wenn sie seit 2015 im Ruhestand ist - also nicht mehr besamt wird und deshalb auch keine Milch mehr gibt - auf der Weide und im Stall ist die Ur-Ur-Ur-Großmutter noch immer die Chefin. Sie zeigt dem Jungvieh draußen, wo es die besten Gräser zu fressen gibt. Im Winter lernt sie den Nachwuchs im Laufstall an, damit er etwa weiß, wie er an frisches Trinkwasser kommt. Für die Familie steht auf jeden Fall fest: Ihr Gnadenbrot wird die „Große“ auf dem Grauvieh-Hof im Osterzeller Ortsteil Ödwang bis an ihr Lebensende bekommen.
Das Grauvieh: Rasse
Grauvieh ist nach Angaben von Züchter Jürgen Zettl die älteste Rinderrasse der Alpen und etwa 6.000 Jahre alt. Die Tiere werden im Schnitt auf Höfen in fast 1.500 Metern Höhe mit nur vier, fünf Stück gehalten. Diese Abgeschiedenheit bewahrte sie vor Veränderungen durch Zucht. In Südtirol heißen die Kühe „Königin der Alpen“. Sie sind gut zu Fuß und haben keine Klauenprobleme.
Milch
Die Zusammensetzung ihrer Milch mit mehr Eiweiß als Fett habe sich seit Cleopatras Zeiten nicht verändert, erklärt Zettl. So könne der Käse im Eiweißüberhang reifen. Das Grauvieh gibt zwar im Schnitt weniger Milch als andere Rassen, die Qualität erreiche aber Spitzenpositionen.
Fruchtbarkeit
Grauvieh gilt als fruchtbarste Rasse mit den wenigsten Geburtsproblemen. Die Rasse erreicht das höchste Durchschnittsalter bei den Kühen.
Diese Sehnen, dieser Knochenbau!
Denn das außergewöhnliche Tier hat dem Hof viele Jahre lang großen Nutzen gebracht. Geboren wurde das Rind 1997 in Jenesien, das liegt oberhalb von Bozen in Südtirol. Neun Jahre später entschloss sich der aus Oberbayern stammende Jürgen Zettl, im Ostallgäu einen Bauernhof zu kaufen und Südtiroler Grauvieh zu züchten. So begab er sich auf Einkaufstour in die Heimat der widerstandsfähigen und ursprünglichen Tiere.
„Große“ war damals gerade mit ihrem sechsten Kalb trächtig. Ihr Bauer hatte überhaupt kein Interesse daran, sich von ihr zu trennen. Doch Zettl hatte mit seinem Kennerblick erkannt, dass dies eine ganz besondere Kuh ist - „eine ganz zaache“ eben. Er dachte, dass sie bestimmt so an die 14, 15 Jahre alt wird. Noch heute schwärmt er von ihren Sehnen und ihrem Knochenbau. Nach einer Brotzeit schwatzte Zettl seinem Südtiroler Kollegen die Kuh doch noch ab. An die 2.500 Euro hat er für die „Große“ bezahlt.
Über 61.000 Kilo Milch
Mit einem Viehtransporter gelangte sie ins Ostallgäu. Hier schenkte sie den Zettls noch zehn Kälber. Insgesamt gab sie in ihrem Leben 61.109 Kilo Milch. Drei ihrer Töchter leben bis heute auf dem Hof und geben immer noch Milch. Und auch diese vermehrten sich prächtig. Zettl hat viele Kälber verkauft. Fünf Enkelinnen von „Große“ stehen bei ihm derzeit in Milch, zudem leben noch neun ihrer Urenkelinnen in Ödwang.
Am 6. November 1916 erblickte die Ur-Ur-Ur-Großmutter von „Große“ in Südtirol das Licht der Welt. Es besteht sogar die Chance, dass „Große“ noch die siebte Generation erlebt, vermutet Zettl. Die Verbindung zu ihrer Heimat ist nämlich nie abgerissen. Noch heute kommen Südtiroler - darunter ihr ehemaliger Halter - auf den Hof nach Ödwang, um „Große“ zu besuchen. Unzählige Fotos wurden bereits von ihr geknipst. Und zu Weihnachten überraschte Zettls Tochter Johanna (17 Jahre) den Papa mit einer wunderschönen Zeichnung von seiner liebsten Kuh.