Der frühere Ministerpräsident gewährte bei „Unsere Köpfe 2017“ nicht nur Einblicke in sein politisches Leben, sondern verriet dem Publikum auch vieles über den Menschen Günther Beckstein.

Glaube: Als Christ lebte er während seiner Zeit als Politiker in einem steten Spannungsverhältnis. So stand dem Gebot der bedingungslosen Nächstenliebe oft die realistische Bewertung einer Situation entgegen. Als Beispiele nennt er Geiselnahmen, bei denen er als Innenminister entscheiden musste, ob die Polizei zur Rettung der Geisel einen sogenannten finalen Rettungsschuss – also einen tödlichen Schuss – abgeben darf und soll. „Das war ungeheuerlich belastend. Ich hatte schlaflose Nächte“, erinnert sich der 74-Jährige. Zumal es sogar vorgekommen sei, dass er aus einer Tanzveranstaltung herausgeholt wurde, um den Schießbefehl zu erteilen – oder eben nicht. Beckstein kam zu dem Schluss, dass so eine Entscheidung nur ein Spezialist der jeweiligen Situation angepasst treffen könne. Auf seine Initiative hin obliegt der Schießbefehl mittlerweile dem Polizeipräsidenten.
Darüber hinaus habe ihm sein Glaube stets geholfen, „bei Erfolgen nicht abzuheben und bei Misserfolgen nicht zu verzweifeln“. Als Zeichen seines Glaubens hatte Beckstein – obwohl er Protestant ist – immer eine Figur des heiligen Antonius in seinem Büro. Als Heiliger der Bettler erinnere er ihn daran, dass vor Gott alle Menschen gleich viel wert seien – egal, welche Position sie haben. Für die Heiligenfigur wurde in seiner Zeit als Ministerpräsident sogar eine Büste von Franz Josef Strauß von seinem Büro in ein Nebenzimmer umquartiert.
Familie und Politik: Beckstein ist seit 1973 verheiratet. Seine Frau Marga und er haben drei Kinder und sechs Enkel. „Meine Enkel erlebe ich intensiver als meine Kinder“, erzählt der Großvater von einem der Nachteile seines Politikerlebens. Auch davon, dass ein Sohn ihm als Erwachsener vorgehalten habe, „dass er nur wegen meiner blöden Politik in Langwasser aufwachsen musste“. Langwasser ist ein – wie Beckstein sagt – „problematischer Nürnberger Stadtteil“, in dem es mehr Kriminalität als in anderen Vierteln gebe. Beckstein wollte trotz seines Erfolgs als Politiker aber nicht in eine „Schicki-Micki-Gegend“ ziehen, sondern in der multikulturell geprägten Trabantenstadt bleiben.
Ich schätze Claudia sehr. Sie ist enorm engagiert und meint alles so, wie sie es sagt.Beckstein über seine ungewöhnliche Freundschaft zu Grünen-Politikerin Claudia Roth.
Freunde: Politisch verbindet den CSU-Mann Beckstein und Claudia Roth von den Grünen eher wenig. Dennoch pflegen die beiden Bayern seit Jahren eine Freundschaft. „Ich schätze Claudia sehr. Sie ist enorm engagiert und meint alles so, wie sie es sagt.“ Das hielt Beckstein aber nicht davon ab, seine Duz-Freundin in einer TV-Sendung mit Günther Jauch scherzhaft als „Prüfstein meiner Toleranz“ zu bezeichnen. Schließlich halte er alles für falsch, was die Grünen politisch so machen. Das „Du“ hat er Claudia Roth angeboten, als sie ihm unter Tränen erzählte, dass sie wegen ihrer politischen Haltung Morddrohungen erhalten hatte. „Ich wollte damit auch zeigen“, unterstreicht Günther Beckstein, „dass man sich respektieren muss, auch wenn man in bestimmten Dingen unterschiedlicher Meinung ist“.
