Allgäuer wollen helfen

Nach Terror in Sri Lanka: Humedica bittet um Spenden

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Eine sri-lankische Frau, die in der Nähe des St-Antonius-Kirche wohnt, läuft in Sicherheit. Humedica will den Opfern des Terrors jetzt mit Spenden helfen.

Bild: Eranga Jayawardena/dpa

Eine sri-lankische Frau, die in der Nähe des St-Antonius-Kirche wohnt, läuft in Sicherheit. Humedica will den Opfern des Terrors jetzt mit Spenden helfen.

Bild: Eranga Jayawardena/dpa

Erst Anfang des Monats haben wir über das Lebenswerk von "Humedica"-Gründer Wolfgang Groß und seine besondere Beziehung zu Sri Lanka berichtet. Sowohl der 65-Jährige als auch die Allgäuer Hilfsorganisation sind eng mit dem Inselstaat im Indischen Ozean verbunden. An Ostern wurde Sri Lanka von einer Reihe von Terroranschlägen heimgesucht, denen mehr als 300 Menschen zum Opfer fielen. Hier erfährst Du, wie Humedica jetzt helfen will und wie Du spenden kannst. Außerdem kannst Du in unserer Geschichte noch mal nachlesen, weshalb die Kaufbeurer Hilfsorganisation schon lange besondere Beziehungen mit den Menschen auf Sri Lanka pflegt.
27.07.2022 | Stand: 11:10 Uhr

Vor fast genau zehn Jahren ging der blutige Bürgerkrieg in Sri Lanka zu Ende. Es kehrte Ruhe auf der als „Perle des Indischen Ozeans“ bezeichneten Insel ein. Am Ostersonntag kam der Terror zurück, dem durch Bombenanschläge bisher 300 Menschen zum Opfer fielen. Hunderte Menschen wurden verletzt.
Humedica-Geschäftsführer Wolfgang Groß, dessen Ehefrau aus Sri Lanka stammt, besuchte den Ostergottesdienst der tamilischen True Light Revival Church in Stuttgart, als er konkrete Informationen über die Anschläge erhielt. Der Gemeindeleiter, Pastor Alfred Jude, rief die Gläubigen zum Gebet für die Betroffenen auf. In Absprache mit dem Landesdirektor von Humedica Lanka, Dr. Prithiviraj Thamotharampillai, ruft Groß’ Organisation zu Spenden auf, um Familien zu unterstützen, die aufgrund der Anschläge Hilfe benötigen.
Laut Humedica ist Dr. Prithiviraj im „National Hospital“ vor Ort, um den Angehörigen direkt beizustehen. Sie verteilen Getränke, Zwischenmahlzeiten und andere Dinge des täglichen Bedarfs.

Außerdem unterstützt Humedica von Deutschland aus mit einer ersten Soforthilfe von 10.000 Euro.

Spendenkonto Humedica
Stichwort „Anschläge Sri Lanka“, IBAN: DE35 7345 0000 0000 0047 47

Zum ersten Mal Hilfe jenseits von Europa:

Im Bürgerkriegsgebiet: Ein "Wunder" nennt es Wolfgang Groß, dass er als junger Mann aus dem Ausland in den 80er Jahren immer wieder in die Tamilengebiete auf Sri Lanka kam.
Im Bürgerkriegsgebiet: Ein "Wunder" nennt es Wolfgang Groß, dass er als junger Mann aus dem Ausland in den 80er Jahren immer wieder in die Tamilengebiete auf Sri Lanka kam.
Bild: Humedica

Über 100 Länder hat Wolfgang Groß in seinem Leben bereist. "Im Schnitt war ich jedes Jahr drei Monate nicht in Deutschland." Ein Land hat ihn berührt wie kein zweites: Sri Lanka. Vor 36 Jahren führte ihn seine erste Hilfsmission außerhalb Europas in den damals bitterarmen Inselstaat im Indischen Ozean. "Ein Jahr zuvor hatte ich einen Batikkünstler kennengelernt, der mir von der Armut in seiner Heimat erzählte. Im Juli 83 reiste ich das erste Mal nach Sri Lanka und geriet mitten in die Unruhen zwischen Tamilen und Singhalesen." Bis ins Jahr 2009 tobte der Bürgerkrieg zwischen den tamilischen Separatisten und der singhalesischen Mehrheit, der bis zu 100.000 Todesopfer forderte.

"In all den Jahren haben wir mit Humedica immer wieder Nahrung und andere Hilfsgüter an die Bürgerkriegsopfer verteilt." Dass dies möglich war, verdankt Groß seinem Mut, seinem Glauben und dem Zufall. Er selbst sagt: "Normal kommst Du als Ausländer nicht in die Kriegsgebiete rein. Doch es sind immer wieder Wunder geschehen. In Rieden gab es ein Flüchtlingswohnheim, das ich hin und wieder besuchte, wenn ich im Allgäu war. Dort lernte ich einen Mann kennen, der zu mir sagte: 'Ich kann Dir helfen. Mein Cousin ist der stellvertretende Polizeipräsident von Sri Lanka.' Durch ihn bekam ich die notwendigen Genehmigungen des Verteidigungsministeriums, mit denen ich an den Checkpoints vorbeikam."

