Erst fünf Jahre ist es her, als sich Alexander Patzelt bei einer katholischen Schule um eine Lehrstelle als Erzieher bewarb. Und prompt eine Absage bekam, aus einem ebenso schlichten wie erstaunlichen Grund: Weil er ein Mann ist.
Denkt er heute daran, schmunzelt der 26-Jährige. Mittlerweile hat er seine Ausbildung zum Erzieher nicht nur abgeschlossen, sondern leitet die Kaufbeurer Kindertagesstätte Mosaik. „Für mich ist das der schönste Beruf“, sagt Patzelt. Und ja, nach wie vor erlernten ihn vor allem Frauen. Gerade während seiner Ausbildung habe er das gemerkt. Sorgen und Ängste, die insbesondere Männer umtreiben, seien da meist kein Thema gewesen.
Das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz beispielsweise. „Bei einer Frau ist es gar kein Problem, wenn ein Kind kommt, sich auf den Schoß setzt und an die Brust kuschelt. Bei einem Mann ist das erstmal komisch.“ Manche seiner Kollegen ließen körperliche Nähe erst gar nicht zu, sagt Patzelt. Die Angst, dass irgendwann ein Verdacht geäußert werden könnte, sei einfach zu groß. Gerade wenn Missbrauchsfälle öffentlich bekannt werden, stünden Männer oft unter Generalverdacht. Kämpfen mit der Annahme, dass von ihnen Gefahr ausgeht. Er selbst habe noch nie Misstrauen von Eltern erlebt – im Gegenteil.
Geteilte Sorgen
Wie andere Kollegen mit dieser Sorge umgehen, darüber sprach Patzelt das erste Mal in München. Nach seiner Ausbildung arbeitete der gebürtige Ebenhofener zuerst in der Landeshauptstadt und besuchte einen Männerarbeitskreis, an dem auch die Genderbeauftragte der Stadt teilnahm. Nach und nach beschloss Patzelt für sich: „Ich bin ein vollwertiger Erzieher.“ Und das bedeute eben auch, dass er Kinder wickelt, ihnen beim Umziehen hilft und sie auf seinem Schoß sitzen dürfen.
Darüber machten sich Jugendliche aber vermutlich noch keine Gedanken, meint Patzelt. Warum ergreifen dann so wenige Jungen den Beruf? Gehalt und fehlende Anerkennung, nennt der 26-Jährige zwei Hauptgründe. Was das Geld angeht: Das Einstiegsgehalt für Erzieher im öffentlichen Dienst liegt bei rund 2700 Euro brutto.
Und die Anerkennung: „Gerade in dem Alter wird man immer etwas belächelt“, schildert Patzelt. Da heiße es dann schnell: Während andere etwas Handfestes lernen, spiele man selbst den ganzen Tag nur Uno. Das Problem sei eben, dass viele nicht wüssten, was hinter dem Beruf steckt. „Wer selber Kinder hat, weiß aber, was es bedeutet, so einen Mordshaufen um sich rumzuhaben“, sagt Patzelt lächelnd.
Männer und Gefühle zeigen, das wird eher seltsam gesehen.Alexander Patzelt
Von seinen Freunden und seiner Familie habe er noch nie spöttische Kommentare gehört, sei vielmehr auf sehr viel positive Resonanz gestoßen. Er ist damals über den „Boys’ Day“ in den Kindergarten gekommen. Dieser Tag habe ihm so gut gefallen, dass er an die Kinderpflegeschule nach Kaufbeuren ging. Und später einer der wenigen männlichen Erzieher wurde – 2017 waren in ganz Deutschland etwa 5,8 Prozent der Erzieher männlich. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor.
Als Patzelt die Leitung des städtischen Kinderhauses Mosaik übernahm, stand für ihn fest: „Ich will das anders machen, frischen Wind reinbringen.“ Das fängt bei Kleinigkeiten im Gruppenalltag an. „Ein ‚Ja, aber wie?’ ist besser als vorher ein ‚Nein’“, sagt Patzelt. Natürlich bräuchten die Kinder gewisse Strukturen. Aber eben auch Möglichkeiten, selbst zu lernen. Beispielsweise, dass es unpraktisch ist, Laufrad zu fahren, wenn es draußen stürmt. Im September eröffnete die Kita dann ihre erste Waldgruppe mitten in der Natur. „Die Arbeit im Wald ist sehr schön, weil sie sehr elementar ist“, sagt Patzelt. Aus einem Baumstamm wird für die Kinder ein Herd, aus Ästen ein Haus und aus einem Loch ein Waschbecken.
Gefühle in der Öffentlichkeit
Heute, am Internationalen Männertag, drängt sich die Frage auf: Fühlt sich Patzelt als Mann in der Gesellschaft diskriminiert? Er überlegt kurz, schüttelt dann den Kopf. Wobei, eine Sache gebe es da doch. „Männer und Gefühle zeigen, das wird eher seltsam gesehen.“ Wenn ein Mann weint, weil sein Fußballverein verliert, sei das gesellschaftlich akzeptiert. Weint er aber, weil er Liebeskummer hat oder seine Freundin im Krankenhaus liegt, sehe das ganz anders aus. „Da muss man ja stark sein, der Fels in der Brandung.“
Mit den Rollenvorstellungen sei das eh so eine Sache. Kinder unterscheiden nicht unbedingt in männlich oder weiblich, erklärt Patzelt. Spielzeug wählten sie schlicht auf Interessensbasis aus. „Erfahrungsgemäß ist es aber so, dass man Jungs einfach keine Puppen kauft und Mädels keine Traktoren.“ Zudem lernten Kinder am Vorbild, oder besser: an Vorbildern. Wird ein Kind immer von der Mutter in die Kita gebracht, der beste Freund aber vom Vater, ist für die Kinder beides normal. „Das ist ja auch der Wunsch jeder interkulturellen Gesellschaft. Dass man viele Sachen kennenlernt und alles als richtig und gut wahrnimmt.“
Langsam nehme die Zahl der angehenden Erzieher zu, erzählt Patzelt. Waren es in seinen Lehrjahren noch zwei bis drei in einer Klasse, sind es heute oftmals schon fünf bis sechs. Er hofft, dass bald auch die Ängste und Sorgen der Männer Thema in der Ausbildung sind. Doch trotz alledem steht für ihn fest: „Es ist die schönste Arbeit, weil man den Kindern die Welt zeigen und erklären kann.“