Fasching: Als Claudia Roth erschien Beckstein sogar einmal bei der Fernseh-Prunksitzung im unterfränkischen Veitshöchheim. Dort verblüfft der Mittelfranke alljährlich mit außergewöhnlichen Kostümen. So war er bereits Madame Pompadour, der Bayerische Löwe oder Martin Luther. „Die Verkleidungen denken sich meine Frau und ich zumeist im Urlaub aus. Meine Frau zeichnet dann die Kostüme für die Maskenbildner.“ Auf die Frage, als was er dieses Jahr zur Prunksitzung komme, sagt Beckstein schmunzelnd: „Als ehemaliger Innenminister weiß ich, dass beim Verfassungsschutz manchmal etwas an die Öffentlichkeit durchsickert. Das ist bei meinen Masken noch nie passiert.“

Schiri, bleibt der Videobeweis?
Selten standen die Fußball-Schiedsrichter so im Rampenlicht wie im zu Ende gehenden Jahr. Vorwürfe der Vetternwirtschaft innerhalb der DFB-Unparteiischen und die heiß diskutierte Einführung des Video-Beweises bestimmten zuletzt die Schlagzeilen. Mittendrin: Der Allgäuer Bundesliga-Schiedsrichter Robert Hartmann. Der 38-Jährige bezog bei der von der Memminger Zeitung organisierten Gesprächsrunde „Unsere Köpfe“ ausführlich Stellung und gab Moderator Helmut Kustermann und den Zuhörern im Kaminwerk interessante Einblicke.
Zu seinen Anfängen: „Natürlich bin ich als Jugendlicher nicht mit einem Schiritrikot herumgelaufen. Mit 15 willst du nicht Schiedsrichter werden. Aber mein Vater, damals Jugendleiter beim SV Krugzell, bat mich, den jugendorientierten Trainerschein zu machen, weil Not am Mann war im Verein. Voraussetzung dafür war aber eine Schiedsrichter-Prüfung und das Pfeifen von 15 Spielen. Es ist dann nicht bei diesen 15 Spielen geblieben – und den Trainerschein habe ich nie mehr in Angriff genommen.“

Zu seinem ersten Bundesliga-Spiel: „Das erste Mal – 2011 bei Freiburg gegen Wolfsburg – hat eigentlich ganz gut geklappt, wenn ich nicht bei einem Tor übersehen hätte, dass dem ein paar Spielzüge zuvor ein Handspiel vorausgegangen ist. Eine der vielen Kameras im Stadion hat das natürlich gesehen. Ich kannte von meiner Zeit als Linienrichter natürlich schon Stadien, Umfeld und Spieler. Aber wenn du dann da allein in der Mitte stehst, ist es schon ein anderes Kaliber. Wir sind in Deutschland insgesamt 76.000 Schiedsrichter und momentan 24, die in der Bundesliga pfeifen. Der Trichter ist also ziemlich eng.“
Zum Umgang mit der Rolle des Sündenbocks: „Am Anfang einer Schiedsrichter-Karriere ist das nicht leicht. Da muss man reinwachsen und relativ schnell versuchen, zwischen berechtigter Kritik und der Kritik, die aus der puren Emotion entstehen, zu trennen. In den ‘ungeduschte Interviews’ geht es teilweise schon sehr populistisch zu.“
Zu seiner Art, ein Spiel zu leiten: „Ich gehöre zu den kommunikativen Schiris, suche eher einmal mehr das Gespräch mit einem Spieler als sofort die Karte aus der Brust- oder Gesäßtasche zu holen. Aber der Fußball ist so schnell geworden, dass normal eh alle Spieler gleich weglaufen. Schlimm wird’s, wenn ein Spiel lange unterbrochen ist.“
Zu Spielern, die es Unparteiischen besonders schwer machen: „Ich kann jetzt natürlich keine Namen nennen, die noch aktiv spielen. Aber Michael Ballack war schon so einer. Ich damals als absolutes Greenhorn in der Bundesliga, er als ganz erfahrener Spieler, der mit allen Wassern gewaschen ist – da muss man schon kämpfen, um so einem Herr zu werden. Das ist zum Teil psychologische Kriegsführung.“
Robert Hartmann ist 38 Jahre alt, verheiratet und zweifacher Vater. Der gelernte Diplom-Betriebswirt wohnt in Wangen und arbeitet in Teilzeit bei der Deutschen Bank in Memmingen. Seit 2011 leitete er 77 Erstliga-Spiele.
