Ein kleiner Weiler im Ostallgäu: 18 Einwohner, doppelt so viele Hühner und 36 Katzen. Ursprünglich sind es acht Hofkatzen gewesen. Der Rest: verwilderte und herrenlose Katzen mit 19 Katzenkindern. Da die Tiere weder kastriert noch ärztlich versorgt sind, vermehren sie sich unkontrolliert weiter und werden immer mehr. Sie übertragen Krankheiten und sind unterernährt. So sind viele krank und von Parasiten befallen.
Ein typischer Fall für den Verein Tierfreunde Ostallgäu aus Marktoberdorf. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Vierbeinern zu helfen und die Ausbereitung des Problems zu verhindern. Sie sehen da nur eine Lösung: eine Kastrationspflicht für freilebende und freilaufende Katzen in Bayern.
300.000 wilde Katzen in Bayern, zwei Millionen in Deutschland
Allein in diesem Bundesland sind circa 300.000 streunende Katzen unterwegs. In ganz Deutschland sind es um die zwei Millionen Katzen. Katzen, die niemand haben will. Katzen, die ausgesetzt, sich selbst überlassen wurden und nun verwildert leben. So seien streunende Katzen vor allem in ländlicheren Gegenden ein Problem, sagt Birgit Veith, Pressesprecherin des Vereins. „Gerade auf Bauernhöfen sind Katzen nur dazu da, Mäuse zu fangen.“
Den Besitzern wachse die Kolonie meistens schnell über den Kopf. Katzen bekommen bis zu drei Mal im Jahr mehrere Junge. Mit fünf bis neun Monaten sind sie geschlechtsreif. Unter diesen Umständen steigt die Population rasant. Der Verein fängt deshalb die Tiere in Absprache mit dem Besitzer ein. „Wir machen das mit Lebendfallen. Die Tiere sind so scheu, dass sie sich nicht anders einfangen lassen“, sagt Veith.
Der Verein fängt so im Frühjahr und im Herbst jeweils um die 50 Katzen. Anschließend werden die Katzen zum Tierarzt gebracht, wo sie kastriert und behandelt werden. Tierärztin Dr. Andrea Weinhart von der Tierklinik am Schillenberg in Marktoberdorf kennt die gesundheitlichen Probleme der Tiere: „Diese Katzen haben meistens einen Katzenschnupfen, der eine Entzündung der Augen und Atemwege mit sich bringt. Bei einer Nichtbehandlung kann der Schnupfen chronisch werden. Das heißt, das Tier wird immer wieder krank und wird andere Katzen damit infizieren“, sagt Weinhart.

Allein die Kastration und das Entfernen der Parasiten koste 150 Euro aufwärts. Aus Angst, diese Kosten selber tragen zu müssen, bringen viele die Streuner zu Tierheimen oder Tierschutzvereinen, damit diese dann die Rechnung übernehmen, sagt Weinhart. Aber wer bezahlt die Behandlung einer Katze, die niemandem zu gehören scheint? Die Tierfreunde Ostallgäu kommen aus eigener Tasche für die Behandlungskosten auf. „Wir finanzieren uns durch Spendengelder und Mitgliedsbeiträge“, sagt Veith. Im Gegensatz zum Tierheim Marktoberdorf: „Wir bekommen eine Pauschale von der Gemeinde Marktoberdorf. Das sind 70 Cent pro Einwohner“, sagt Heinz Krämer, Vorsitzender des Tierschutzvereins Marktoberdorf. In anderen Gemeinden könne das weniger oder gar nichts sein. Trotzdem reiche das Geld bei Weitem nicht aus, die Kosten zu decken, sagt Krämer.
Im Tierheim befinden sich momentan 20 bis 25 Katzen. Drei davon haben vor Kurzem jeweils mehrere Junge bekommen. Sobald die Babys auf der Welt sind, werden die Katzen kastriert. Es seien verwilderte Katzen, die so scheu sind, dass sie die ersten Jahre nicht vermittelt werden können. „Wir geben den Katzen aber Zeit, sich den Menschen anzunähern und auf uns zuzukommen“, sagt Krämer. Die Tierfreunde hingegen setzen die Katzen, nachdem sie kastriert, behandelt und gechipt worden sind, wieder in ihrem alten Revier aus.
Kastrationspflicht in Hessen und Thüringen
Was in Bayern Tierschützer übernehmen, ist in anderen Bundesländern Pflicht. So wurde beispielsweise in Thüringen und Hessen bereits eine Kastrationspflicht für freilaufende Katzen von den Gemeinden eingeführt. In Bayern gibt es jedoch keine Vorschriften. Nach dem deutschen Tierschutzgesetz dürfen die Landesregierungen selbst bestimmen, ob sie eine Kastrationspflicht einführen. 2015 wurde dieses Recht in Bayern auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen. Seitdem wurde von dem Gesetz jedoch nie Gebrauch gemacht.
Dabei sei eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht äußerst wichtig, sagt Weinhart. „Bei einer weiblichen Katze kann von außen nicht festgestellt werden, ob sie bereits kastriert wurde.“ Sie könne das teilweise nur sehen, wenn noch eine Narbe vorhanden ist. Ansonsten müsse das Tier aufgeschnitten werden.
„Diese Katzen haben meistens einen Katzenschnupfen, der eine Entzündung der Augen und Atemwege mit sich bringt. Bei einer Nichtbehandlung kann der Schnupfen chronisch werden. Das heißt, das Tier wird immer wieder krank und wird andere Katzen damit infizieren.“Tierärztin Dr. Andrea Weinhart über typische Streunerkrankheiten
„Eine Kastrationspflicht wäre auf jeden Fall ein Anfang“, sagt Veith. Aber auch hier stelle sich die Frage, wie so etwas kontrolliert werden soll. Da es für Katzen keine Meldepflicht gibt, sei es schwierig nachzuvollziehen, welche Katze schon kastriert wurde und welche nicht, sagt Veith. „Wir setzen auf die Vernunft der Menschen, ihre Freigänger freiwillig zu kastrieren und damit den Tieren zu helfen.“
Auch Bodenbrütern und Wildtieren würde damit geholfen werden. Eine größere Anzahl verwilderter Katzen kann gerade für Singvögel und Hasen zum Problem werden. Nach deutschem Jagdrecht sind in Bayern Jäger dazu befugt, wildernde Katzen zu töten, um ihr Wild zu schützen. Katzen gelten dann als wildernd, wenn sie mehr als 300 Meter vom nächsten Haus entfernt sind. Thomas Brandl vom Landratsamt Ostallgäu stellt jedoch klar, dass die Jäger nur im äußersten Notfall und mit größter Zurückhaltung auf Katzen schießen.