Paul ist ein Mathe-Genie. Schon als er in der zweiten Klasse war, fand ein Psychologe heraus: Paul ist hochbegabt. Doch nicht alles fällt ihm so leicht wie rechnen. Soziale Kontake, gar Freundschaften zu knüpfen, damit hatte er schon in der Grundschule Probleme. Vielleicht ist das eine Erklärung für die vielen Schikanen, aber sicher keine Entschuldigung. Vor allem nicht für das, was am Ende der sechsten Klasse geschah.
Paul ging auf ein Allgäuer Gymnasium. Dort hatte er einige, wenige Freunde gefunden - und auch die Beleidigungen, die er von klein auf ertragen musste, ließen nach. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag. „Von heute auf morgen lag ein Zettel mit einer Drohung unter meiner Bank“, erzählt Paul. Sinngemäß stand darauf: Bring dich lieber selbst um, sonst müssen wir das tun.
Zuerst war der Schock da und dann kam die Angst. Was, wenn die das ernst meinen? „Ich habe zwar sofort meine Eltern informiert, aber leicht fiel mir das nicht. Natürlich stellt man sich auch die Frage, ob man selbst schuld ist. Das hat mich ganz schön mitgenommen. Ich war dann auch zwei Wochen krank. Irgendwie scheinen Körper und Geist wohl zusammenzuhängen“, meint Paul.
Es macht einen unglaublich wütend, zu wissen, dass man den Tätern nichts anhaben kann."Paul"
Doch nicht nur er litt, auch seine Eltern hatten große Angst. „Vor allem, wenn ich abends alleine von einem Vereinstreffen nach Hause gehen musste“, sagt Paul.
Schockiert war auch die Schulleitung, die von der Familie direkt informiert wurde. „Gemeinsam haben wir beschlossen, uns an die Polizei zu wenden und einen Handschrift-Vergleich zu machen.“ Das Resultat: kein eindeutiges Ergebnis. Einige Schüler wurden zwar mit ihren Eltern von der Polizei vorgeladen, aber einen Beweis und damit eine Bestrafung gab es nicht.
Und selbst wenn man die Schuldigen erwischt, hat es nur wenig Konsequenzen. Das musste Paul kurze Zeit später feststellen. Einer der Mobber hinterließ eine Drohung auf dem Anrufbeantworter; nicht einmal die Nummer hatte er unterdrückt.
Nun war einer der Täter bekannt. „Man führte mit ihm Gespräche und auch von seinen Eltern bekam er ziemlichen Ärger. Aber darüber hinaus gab es keine Strafen“, erinnert sich Paul.

Die Erklärung: Alle Mobber waren noch keine 14 Jahre alt und damit noch nicht strafmündig. „Es macht einen unglaublich wütend, zu wissen, dass man den Tätern nichts anhaben kann“, sagt Paul. Doch was noch viel schlimmer ist: Auch die Mobber wissen, dass sie nicht mit schweren Konsequenzen zu rechnen haben.
Damit ist es Sache der Eltern und der Schule, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Paul: „Aber viele Eltern, deren Kinder selbst mobben, sehen den eigenen Sprössling nur als einen Mitläufer. Und den Schulen fällt es oft schwer, sich ein Mobbing-Problem einzugestehen“.
Damit blieb als einzige Möglichkeit ein Schulwechsel. So weit weg sein wie möglich von den Mobbern. Daher entschied sich Paul, auf ein Gymnasium in einer anderen Allgäuer Stadt zu wechseln. Gar nicht so leicht, denn die erste Schule lehnte ihn ab. Mit der Begründung, sie selbst hätte bereits ein Problem mit Mobbing, da wolle man nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen.
Schließlich fand er eine Schule, in der es ihm besser ging. Doch kurz nach dem Wechsel landete ein Drohbrief zu Hause im Briefkasten. Vermutlich von den Mobbern der alten Schule. „Da rissen die Wunden wieder auf und ich hatte Angst, das alles würde nie ein Ende nehmen.“ Daraufhin installierte die Polizei Überwachungskameras am Haus der Familie. Mit Erfolg. Es gab keinen weiteren Brief.
Doch seine Leidensgeschichte hat Paul verändert: Eine Mischung aus Berührungsängsten, Unsicherheit und Furcht machte es ihm schwer, offen darüber zu sprechen, was ihm angetan wurde. Und trotzdem rät Paul zum Dialog: „Wenn so etwas passiert, muss man sofort handeln und sich einem guten Freund oder den Eltern anvertrauen.“ Selbst mit den Mobbern zu sprechen oder gar die Schuld bei sich zu suchen, bringe nichts und ziehe einen nur noch mehr runter.
Im Grunde sind es doch die Mobber, von denen alles ausgeht. [...] Und wenn sie ein Mobbing-Opfer suchen, dann finden sie auch eines, egal ob es bestimmte Merkmale hat oder nicht."Paul"
Die Frage ob er sich als klassisches Mobbing-Opfer sieht, kann Paul nicht beantworten: „Im Grunde sind es doch die Mobber, von denen alles ausgeht. Es gibt Menschen, die sich toll dabei fühlen, andere runterzumachen. Vielleicht wollen sie Grenzen austesten, Macht demonstrieren oder ihre eigenen Probleme überdecken. Und wenn sie ein Mobbing-Opfer suchen, dann finden sie auch eines, egal ob es bestimmte Merkmale hat oder nicht.“
Im Film „Fack ju Göhte 3“ wird das Mobbing-Problem gelöst. Die Täter entschuldigen sich beim Opfer und bedauern ihr Verhalten. Und hier unterscheidet sich der Film von der Realität, denn Reue zeigen Mobber selten. Bei Paul hat sich zumindest nie jemand entschuldigt.