Eine sri-lankische Frau, die in der Nähe des St-Antonius-Kirche wohnt, läuft in Sicherheit. Humedica will den Opfern des Terrors jetzt mit Spenden helfen.
Bild: Eranga Jayawardena/dpa
Eine sri-lankische Frau, die in der Nähe des St-Antonius-Kirche wohnt, läuft in Sicherheit. Humedica will den Opfern des Terrors jetzt mit Spenden helfen.
Bild: Eranga Jayawardena/dpa
Über 100 Länder hat Wolfgang Groß in seinem Leben bereist. "Im Schnitt war ich jedes Jahr drei Monate nicht in Deutschland." Ein Land hat ihn berührt wie kein zweites: Sri Lanka. Vor 36 Jahren führte ihn seine erste Hilfsmission außerhalb Europas in den damals bitterarmen Inselstaat im Indischen Ozean. "Ein Jahr zuvor hatte ich einen Batikkünstler kennengelernt, der mir von der Armut in seiner Heimat erzählte. Im Juli 83 reiste ich das erste Mal nach Sri Lanka und geriet mitten in die Unruhen zwischen Tamilen und Singhalesen." Bis ins Jahr 2009 tobte der Bürgerkrieg zwischen den tamilischen Separatisten und der singhalesischen Mehrheit, der bis zu 100.000 Todesopfer forderte.
"In all den Jahren haben wir mit Humedica immer wieder Nahrung und andere Hilfsgüter an die Bürgerkriegsopfer verteilt." Dass dies möglich war, verdankt Groß seinem Mut, seinem Glauben und dem Zufall. Er selbst sagt: "Normal kommst Du als Ausländer nicht in die Kriegsgebiete rein. Doch es sind immer wieder Wunder geschehen. In Rieden gab es ein Flüchtlingswohnheim, das ich hin und wieder besuchte, wenn ich im Allgäu war. Dort lernte ich einen Mann kennen, der zu mir sagte: 'Ich kann Dir helfen. Mein Cousin ist der stellvertretende Polizeipräsident von Sri Lanka.' Durch ihn bekam ich die notwendigen Genehmigungen des Verteidigungsministeriums, mit denen ich an den Checkpoints vorbeikam."
Sri-lankische Soldaten, bewaffnete Rebellen, zerstörte Ortschaften inmitten eines ethnischen Konflikts - warum tut sich jemand so etwas freiwillig an? "Wir haben viel gebetet und gesungen gegen unsere Angst. Gott sei Dank ist immer alles gut gegangen", sagt Wolfgang Groß.
Wie zum Dank für seinen unermüdlichen Einsatz bescherte ihm Sri Lanka privates Glück. Zehn Jahre nach seiner ersten Reise war er auf einer Hochzeit im tamilisch besiedelten Norden eingeladen. Weil es im Bürgerkriegsgebiet keine Filmrollen gab und der Deutsche der einzige mit einer Fotokamera war, wurde er gebeten, Bilder von der Hochzeitsfeier zu machen. "Da standen drei bezaubernde Frauen, die ich fotografieren wollte. Um ihnen ein Lächeln zu entlocken, sagte ich: 'The three most beautiful girls of Jaffna...' Die Frau in der Mitte lächelte daraufhin besonders schön - mit ihr bin ich heute seit über 25 Jahren verheiratet."
Das Paar hat drei erwachsene Kinder, die älteste Tochter Rebecca (24) arbeitet nach ihrem Bachelor in Not- und Katastrophenhilfe ebenfalls bei Humedica. "Ohne Sri Lanka gäbe es unsere Familie nicht", sagt Groß. Dabei begann die Ehe mit Hindernissen. "Wir haben am 25. September 1993 in Jaffna geheiratet und reisten anschließend auf einem Lazarettschiff des Roten Kreuzes aus. In der Hauptstadt Colombo wurde allerdings unsere Heiratsurkunde nicht anerkannt. Also haben wir am 1. Oktober dort nochmals geheiratet, um eine zweite Heiratsurkunde und damit einen Reisepass für meine Frau zu bekommen", erzählt der 65-Jährige lachend.
