Rentner Helmut Steffan kennt die Bunker in Neugablonz wie seine Westentasche. Er ist mit ihnen aufgewachsen. Doch davon später mehr.
Der erste Halt unserer zweistündigen Tour ist ein Zaunsockel, wie es sie an vielen Ecken gibt.
Tatsächlich handelt es sich um ein zeitgeschichtliches Relikt. Denn die Sockel sind herausgebrochene Stücke von Betonstraßen, die damals die Bunker miteinander verbanden. An einigen ist noch die Tarnfarbe zu erkennen, mit der die Straße angestrichen war. Diese Geheimhaltung hatte einen besonderen Grund: "Wo sich heute Neugablonz befindet, stand im Zweiten Weltkrieg eine große Schießpulver- und Munitionsfabrik der damaligen Dynamit AG", erklärt Helmut Steffan.
Gemäß des Versailler Vertrags war Deutschland die Aufrüstung nach dem Ersten Weltkrieg eigentlich untersagt, weshalb die Produktion geheim bleiben musste. Wegen der Abgeschiedenheit und den Kiesvorkommen fiel die Wahl auf das Alpenvorland. Von 1939-41 entstanden auf dem Gelände Bunker für die Produktion von Schießpulver. Dabei wurden auch Zwangsarbeiter eingesetzt.

Die Bunker wurden sehr massiv und teils unterirdisch gebaut. Durch hohe Erdwälle und Baumbewuchs auf den Dächern waren sie kaum zu erkennen. Die Kombination aus Tarnung und umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen war wohl der Grund, dass die Anlage bis zum Ende des Krieges unbemerkt blieb.
Im Herbst 1945 wurden die Bunker von den Amerikanern entwaldet und gezielt gesprengt. Zurück blieb weitgehend eine Trümmerlandschaft. Einige Gebäude waren jedoch nur zum Teil beschädigt. Steffan vermutet, dass sie entweder zu massiv waren, oder von den Amerikanern als Lagebunker genutzt wurden.
Was Neugablonz einzigartig macht, ist ein weiterer Teil der Geschichte. Sie hat ihre Ursprünge in der damaligen Tschechoslowakei.
Die Gegend um das Isergebirge war damals überwiegend von deutschen Handwerkern besiedelt. Dort entwickelte sich im 19. Jahrhundert mit Aufkommen des Modeschmucks eine florierende Glasindustrie. Das kleine Dorf „Gablonz“ wurde innerhalb einiger Jahre zu einer wohlhabenden Stadt. Möglich machte dies die einzigartige Zusammenarbeit von Familienbetrieben, die jeweils unterschiedliche Handwerke ausübten.
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die „geordnete Vertreibung“ der Sudetendeutschen beschlossen. Sie sollten in Lager nach ganz Deutschland verteilt werden. Das hätte das Ende der Gablonzer Verbundindustrie bedeutet.
Mithilfe des Ingenieurs Erich Huschka gelang es jedoch, die Gablonzer im einstigen Lager „Riederloh“ nahe Neugablonz zu sammeln. Wie er das geschafft hat, ist bis heute nicht bekannt. Helmut Steffan vermutet aber, dass Huschka seine Verbindungen als Hobbyfunker genutzt hat. Heute gilt er als der „Gründervater von Neugablonz.“
Da die alten Bunker zumindest ein Dach über dem Kopf boten, wurden sie nach und nach für die Sudetendeutschen freigegeben. Steffan war damals im Kindesalter und erlebte, wie das heutige Neugablonz entstand.
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. Eine Anmeldung ist nur bei größeren Gruppen erforderlich. Kosten: 4,50 Euro
Daher musste er nicht lange überlegen, als er vor fünf Jahren von Dr. Hans-Joachim Hübner gefragt wurde, ob sie zusammen die Bunkerführung anbieten wollen. Hübner ist Experte auf dem Gebiet der Neugablonzer Geschichte. Die Ergebnisse seiner bundesweiten Recherche in Archiven fasste er u.a. in seinem Buch „Die Fabrik Kaufbeuren der Dynamit AG“ zusammen. Dennoch bleibt vieles ein Rätsel, darunter auch die genauen Produktionsabläufe, zumal in Kaufbeuren auch an neuer Munition geforscht wurde. Viele Archive, zum Beispiel in den USA, sind bis heute nicht zugänglich, berichtet Steffan.
Unsere Führung ist mittlerweile auf dem Areal angekommen, das heute „Trümmergelände“ genannt wird. Ein Teil ist abgesperrt, der andere wurde für einen Spielplatz freigegeben. Der eiförmige Bau daneben ist die einstige damals so genannte„Kraftzentrale“, die fast vollständig mit Graffitis bedeckt ist. Die Wände sind über einen Meter dick.
Dass hier einmal Nazis Munition herstellten und Menschen zur Arbeit zwangen, ehe später Heimatvertriebene an dieser Stelle hausten, vermag ich mir als junger Mensch kaum vorstellen. Mein Blick auf diesen Teil des Ostallgäus hat sich während der Führung definitiv verändert. Ich empfehle jedem, diese Chance zu nutzen. Helmut Steffan möchte die Führungen auf jeden Fall weiter anbieten, „solange es noch Menschen gibt, die aus eigener Erfahrung berichten können.“