Sri-lankische Soldaten, bewaffnete Rebellen, zerstörte Ortschaften inmitten eines ethnischen Konflikts - warum tut sich jemand so etwas freiwillig an? "Wir haben viel gebetet und gesungen gegen unsere Angst. Gott sei Dank ist immer alles gut gegangen", sagt Wolfgang Groß.

Der Schnappschuss, der sein Leben veränderte:

Auf der Hochzeit eines Pastors in Sri Lanka schießt der Allgäuer 1993 dieses Foto von drei weiblichen Hochzeitsgästen. Es ist der Moment, in dem er seine zukünftige Ehefrau Selvi (M.) kennenlernt.
Auf der Hochzeit eines Pastors in Sri Lanka schießt der Allgäuer 1993 dieses Foto von drei weiblichen Hochzeitsgästen. Es ist der Moment, in dem er seine zukünftige Ehefrau Selvi (M.) kennenlernt.
Bild: Groß

Wie zum Dank für seinen unermüdlichen Einsatz bescherte ihm Sri Lanka privates Glück. Zehn Jahre nach seiner ersten Reise war er auf einer Hochzeit im tamilisch besiedelten Norden eingeladen. Weil es im Bürgerkriegsgebiet keine Filmrollen gab und der Deutsche der einzige mit einer Fotokamera war, wurde er gebeten, Bilder von der Hochzeitsfeier zu machen. "Da standen drei bezaubernde Frauen, die ich fotografieren wollte. Um ihnen ein Lächeln zu entlocken, sagte ich: 'The three most beautiful girls of Jaffna...' Die Frau in der Mitte lächelte daraufhin besonders schön - mit ihr bin ich heute seit über 25 Jahren verheiratet."

Hier erfährst Du, wie Humedica vom Allgäu Airport aus hilft - durch Pfandsammeln oder internationale Hilfsgüterflüge.

Das Paar hat drei erwachsene Kinder, die älteste Tochter Rebecca (24) arbeitet nach ihrem Bachelor in Not- und Katastrophenhilfe ebenfalls bei Humedica. "Ohne Sri Lanka gäbe es unsere Familie nicht", sagt Groß. Dabei begann die Ehe mit Hindernissen. "Wir haben am 25. September 1993 in Jaffna geheiratet und reisten anschließend auf einem Lazarettschiff des Roten Kreuzes aus. In der Hauptstadt Colombo wurde allerdings unsere Heiratsurkunde nicht anerkannt. Also haben wir am 1. Oktober dort nochmals geheiratet, um eine zweite Heiratsurkunde und damit einen Reisepass für meine Frau zu bekommen", erzählt der 65-Jährige lachend.

Familie Groß: Trotz des bevorstehenden Abschieds als Humedica-Geschäftsführer werden Hilfsorganisation und Stiftung weiter eine große Rolle in ihrem Leben spielen. Unser Bild zeigt von links: Priscilla (21), Wolfgang und Selvi, Benjamin (18) und Rebecca (24).
Familie Groß: Trotz des bevorstehenden Abschieds als Humedica-Geschäftsführer werden Hilfsorganisation und Stiftung weiter eine große Rolle in ihrem Leben spielen. Unser Bild zeigt von links: Priscilla (21), Wolfgang und Selvi, Benjamin (18) und Rebecca (24).
Bild: Groß

Die Katastrophe, die Humedica "groß" machte:

Der 26. Dezember 2004 - das Erdbeben im Indischen Ozean und die anschließenden Tsunamis töten rund 230.000 Menschen. Die meisten Todesopfer gibt es in Indonesien (geschätzt 168.000), danach ist Sri Lanka mit über 35.000 Toten das Land, das am stärksten betroffen ist.

Vor vier Jahrzehnten legten Wolfgang Groß und sein Bruder Dieter den Grundstein für Humedica. Die Idee dazu kam ihnen während einer privaten dreiwöchigen Zugreise. In Marokko ging ihnen das Geld aus, sie erfuhren erstmalig am eigenen Leib, was es heißt zu hungern. Verantwortung trug Groß als oberster Koordinator für Hilfseinsätze, aus denen viele Tausend Menschen Hoffnung schöpfen, als Vorsitzender eines Vereins für Mitglieder und deren Beiträge, als Unternehmer für Mitarbeiter und als Verwalter für Spenden aus dem Kreis der 65.000 möglichen Gönner. Er war dem Finanzamt für Steuern und Ministerien für Fördergelder Rechenschaft schuldig. "Es tut nicht weh, jetzt loszulassen", sagt Groß dennoch. (avu)