Der 26. Dezember 2004 - das Erdbeben im Indischen Ozean und die anschließenden Tsunamis töten rund 230.000 Menschen. Die meisten Todesopfer gibt es in Indonesien (geschätzt 168.000), danach ist Sri Lanka mit über 35.000 Toten das Land, das am stärksten betroffen ist.
Noch am selben Tag machte sich Wolfgang Groß mit einem leeren LTU-Flieger von Düsseldorf auf den Weg nach Colombo. Doch in der Eile vergaß er seinen Reisepass. Keine Chance, vom Flughafen Sri Lankas in das zerstörte Land zu kommen! "Doch wieder passierte ein Wunder. Ich wurde am Flughafen an einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft verwiesen. Der Mann kam, sah mich an und wollte wissen, woher aus Deutschland ich komme. Ich sagte: 'Eine kleine Stadt - Kaufbeuren, kennen Sie bestimmt nicht...' Und er antwortete: 'Doch. In Kaufbeuren bin ich geboren...'"
Auf diese Weise gelangten die Humedica-Mitarbeiter als erste ausländische Organisation einen Tag nach der Katastrophe ins Land. "Wir waren die einzigen, die direkt in das Katastrophengebiet im Norden einreisten. Weil der Tsunami so verheerende Folgen hatte, wurden wir dabei von Fernsehteams von RTL und ZDF begleitet. Wir kamen in allen wichtigen Nachrichten vor - der Name Humedica und die Hilfe, die wir leisten, waren in aller Munde..."
Mit Folgen: Im Jahr 2004 weist die Bilanz von Humedica Spendeneinnahmen in Höhe von 1,7 Millionen Euro auf. 2005, nach dem Tsunami, sind es 8,4 Millionen! "Die mediale Aufmerksamkeit hat unsere Spenden verfünffacht! Wir mussten die Bankauszüge in Wäschekörben von der Sparkasse in Kaufbeuren wegtragen..."
1997 war Groß in Ostafrika im Einsatz. In Kenia unterrichtete er eine Woche in einer Bibelschule, anschließend ging es nach Sambia zur Einweihung eines Krankenhauses, das durch Humedica-Gelder mitfinanziert wurde. "Ich reiste im Auto mit der First Lady Sambias an und sie hatte die Klimaanlage im Wagen voll aufgedreht. Auf der Rückreise bekam ich schon bei der Zwischenlandung in London Fieber."
Zuhause in Kaufbeuren verschlechterte sich sein Zustand - doch an eine lebensbedrohliche Erkrankung glaubte Groß nicht. "Ich dachte, ich hätte mir wegen der Klimaanlage in Sambia eine Erkältung eingefangen. Dabei waren es die Moskitos in Kenia, die mir die Malaria tropica bescherten. Zum Glück wusste mein Hausarzt, dass ich in Afrika war und machte einen Schnelltest."
Der Humedica-Geschäftsführer wurde mit dem Helikopter ins Rotkreuzklinikum nach München geflogen, wo er mit dem Tod rang. Nur ein Blutaustausch rettete schließlich sein Leben.
Zum Glück - denn Humedica ist ohne ihn nicht denkbar. Mit ihren rund 500 Ehrenamtlichen und ihrer enormen Logistik-Erfahrung kann die Kaufbeurer Organisation heute allein mit dem Material aus ihrem Hilfsgüterlager 3.000 Personen in kürzester Zeit versorgen. Groß wird den Vorsitz des Vereins am Tag der offenen Tür am 26. Mai in der Humedica-Zentrale in Neugablonz an seine Nachfolger Johannes Peter (27) und Heinke Rauscher (53) übergeben.
Künftig konzentriert sich der 65-Jährige auf die von Humedica gegründete Stiftung "Nächstenliebe in Aktion". In der Neugablonzer Hüttenstraße hat er mit dem "Family Center" einen Anlaufpunkt mit Begegnungscafé und Second-Hand-Laden geschaffen, in dem alle zusammenkommen sollen: Senioren, Zugewanderte, Einsame, Kunden, die ein Schnäppchen machen oder einfach nur in Ruhe Kaffee trinken möchten. Groß selbst koordiniert die Angebote - beispielsweise den "Stammtisch: Wir sprechen Deutsch" oder ein Frühstückstreffen für Senioren.
Einer wie er, dem Helfen und Mitmenschlichkeit in die Wiege gelegt wurde, geht nicht in den Ruhestand.