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Oberallgäuer Klausen fürchten sich vor Anzeigen und sagen Auftritte ab

Brauchtum in Gefahr?

Oberallgäuer Klausen fürchten sich vor Anzeigen und sagen Auftritte ab

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    Sie sehen zum Fürchten aus: die Klausen im Oberallgäu. Auch dieses Jahr ziehen sie wieder los.
    Sie sehen zum Fürchten aus: die Klausen im Oberallgäu. Auch dieses Jahr ziehen sie wieder los. Foto: Günter Jansen (Archiv)

    Wenn der Nikolaus am ersten Adventssamstag zum Blaichacher Adventsabend kommt, dann tut er das in diesem Jahr ohne Rumpelklausen. Sie wollen sich nicht mehr an der im Ort beliebten Veranstaltung beteiligen, nachdem vergangenes Jahr ein Klaus eine Anzeige erhalten hat, berichtet der Vorsitzende des Gebirgstrachten- und Heimatvereins Blaichach, Herbert Käser.

    Laut Blaichachs Bürgermeister Christof Endreß soll ein Klaus vergangenes Jahr ein neunjähriges Mädchen absichtlich geschlagen haben. Die Eltern schalteten die Polizei ein. „Niemand ist sich einer Schuld bewusst“, betont dagegen Vorsitzender Käser. Der angezeigte junge Mann habe von dem Vorfall nichts bemerkt. Wie die Staatsanwaltschaft Kempten mitteilt, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht gegeben war.

    Die Klausen seien angehalten, am Adventsabend friedlich zu sein, betonen Käser und Blaichachs Bürgermeister Endreß unisono. Normalerweise kommen in dem Ort laut Käser jedes Jahr vier oder sechs Klausen als Begleiter des Nikolauses zum Platz zwischen Rathaus und Kirche, verteilen mit ihm kleine Geschenke und gehen dann wieder. Besonders freche Jugendliche bekämen schon mal mit der Rute einen Schlag auf die Füße, sagt Käser.

    Bisher keine Auswüchse bekannt

    Er verweist auch darauf, dass die Klausen in ihrem Häs nur eine eingeschränkte Sicht haben. Der Auftritt beim Adventsabend sei aber kein erweitertes Klausentreiben, sondern eine friedliche Veranstaltung, betont der Chef der wilden Gesellen. Endreß beteuert, dass keiner der Helfer der Gemeinde – sie veranstaltet den Adventsabend – irgendwelche Auswüchse der Klausen bemerkt habe. „Die waren alle außerordentlich brav.“ Fest steht: Um die jungen Männer vor weiteren Anzeigen zu schützen, hat der Brauchtumsverein nun die Teilnahme am Adventsabend abgesagt.

    Übrigens: Nicht immer sind Klausen wilde Gesellen! Wir haben den garantiert süßesten Klaus im Allgäu gefunden!

    Brauchtum oder Körperverletzung

    Was gelebtes Brauchtum ist, bei dem es schon mal zu Striemen und blauen Flecken kommen kann, und wo der Straftatbestand der Körperverletzung beginnt, das vermag auch die Staatsanwaltschaft nicht pauschal zu beantworten. „Das ist immer eine Einzelfallentscheidung“, betont Pressesprecherin Verena Rauh.

    Ganz streng genommen sei jeder Rutenhieb eine Körperverletzung, sagt der Vorsitzende des Sonthofer Klausenvereins, Matthias Hecht. Der Verein versuche deshalb bereits im Vorfeld des Treibens, die Rahmenbedingungen mit Polizei und Stadt zu regeln. Bei den Versammlungen werde den Teilnehmern eingeschärft, zurückhaltend zu sein. Vor und während des Treibens sei Alkohol tabu.

    „Wer angetrunken kommt, darf auf keinen Fall mitmachen“, betont Hecht. Bier werde erst nach dem Ende des offiziellen Teils um 22 Uhr getrunken. „Und danach schlagen wir nicht mehr.“ 40 Ordner überwachen laut Hecht in Sonthofen, dass sich jeder an die Regeln hält. „Aber es ist klar: Wer sich in unserem Areal aufhält, muss mit Rutenhieben rechnen“, sagt der Chef der Klausen und ergänzt: „Eine Neunjährige darf auch mal einen Rutenhieb abbekommen.“

    Darf eine Neunjährige auch mal einen Rutenhieb abbekommen?

