Die Corona-Welle wütet, die Intensivstationen sind voll, Patienten müssen ausgeflogen werden, das Personal ist an der Belastungsgrenze. Der Corona-Winter Nummer zwei in Bayern hält Fragen bereit, die längst beantwortet schienen. Die drängendste: Wer wird wann behandelt, wenn die Kapazitäten nicht mehr reichen?
"Triage" heißt das Wort, das plötzlich in aller Munde ist. Damit wird die Auslese der Mediziner beschrieben, wenn es hart auf hart kommt. Doch welchen Kriterien folgen sie dabei? Wer übernimmt die Entscheidung? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Triage:
Was heißt eigentlich "Triage"?
Das Wort stammt vom französischen Verb "trier" ab, was soviel heißt wie "sichten", "auslesen", "sortieren". Verwendet wurde es vor Corona vor allem beim Militär: im Krieg. In den Feldzügen Napoleons und im Krimkrieg fand der Begriff erstmals Erwähnung. Feldärzte sortierten nach Schwere der Verwundung - von "hoffnungslos" bis "einfacher Verband". Heute verbirgt sich hinter dem Begriff nicht weniger als die Frage nach Leben oder Tod. Wem wird geholfen, wenn nur noch ein Bett auf der Intensivstation da ist und der Arzt muss eine Entscheidung treffen?

Gibt es Kriterien, wonach die Triage gefällt wird?
Die deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hat einen Katalog herausgegeben, der Leitlinien enthält. Diese sind jedoch nicht bindend und haben keine Gesetzeskraft. Eine gesetzliche Grundlage gibt es nicht. In den Leitlinien der Intensivmediziner heißt es: "Dies stellt eine enorme emotionale und moralische Herausforderung für das Behandlungsteam dar."
Was sind die wesentlichen Kriterien, nach denen Mediziner vorgehen sollen?
In den Leitlinien steht die Erfolgsaussicht einer Behandlung im Vordergrund. Das heißt, ein Patient, der ohnehin nur noch eine geringe Lebenserwartung hat und schwer erkrankt ist, kann dann möglicherweise nicht mehr behandelt werden, weil andere mit einer größeren Erfolgsaussicht vorgezogen werden. "Dabei werden – wenn nicht anders vermeidbar – diejenigen Patienten nicht intensivmedizinisch behandelt, bei denen nur eine sehr geringe Aussicht besteht zu überleben", heißt es in den Leitlinien wörtlich. (Lesen Sie auch: Operation Kleeblatt: So funktioniert die Verlegung von Corona-Patienten)
Ist diese Sichtweise unumstritten?
Nein. Nicht alle Mediziner und Ethiker teilen dieses Kriterium. Der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl etwa, Mitglied im Deutschen Ethikrat, kritisiert eine Regelung nach der Erfolgsaussicht scharf. "Das widerspricht elementaren Grundsätzen der Medizinethik. Das würde ich aus meiner Perspektive ablehnen", sagte er im Bayerischen Rundfunk. Aus seiner Sicht könne lediglich die Dringlichkeit einer Behandlung als Kriterium herangezogen werden. Sonst würden Alte und Vorerkrankte von vornherein massiv benachteiligt.
Der Münchner Medizin-Ethik-Professor Georg Marckmann kritisiert das Fehlen verbindlicher Grundlagen. "Mit Blick auf eine mögliche Überlastung der Intensivkapazitäten wäre es gut gewesen, wenn es vom Parlament eine Vorgabe gegeben hätte, nach welchen Kriterien die Priorisierung der Patienten erfolgen soll", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wir haben die Empfehlungen der Fachgesellschaften, diese wurden aber von Juristen kontrovers diskutiert, sodass Ärzte und Ärztinnen hier eine unzureichende Rechtssicherheit in unglaublich schwierigen Entscheidungssituationen beklagen."
Gibt es in Deutschland bereits die Triage in den Kliniken?
Das ist eine Frage der Definition und der Sichtweise. Der Münchner Neuro-Chirurg Jörg-Christian Tonn sagte etwa im Interview mit "tz" und "Münchner Merkur": "Wir sind faktisch dazu gezwungen, unsere Patienten für eine OP-Reihenfolge zu sortieren. Unterm Strich betreiben wir also bereits täglich Triage – und zwar bei Patienten ohne Covid-Erkrankung." Hirntumor-OPs würden andauernd vom Operationsplan gestrichen.
Andere Experte wollen das Wort "Triage" dagegen gar nicht in den Mund nehmen. "Dass wir jetzt in einer Situation sind mit weiter steigenden Patientenzahlen ist natürlich mit Sorge zu betrachten. Aber hier davon zu sprechen, dass Patienten Angst haben müssten, gar nicht mehr behandelt zu werden, halte ich für unsensibel und rücksichtslos", sagte der Leiter des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth, Eckhard Nagel, der Deutschen Presse-Agentur. (Lesen Sie auch: Das Corona-Lexikon aktuell: Fachbegriffe in der Pandemie erklärt)