
Vier Männer stehen an einer Mauer des Legauer Rathauses. Sie sind verwundet und verängstigt, ihre Gesichter zeigen die blanke Furcht um ihr Leben. Das Bild der vier Besatzungsmitglieder eines US-amerikanischen Bombers entstand am 18. Juli 1944. Am selben Tag war ihre B-17 zusammen mit mindestens 13 weiteren amerikanischen Maschinen über dem Luftraum zwischen Kempten und Memmingen abgeschossen worden. Es war der Tag des größten US-Bomberangriffs im zweiten Weltkrieg auf den Fliegerhorst Memmingen, der für die deutsche Luftwaffe ein wichtiger Stützpunkt war.
Über 72 Jahre nach Kriegsende stehen erneut vier Männer an derselben Mauer in Legau. Es sind die drei Söhne und der Enkel des Mannes mit dem markanten Schnauzbart auf dem Bild. Auf Einladung des Aichstettener Gemeindearchivars Gerhard Schmaus wandeln die Amerikaner aus Akron/Ohio und Chicago/Illinois auf den Spuren ihres Vaters und Großvaters Daniel Elias LaHurd, der hier in Kriegsgefangenschaft geriet. Schmaus arbeitet seit langem an einem Buch über die letzte große Luftschlacht im zweiten Weltkrieg im Allgäu.
Durch Zufall ist er auf die Nachfahren des amerikanischen Bombenschützen gestoßen. "Ein junger Mann namens Fabian Curow, der am Flughafen in Memmingerberg eine Ausbildung absolvierte und sich auch für Geschichte interessiert, hatte ihn auf diesem alten Foto erkannt", erläuterte Schmaus in Legau. "Er meinte, dass er das Gesicht mit dem Schnauzbart im Internet gesehen hätte." Und zwar auf dem Titel des Buches "A Story of One", in dem Enkel Christopher LaHurd die Geschichte seines Großvaters erzählt.

Schmaus nahm per E-Mail sofort Kontakt auf. "Als Gerhard mir schrieb, konnte ich es kaum glauben", sagte Christopher LaHurd bei seinem Besuch. Der 35-Jährige arbeitet seit Juni als Finanzfachmann in Wien. Ursprünglich wollte er sich nur mit seiner Frau Courtney auf Spurensuche begeben. Doch als er seinen Verwandten in den USA davon erzählte, war schnell klar: Auch sein Vater Daniel (62) und dessen Brüder Dennis (66) und Ryan (71) mit ihren Familien wollten mit.

"Es ist ein sehr emotionaler Tag für uns", sagte LaHurd dem allgaeu.life-Reporter. "Jetzt an diesen Plätzen zu sein, an denen mein Opa Angst um sein Leben hatte, wühlt uns alle auf. Er stand damals dem Feind gegenüber. Heute, 73 Jahre später, sitze ich in einem Raum mit deutschen Freunden. Dafür müssen wir dankbar sein", so LaHurd.
Puzzleteile zusammengefügt
Sein Buch und die Nachforschungen von Gerhard Schmaus fügen viele Puzzleteile der damaligen Geschehnisse zusammen. An Bord des abgeschossenen B-17-Bombers waren außer Daniel LaHurd neun weitere amerikanische Soldaten. Neun konnten sich mit dem Fallschirm retten, nur der Heckschütze Horace Davenport überlebte den Angriff nicht. Die Maschine stürzte in ein Feld bei Aichstetten, wo sie eine Stunde nach dem Aufprall explodierte. LaHurd landete mit seinem Fallschirm in der Nähe der Ortschaft Bettrichs (zwischen Altusried und Legau). Dort wurde er aufgegriffen und zum Verhör nach Legau gebracht.
Die Einheimische Erna Fend schrieb damals in einem Brief an ihren Freund: "Vier der gefährlichen Burschen sind auf Legauer Flur niedergegangen und wir hätten uns das nie träumen lassen, dass wir im Rathaus viermal den Feind in so beträchtlicher Weise haben, denn dorthin wurde einer nach dem anderen gebracht. Einer davon war wirklich zu fürchten, groß, buschige schwarze Haare mit Schnurrbart, sah einfach beängstigend aus."
Ein glückliches Leben in den USA
Christopher LaHurd musste schmunzeln, als Gerhard Schmaus diese Zeilen vorlas. "Mein Großvater war ein charismatischer, guter Kerl." Nach dem Verhör in Legau kam er 1944 zuerst ins Durchgangslager nach Wetzlar, ehe er im Stalag Luft 1 in Barth an der Ostsee gefangen gehalten wurde. Nach der Befreiung Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945 kehrte er in seine Heimatstadt Akron zurück, wo er ein Restaurant und einen Gemüsehandel eröffnete. In den 1990er Jahren zog er nach Florida und verbrachte dort den Ruhestand bis zu seinem Tod im Jahr 2005.
Auch über die meisten der anderen Soldaten auf dem Foto ist inzwischen vieles bekannt. Links ist Pilot Matthew Smith zu sehen, rechts neben LaHurd steht mit großer Wahrscheinlichkeit Co-Pilot Harvey Myers. An ihn erinnerten sich die Schwestern Cilly Schröck (91) und Monika Hörberg (89), die beim Besuch der Amerikaner ebenfalls anwesend waren. "Wir haben ihn nach dem Absturz in einem Kornfeld aufgelesen und in den elterlichen Bauernhof bei Felben gebracht. Eine unserer Schwestern hat seinen blutigen Arm verbunden, während eine andere hastig im Keller Stoff aus seinem Fallschirm schnitt. Daraus bekamen wir später Blusen", sagten sie. Dann wurde Myers in Legau verhört. Auch er kehrte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in die USA zurück.