Kopfschütteln. Völliges Entsetzen. Unverständnis. Aber auch Zustimmung. All diese Reaktionen hat ein einziges Kleidungsstück bei Badegästen im Stadtbad hervorgerufen: der Burkini. Nicht nur in Frankreich, wo ein Burkini-Verbot gekippt wurde, sorgt der muslimische Badeanzug für hitzige Diskussionen. Unsere Reporterin Simone Härtle hat sich den zweiteiligen, langen Schwimmanzug mit Kopfbedeckung übergezogen, um herauszufinden, was die Oberallgäuer und Kemptener davon halten. Die Reaktionen blieben nicht aus. Ein Erfahrungsbericht (kursiv) und der Blick von außen:
Ich atme tief durch. Entschlossen verlasse ich die Umkleidekabine und gehe über die Liegewiese. Ich bin überrascht. Nur wenige lassen mich ihre Blicke spüren. Andere, so scheint es mir, schauen bewusst weg. Zwei junge Frauen starren mich an.
Einzelne Badegäste - die meisten wollen ihren Namen nicht nennen - drehen sich um. Eine Gruppe Jugendlicher bricht ihr Gespräch ab, blickt der Frau im Burkini nach. Zwei Frauen schauen sich an. „Das sieht seltsam aus“, sagt eine. Sie habe noch nie eine Frau im Freibad mit einem Burkini gesehen. Im Bikini komme man sich ja beinahe nackt vor. „Ich finde es unpassend.“
Ein Mädchen läuft an der Hand seiner Mutter an mir vorbei. Sie blickt ihre Mutter an, dann wieder mich.

Eine Frau im Burkini habe er im Freibad des Cambomare bislang noch nicht gesehen, sagt auch Rettungsschwimmer Sherif Elnaggar. Nur zwei junge Mädchen, die ihre Haare unter einem Tuch verdeckt tragen. Die anderen Badegäste schauten dann zum Teil schon komisch, hat der 37-Jährige beobachtet. Er selbst sieht das gelassen: „Alle sind frei.“ Dieser Meinung ist auch sein Kollege Uwe Pakulla: „Mir persönlich ist das egal.“ Burkinis sind in dem Freibad erlaubt.
Ich gehe auf den Eingang des Ruhebereichs zu. Zwei Frauen, die vor dem Tor stehen, unterbrechen ihr Gespräch und schauen mich an. Abschätzig, wie ich finde. Ich gehe vorbei und setze mich auf eine Bank. Die Frau neben mir zieht ihre Zeitungen näher an sich heran. Ich schlage mein Buch auf.
Eine Frau kommt aus dem Ruhebereich, entdeckt den Fotografen und sagt: „Fotografieren Sie mal da. Da ist eine Frau im Burkini.“
Es ist heiß unter dem Burkini. Ich gehe eine Runde schwimmen. Mittlerweile stehen vier Frauen am Tor zum Ruhebereich. Sie diskutieren und werfen mir immer wieder Blicke zu. Freundlich sehen sie nicht aus.

„Wir sind geschockt“, sagt eine Frau, die auf einer Bank sitzt. „Das stört mich kolossal.“ Was genau, könne sie nicht beschreiben. Ein Burkini-Verbot jedenfalls würde sie befürworten. „Die sind zu uns gekommen, die müssen sich auch anpassen.“ Das sagt auch eine Gruppe, die gerade im hinteren Bereich Kaffee trinkt. „Da kann genauso gut ein Mann drunter stecken“, sagt eine ältere Frau. Eine andere zweifelt, ob der Anzug hygienisch ist.
Ich verlasse den Ruhebereich und muss wieder an den Frauen am Eingang vorbei. Ich schaue auf den Boden, versuche, nicht aufzufallen. Eine der Frauen stellt sich mir in den Weg und fragt: „Was haben Sie da in der Tasche?“ Ich bin irritiert. „Etwa Bücher?“ Ich nicke. „Tja, das weiß man ja nie“, sagt sie.
Auch außerhalb des Ruhebereichs ist der Burkini an diesem Nachmittag immer wieder Gesprächsthema. Eine Gruppe Dauerkartenbesitzer ist empört. Kinder in T-Shirts seien früher aus dem Bad geworfen worden, sagt einer. Daher sollte man es auch verbieten, sich im Freibad zu verhüllen. „Wir müssen uns ja auch anpassen“, sagt eine Frau. In der Türkei dürfe sie auch nicht „oben-ohne“ am Strand liegen. „Die sollen ihre Religion zu Hause ausleben“, fordert ein Mann in der Gruppe.

Ich gehe wortlos weiter. Ein etwa zwölfjähriger Junge sieht mich und sagt mit einem Grinsen: „Jetzt habe ich aber Angst.“
Als die Frau im Burkini die Wasserrutsche hinunter rutscht, schaut auch Giampiero Trovato neugierig zu. Er lächelt. „Das ist man nicht gewohnt.“ Ihn persönlich störe es nicht, wenn eine Frau Burkini trägt. Der 36-Jährige könne sich aber vorstellen, dass die Verhüllung manch einen ängstige. Auch Melanie (17) und ihre Freundin Pia (14) sind interessiert. „Ich finde es super. So haben auch diese Frauen eine Chance, ins Freibad zu gehen“, sagt Melanie. „Das ist ihre Religion, wer das so will - das ist doch völlig okay“, stimmt Pia zu.
Ich schwimme noch ein paar Bahnen im Sportbecken. Als ich aus dem Wasser steige, kommt eine Rentnerin auf mich zu und fragt mich, wie es ist, in einem Burkini zu schwimmen. Sie fühlt das Material.

Für viele muslimische Frauen macht der Burkini überhaupt erst möglich, mit ihren Kindern schwimmen zu gehen, sagt eine dreifache Mutter, die selbst zum Islam konvertiert ist. Sie trägt eine lange Hose und ein Oberteil. „Ich würde gerne einen Burkini tragen“, sagt sie. Aber als Einzige traue sie sich nicht.
Ich schlüpfe wieder in Jeans und T-Shirt. Wäre der Burkini aus religiösen Gründen meine normale Badebekleidung, hätten mir die Reaktionen der anderen Badegäste mehr zugesetzt. Noch nie habe ich so viel Misstrauen gespürt. Und noch nie hat sich ein anderer Badegast dafür interessiert, was ich in meiner Tasche habe.
Was ist ein Burkini? Das Wort Burkini setzt sich aus den Begriffen Burka und Bikini zusammen. Der Burkini besteht aus mindestens zwei Kleidungsstücken: einem Ober- und einem Unterteil. Die Kopfbedeckung ist entweder in das Oberteil integriert oder abnehmbar. Hände, Füße und das Gesicht bleiben meist frei. So ist es auch strenggläubigen muslimischen Frauen möglich, baden zu gehen. Martin Neumeyer, Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, sagte Medienberichten zufolge, dass die Entscheidung über die Zulassung von Burkinis den Kommunen überlassen werden sollte.