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Letzte Hexe nicht hingerichtet

Aktueller Forschungsstand

Letzte Hexe nicht hingerichtet

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    Anna Maria Schwägelin, die sogenannte "letzte Hexe" , auf einem Gemälde von Anton Kramer. Repro: Dr. Wolfgang Petz
    Anna Maria Schwägelin, die sogenannte "letzte Hexe" , auf einem Gemälde von Anton Kramer. Repro: Dr. Wolfgang Petz

    Die Dienstmagd Anna Maria Schwägelin hatte sich durch rätselhafte Andeutungen über ein angebliches Liebesverhältnis mit dem Teufel verdächtig gemacht. Bedingt durch eine Krankheit ist die 46-Jährige schon seit vielen Jahren arbeitsunfähig und deshalb Insassin des Armenhauses Langenegg bei Martinszell.

    Dort fällt sie durch merkwürdige Reden auf. Zeugen werden später erklären, Schwägelin habe gesagt, sie könne in dieser Anstalt nicht bleiben, weil der Teufel ihr "keine Rueh lassen thette". Der Gottseibeiuns komme zu ihr als kleines Männlein in Stiefeln, roten Hosen und grünem Kleid; er sei schwarz und habe eine feurige Zunge. Sie fleht ihre Zuhörer an, man möge ihr helfen, denn "der Teufel habe gedroht, sie seye verdammt, und sie seye mit Leib und Seel sein".

    Bald muss sich die Frau wegen Teufelsbuhlschaft (sexuellen Verkehrs mit dem Teufel) vor dem Kriminalgericht der Fürstabtei Kempten verantworten. Was den Fall zum Skandal macht, ist der Zeitpunkt: In den Salons und Caféhäusern diskutiert man die Schriften von Lessing, Goethe und Voltaire; die Epoche der Hexenverfolgung scheint einer fernen Vergangenheit anzugehören.

    Das Todesurteil im letzten Hexenprozess Deutschlands 1775 in Kempten  gegen Anna Maria Schwägelin. Das Urteil wurde nicht wie in der früheren Literatur zu dem Fall angenommen, vollstreckt.  Repro: Dr. Wolfgang Petz
    Das Todesurteil im letzten Hexenprozess Deutschlands 1775 in Kempten gegen Anna Maria Schwägelin. Das Urteil wurde nicht wie in der früheren Literatur zu dem Fall angenommen, vollstreckt. Repro: Dr. Wolfgang Petz

    Wie kam Anna Maria Schwägelin überhaupt dazu, solche Dinge zu erzählen? Sie wurde 1729 in Lachen bei Memmingen geboren. Ihre katholischen Eltern zählten zur untersten Schicht der Dorfbevölkerung. Nach dem frühen Tod von Vater und Mutter verdingte sich das Mädchen als Magd. Um 1750 lernte sie den evangelischen Kutscher Martin Linck aus Memmingerberg kennen. Er versprach ihr die Ehe, falls sie zum protestantischen Glauben wechsle.

    Doch dann zerbrach das Verhältnis zu Linck. Für die Schwägelin freilich scheint der vollzogene, oder vielleicht auch nur beabsichtigte Übertritt vom katholischen zum evangelischen Glauben zu einem psychischen Trauma geworden zu sein. Ihre schweren Schuldgefühle verdichteten sich zur Überzeugung, von dämonischen Mächten zu einem Bündnis gezwungen worden zu sein.

    Jedenfalls gestand sie beim Prozess Anfang April 1775 dem Landrichter Treuchtlinger bereitwillig, sich mit dem Bösen mehrmals fleischlich versündigt zu haben. Der Teufel habe sie außerdem gezwungen, Gott, die Muttergottes und alle Heiligen zu verleugnen und ihm Gehorsam zu schwören.

    Urteil: Tod durch das Schwert

    Die Erzählungen der Schwägelin passten in das Treuchtlinger geläufige Schema vom Pakt mit dem Teufel. Als glaubhaft mussten sie ihm auch deshalb erscheinen, weil sie aus freien Stücken und ohne die Anwendung der Folter zustande gekommen waren. Obwohl der Angeklagten keine Schädigung von Mitmenschen nachgewiesen werden konnte, gelangte er zu der Überzeugung, dass sie keine geringere als die Todesstrafe verdient habe. Das Urteil wurde am 11. April 1775 verkündet.

    Die Angeklagte, so hieß es darin, sollte wegen ihres "mit dem bösen Feind eingegangen widerholten Bündtnus vom Scharfrichter auf der Richtstätte durch das Schwerd vom Leben zum Todt hingerichtet, der Cörper hingegen verbrennet werden."

    Zwar lag zu diesem Zeitpunkt die letzte Exekution einer angeblichen Hexe in Süddeutschland bereits fast zwanzig Jahre zurück. Aber Treuchtlinger, der furchtbare Jurist, brauchte sich nur an die Buchstaben des Gesetzes zu halten, zumal das freiwillige Bekenntnis die Obrigkeit geradezu zum Einschreiten herausfordern musste. Unter diesen Umständen hatte auch der Kemptener Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein keine Bedenken, unter das Urteil sein Fiat Iustitia zu setzen, mit dem der Spruch rechtskräftig wurde.

    Doch dann nahm die Sache eine unerwartete Wendung. Lange galt der Fall der Anna Maria Schwägelin als letzte Hinrichtung auf dem Boden des Alten Reiches. Dass das Todesurteil nicht vollzogen wurde, ist jedoch inzwischen erwiesen. Letzte Gewissheit verschaffte ein unerwarteter Fund: Die verschollen geglaubten originalen Prozessakten, die sich in Privatbesitz befunden hatten, tauchten auf.

    Landrichter ermittelte schlampig

    Sie ermöglichen eine neue Sicht der Dinge. Wenige Tage vor dem beabsichtigten Vollzug, so weiß man nun, müssen das Urteil suspendiert und neue Untersuchungen angeordnet worden sein. Offenbar hatte Treuchtlinger schlampig ermittelt, Widersprüche in den Erzählungen der Angeklagten unbeachtet gelassen und es versäumt, bei anderen Behörden Auskünfte einzuholen.

    Veranlasst haben konnte diesen Aufschub nur der Landesherr persönlich: Fürstabt von Schreckenstein, den Zeitgenossen als einen Mann von kultivierter Lebensart und wissenschaftlichen Interessen schildern. Zudem förderte er Aufklärer. Zu ihnen gehörte auch ein Franziskanermönch, den ein vermutlich dem 19. Jahrhundert zugehöriger Klebezettel auf der Rückseite eines Gemäldes, das im Museum der Stadt Kempten aufbewahrt wird, als den Beichtvater des Fürstabts ausweist. Dieser Pater Donatus trat in späteren Jahren als prononcierter Anhänger der Aufklärung auf. Seinem Einfluss, so überliefert es der Klebezettel, verdanke die letzte Hexe ihr Leben.

    Anna Maria Schwägelin blieb im Kemptener Gefängnis inhaftiert und starb dort, versehen mit den heiligen Sakramenten, 1781 eines natürlichen Todes.

    Zumindest innerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches war mit dem Verfahren gegen die Schwägelin die Epoche der Hexenverfolgungen abgeschlossen.

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