In vielen Dörfern gibt es bis zum 1. Mai schlaflose Nächte. Erstmals nach zweijähriger Corona-Pause werden in größerem Umfang neue Maibäume aufgestellt. Das bedeutet: Nachtwachen. Denn der nächtliche Maibaum-Diebstahl gehört zum Brauchtum.
Tagsüber wird an den neuen Stämmen gearbeitet. Die Rinde wird entfernt, es wird gehobelt, teils grundiert und weiß-blau gestrichen. In vielen Orten Bayerns laufen - wie in Baden-Württemberg, im Rheinland und auch im Norden - letzte Vorbereitungen für das Fest.
Maibaum aufstellen 2022: Nachholbedarf in Bayern wegen Corona
2020 hatten viele Orte das Aufstellen neuer Bäume und die zugehörige Feier abgesagt. Zum traditionsgerechten Aufstellen mit Muskelkraft sind an die 50 Helfer oder mehr nötig - das war in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und hohem Ansteckungsrisiko keine Option.
Viele Orte blieben seitdem maibaumfrei. "Mit Wehmut" habe vor zwei Jahren der Burschenverein im Münchner Stadtteil Harlaching seinen Baum gekappt, sagt der Vize-Vorsitzende Stefan Ullmann. Während nun endlich an dem neuen Stamm gearbeitet wird, liegt der alte zerteilt daneben - er soll versteigert werden. Manche nehmen die Maibaum-Reste als Hackstock, andere schneiden daraus Brotzeitbrettchen.

In der Regel stehen die Bäume etwa drei bis fünf Jahre. Danach könnten sie nicht mehr sicher sein, auch am Maibaum nagt der Zahn der Zeit. Ein Alu-Maibaum - das soll es bereits geben - ist für Ullmann keine Alternative. Das scheine dann wohl eher wie ein Telefonmast.
Maibaum stehlen in Bayern gehört auch zur Tradition
Der nächtliche Maibaum-Diebstahl ist, so selten er glückt, ein kleiner Höhepunkt im Dorfleben. Er bringt als Lösegeld Bier, Schnaps und Brotzeit. Moderne Technik macht indes auch vor altem Brauch nicht halt. Dass manche zu Videokameras oder Infrarotmeldern greifen, die ein Signal aufs Handy senden, und so vielleicht gar im Homeoffice wachen, ist für Oberbayerns Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler nicht im Sinne der Tradition. "Das gemeinsame Bewachen des Maibaums hat ja auch eine Funktion, nämlich dass es Gemeinschaft bildet."
Göttler sieht auch kritisch, wenn Dörfer plötzlich mehrere Maibäume haben. Der Maibaum und das gemeinsame Aufstellen solle einen und ein Zeichen von Gemeinschaft setzen, gerade nach der Corona-Zeit mit viel Rückzug eine Chance. "Ich sehe eine Gefahr der Verbiedermeierung. Man zieht sich ins Private zurück, und ins Fernsehzimmer."
Maibaum-Brauchtum während Corona
Im Corona-Jahr 2021 entstanden notgedrungen Home-Versionen. Ein Schlager wurde der Maibaum-Bonsai aus Gilching als Bastel-Paket, 33 Zentimeter hoch und somit etwa im Maßstab 1:100 zum Original. Dieses Jahr gibt es beim "Guichinger Brauchtum" wieder einen echten Baum.
Der 2,50-Meter-Maibaum für Garten oder Wohnzimmer, den Andrea Bugl im niederbayerischen Landkreis Kelheim 2021 kreierte, findet auch dieses Jahr Anklang. "Ich dachte ursprünglich nach dem 1. Mai 2021 sei es vorbei, aber falsch gedacht, die Bestellungen liefen weiter." Ein Baum gehe demnächst nach Holland und einer nach Österreich. "Und der weiteste bisher ging vor ein paar Wochen nach Salt Lake City."

Nur in einigen Orten gab es trotz Corona neue Bäume, kontaktfrei aufgestellt mit Kränen. "Sonst hätten wir den Baum zusammenschneiden müssen", sagt Sebastian Bolzmacher, 2020 Vorsitzender des Burschenvereins in Holzhausen (Landkreis Bad-Tölz/Wolfratshausen). "Wir wollten unbedingt, dass der Maibaum wieder steht."
Andere griffen wehmütig zur Säge. Die Burschenschaft im Starnberger Ortsteil Perchting ließ den schon geschlagenen Baum zu Brettern machen. Der Burschenverein Taufkirchen bei München gab ihn an ein Sägewerk, wie der Vorsitzende Julius Ammereller sagt. "Das macht man sehr ungern, wenn man den eigenen Maibaum zerschneiden muss."
"Es gab lange Ungewissheit: Darf ich am 1. Mai feiern?"
Dieses Jahr nun endlich ein neuer Anlauf - mit zu Anfang vielen Corona-Unsicherheiten. "Es gab lange Ungewissheit: Darf ich am 1. Mai feiern?", sagt Thomas Ludwig, Vorstand der Burschenschaft Perchting. Aber: "Unser Dorf braucht dringend wieder einen Maibaum. Weil die Dorfmitte sonst nackert ausschaut."
Seit gut einer Woche wird in Perchting gewacht, in Taufkirchen schon seit 19. März. Tagsüber müssen laut Ammereller alle Taufkirchner aufpassen - Bürgerpflicht. Der Zauberspruch, der den Diebstahl innerorts noch stoppt, ist leicht zu merken: "Der Baum bleibt da."

Vor vier Jahren hatten sich Diebe just an den Maibaum des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder herangemacht, vorgesehen für die Landesvertretung in Brüssel. Doch auch sie wurden knapp vor der Ortsgrenze mit ihrer Beute ertappt.
Aufstellen der Maibäume benötigt viel Erfahrung
Zum traditionellen Aufrichten bringen Helfer die Maibäume mit gekreuzten Stangen langsam in die Senkrechte - eine gefährliche Sache, die heute oft von einem Kran abgesichert wird, zu oft gab es Unfälle. Vielerorts, so hört man, gerät die alte Technik auch zunehmend in Vergessenheit. Allein die rechten Kommandos wollen gelernt sein. "Das braucht lange Erfahrung", sagt Norbert Göttler.
Das Aufstellen wird zünftig mit Blasmusik begangen und klingt oft mit Tanz in den Mai aus. In diesem Jahr könnte das wieder fast wie früher gefeiert werden. Die heruntergefahrenen Corona-Regeln lassen es zu.