Noch am selben Tag machte sich Wolfgang Groß mit einem leeren LTU-Flieger von Düsseldorf auf den Weg nach Colombo. Doch in der Eile vergaß er seinen Reisepass. Keine Chance, vom Flughafen Sri Lankas in das zerstörte Land zu kommen! "Doch wieder passierte ein Wunder. Ich wurde am Flughafen an einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft verwiesen. Der Mann kam, sah mich an und wollte wissen, woher aus Deutschland ich komme. Ich sagte: 'Eine kleine Stadt - Kaufbeuren, kennen Sie bestimmt nicht...' Und er antwortete: 'Doch. In Kaufbeuren bin ich geboren...'"

Auf diese Weise gelangten die Humedica-Mitarbeiter als erste ausländische Organisation einen Tag nach der Katastrophe ins Land. "Wir waren die einzigen, die direkt in das Katastrophengebiet im Norden einreisten. Weil der Tsunami so verheerende Folgen hatte, wurden wir dabei von Fernsehteams von RTL und ZDF begleitet. Wir kamen in allen wichtigen Nachrichten vor - der Name Humedica und die Hilfe, die wir leisten, waren in aller Munde..."

Mit Folgen: Im Jahr 2004 weist die Bilanz von Humedica Spendeneinnahmen in Höhe von 1,7 Millionen Euro auf. 2005, nach dem Tsunami, sind es 8,4 Millionen! "Die mediale Aufmerksamkeit hat unsere Spenden verfünffacht! Wir mussten die Bankauszüge in Wäschekörben von der Sparkasse in Kaufbeuren wegtragen..."

Wie er seine Hilfsbereitschaft fast mit dem Leben bezahlte:

Dem Tod entkommen: Nur knapp überlebt Wolfgang Groß 1997 eine Malaria-Erkrankung. Kaum geht es ihm im Krankenhaus in München besser, macht er sich im Krankenbett wieder an die Arbeit für Humedica.
Dem Tod entkommen: Nur knapp überlebt Wolfgang Groß 1997 eine Malaria-Erkrankung. Kaum geht es ihm im Krankenhaus in München besser, macht er sich im Krankenbett wieder an die Arbeit für Humedica.
Bild: Humedica

1997 war Groß in Ostafrika im Einsatz. In Kenia unterrichtete er eine Woche in einer Bibelschule, anschließend ging es nach Sambia zur Einweihung eines Krankenhauses, das durch Humedica-Gelder mitfinanziert wurde. "Ich reiste im Auto mit der First Lady Sambias an und sie hatte die Klimaanlage im Wagen voll aufgedreht. Auf der Rückreise bekam ich schon bei der Zwischenlandung in London Fieber."

Zuhause in Kaufbeuren verschlechterte sich sein Zustand - doch an eine lebensbedrohliche Erkrankung glaubte Groß nicht. "Ich dachte, ich hätte mir wegen der Klimaanlage in Sambia eine Erkältung eingefangen. Dabei waren es die Moskitos in Kenia, die mir die Malaria tropica bescherten. Zum Glück wusste mein Hausarzt, dass ich in Afrika war und machte einen Schnelltest."

Der Humedica-Geschäftsführer wurde mit dem Helikopter ins Rotkreuzklinikum nach München geflogen, wo er mit dem Tod rang. Nur ein Blutaustausch rettete schließlich sein Leben.

Zum Glück - denn Humedica ist ohne ihn nicht denkbar. Mit ihren rund 500 Ehrenamtlichen und ihrer enormen Logistik-Erfahrung kann die Kaufbeurer Organisation heute allein mit dem Material aus ihrem Hilfsgüterlager 3.000 Personen in kürzester Zeit versorgen. Groß wird den Vorsitz des Vereins am Tag der offenen Tür am 26. Mai in der Humedica-Zentrale in Neugablonz an seine Nachfolger Johannes Peter (27) und Heinke Rauscher (53) übergeben.

Künftig konzentriert sich der 65-Jährige auf die von Humedica gegründete Stiftung "Nächstenliebe in Aktion". In der Neugablonzer Hüttenstraße hat er mit dem "Family Center" einen Anlaufpunkt mit Begegnungscafé und Second-Hand-Laden geschaffen, in dem alle zusammenkommen sollen: Senioren, Zugewanderte, Einsame, Kunden, die ein Schnäppchen machen oder einfach nur in Ruhe Kaffee trinken möchten. Groß selbst koordiniert die Angebote - beispielsweise den "Stammtisch: Wir sprechen Deutsch" oder ein Frühstückstreffen für Senioren.

Einer wie er, dem Helfen und Mitmenschlichkeit in die Wiege gelegt wurde, geht nicht in den Ruhestand.