Zu Vorwürfen, das Leistungsprinzip innerhalb der DFB-Schiedsrichter sei ausgehebelt worden: „Das glaube ich nicht. Dafür hatten die deutschen Schiedsrichter zu viele Erfolge in den letzten Jahren; sie durften international die Top-Spiele leiten. Natürlich ist es kein Zuckerschlecken, 24 Bundesliga-Schiedsrichter zu führen. Da sind ja auch ganz starke Charaktere darunter, denen man es nicht immer recht machen kann. Aber dass bei Spielbeurteilungen Politik gemacht und einzelne Schiedsrichter absichtlich hingehängt werden, glaube ich nicht. Auch wenn häufiger Szenen aus meinen Spielen kritisiert wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass mir jemand schaden wollte. Da könnte man mich auch ganz einfach rausnehmen. Wir haben ja nicht einmal Verträge beim DFB.“
Zur Kritik am Video-Beweis: „Da ist vieles nicht ganz rund gelaufen. Wir haben ja lange geübt, aber Bundesliga-Fußball kann man nicht simulieren. Der Druck ist ungleich höher. Bislang hieß es bei Fehlern unsererseits ja immer, das ist zwar schlecht, aber ihr habt ja auch einen verdammt schwierigen Job. Seit der Videobeweis da ist, darf es gefühlt keine Fehler mehr geben. Es gab in der Vorrunde zu viele Szenen, in denen der Video-Assistent hätte eingreifen sollen und es gab Szenen, da hätte der Kollege in Köln besser die Klappe gehalten. Wir befinden uns in einem Lern- und Verbesserungsprozess. Es ist noch nicht alles perfekt, aber mir kommt in der Diskussion zu kurz, dass drei Viertel der Szenen richtig aufgelöst und klare Fehler ausgemerzt wurden. Zum anderen hatten wir in der ganzen Vorrunde keine einzige Attacke im Rücken des Schiedsrichters. Die Spieler wissen, dass das irgendwo eingefangen wird und dass sie nicht ungeschoren davonkommen. Das führt dazu, dass der Fußball ein bisschen fairer und sauberer wird. Wir müssen überlegen, was wir besser machen können, sodass die Akzeptanz steigt. Aber grundsätzlich hoffe ich ganz fest, dass daran festgehalten wird und dass keine Rolle rückwärts gemacht und der Videobeweis wieder eingestampft wird.“
Es ist noch nicht alles perfekt, aber mir kommt in der Diskussion zu kurz, dass drei Viertel der Szenen richtig aufgelöst und klare Fehler ausgemerzt wurden.Robert Hartmann über den Videobeweis
Zur Rolle des Video-Schiedsrichters: „Die letzte Entscheidung auf dem Platz habe immer ich. Der Video-Schiedsrichter ist nur ein Assistent, der bei vier Situationen ein Vorschlagsrecht hat: bei Strafstößen, Roten Karten, Toren und Spielerverwechslungen. Wolfgang Stark hat mir am Wochenende bei Leverkusen gegen Dortmund über Funk gesagt: Schau dir das Foul von Wendell noch mal an. Ich habe das zwar aus dem Augenwinkel schon gesehen, aber das genaue Trefferbild nicht erkannt. Also habe ich mir die Szene noch einmal angeschaut und entschieden, dass es eine klare Rote Karte ist. Zusammen haben wir eine falsche in eine richtige Entscheidung umgewandelt. So soll’s sein.“