    „Das ist Brauchtum, das gehört dazu“, sagt der Vorsitzende des Immenstädter Klausenvereins, Thomas Schiedrich.

    In Immenstadt haben die Veranstalter einen abgesperrten Bereich geschaffen, in dem sich Besucher aufhalten können, ohne Schläge abzubekommen. Alle Teilnehmer müssten zudem sichtbar eine Nummer tragen, damit sie identifiziert werden können. „Wir haben ein familienfreundliches Klausentreiben. Bei uns nehmen die Gesellen die Kinder sogar auf den Arm“, sagt Schiedrich.

    Die wilden Gesellen aus Blaichach verteilten bisher mit dem Nikolaus Geschenktüten an die Kinder. Wer diesmal den Nikolaus am 1. Dezember zum Adventsabend begleiten wird, ist noch offen. Möglicherweise kommt Hilfe aus Gunzesried. Die Gemeinde versuche, die dortigen Klausen als Ersatz zu gewinnen, sagt Bürgermeister Endreß. Dagegen werde beim Klausentreiben, das wieder am 6. Dezember in Ettensberg stattfindet, alles wie immer ablaufen, verspricht Käser.

    Beschädigte Autos, verprügelte Passanten – und Besucher, die mit Messern und Böllern auf die wilden Gesellen losgehen

    Wo das Klausentreiben von Vereinen organisiert wird, funktioniere die Zusammenarbeit gut , heißt es von der Polizei. Gleichwohl komme es auch immer wieder zu Zwischenfällen. Dabei sind Klausen , die über Gebühr zuschlagen und Sachen beschädigen, aber auch Zuschauer , die das Brauchtum zu Gewaltausbrüchen missbrauchen, wie ein Blick auf die von der Polizei gemeldeten Vorfälle zeigt.

    In Immenstadt erlitt ein 16-jähriger Rumpelklaus laut Polizei 2015 einen Schnitt am Finger , als er einem etwa 15-jährigen Burschen einen Hieb geben wollte. Außerdem wurde dort das Auto einer 20-Jährigen zerkratzt. Schaden: etwa 500 Euro.

    Alle Hände voll zu tun hatte die Polizei 2015 beim Klausentreiben in Oberstdorf. Zwischen Klausen und Passanten gab es mehrere Auseinandersetzungen. So zog ein 21-jähriger Oberstdorfer ein zusammengeklapptes Messer und zeigte es zwei Klausen, von denen er sich bedrängt fühlte. In einem anderen Fall geriet eine Zuschauergruppe mit zwei betrunkenen Klausen aneinander. Dabei wurde einer der Beteiligten leicht verletzt . Klausen schlugen mit ihren Ruten zudem eine Scheibe an einem Haus ein.

    Vor den Augen ihrer Kinder ist eine Frau 2014 in Sonthofen von zwei Klausen verprügelt worden.

    Mit einem Kantholz schlug ein Bursche 2013 in Oberstdorf mehrfach auf zwei Klausen ein. Sie erlitten schmerzhafte Prellungen und Blutergüsse.

    2012 mussten in Oberstdorf die Klausen von der Polizei vor drei jungen Männern geschützt werden, die im Ortskern selbst gebastelte explosive Böller entzündeten.

    Mehrere 1.000 Euro Sachschaden entstanden 2010 in Wertach, als Unbekannte nach dem Klausentreiben verschiedene Gebäude und Fahrzeuge mit einer Vielzahl von Schmierereien und linksextremistischen Sprüchen überzogen.

    Mit Fahrtenmesser, Alu-Schlagstock und einer Motorradkette waren 2010 drei Männer aus dem Westallgäu bewaffnet, die die Polizei nach Hinweisen von Besuchern beim Klausentreiben in Sonthofen erwischte. Die Männer (16, 21 und 23 Jahre alt) wurden vorläufig festgenommen. Der Jüngste leistete so starken Widerstand, dass er gefesselt werden musste.

    In Oberstdorf verzeichnete die Polizei 2010 mehrere Sachbeschädigungen . Registriert wurden eine mit Steinen eingeworfene Balkonverglasung, ein beschädigtes Leuchtschild einer Apotheke, außerdem gingen Warnblinklichter eines Sperrschilds kaputt. (ab/bil)

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