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Vor 1600 Jahren: Germanen lösen Römer ab

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Vor 1600 Jahren: Germanen lösen Römer ab

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    Vor 1600 Jahren: Germanen lösen Römer ab
    Vor 1600 Jahren: Germanen lösen Römer ab

    Geordnetes Durcheinander regiert. Vor rund 1600 Jahren beginnen germanische Herrscher das Römische Westreich abzulösen. Damit endet die Antike und das Mittelalter beginnt. Das leitet auch im Allgäu ein neues Zeitalter ein. Dort ist die Lage bereits seit Längerem angespannt. Seit den 30er Jahren des 3. Jahrhunderts stürmen die aus Sicht der römischen Bevölkerung barbarischen Völker aus dem Norden und Osten über die Grenzbefestigung Limes. Verschiedene Stämme lassen sich in der Region nieder. Sie stehen selbst unter Druck aus dem Osten - die militärischen Erfolge der Hunnen aus Zentralasien haben eine Kettenreaktion ausgelöst, die als Völkerwanderung bekannt wird. 

    Heidnischer Glaube tritt auf dem Land wieder an die Stelle des Christentums. Dieses hatte der römische Kaiser Theodosius 381 immerhin bereits zur Staatsreligion erhoben. Ganz verschwindet es jedoch auch nicht mehr. Stämme wie die Alemannen, die durch das heutige Allgäu ziehen, vermischen ihre Götterwelt mit christlichen Glaubensvorstellungen, sagt Markus Peiker von der Interessengemeinschaft Lebendige Geschichte Allgäu und Augsburg. Nach und nach entwickelt sich eine neue Gesellschaftsordnung. Die neuen Siedler nutzen weiterhin Teile der römischen Infrastruktur wie Verkehrswege und verschiedene Gebäude. Doch die Germanen leben in kleineren Dorfgemeinschaften, bauen aus Holz und wechseln schnell den Ort. Dabei beschreibt das Wort Germanen eine ziemlich große Gruppe von Völkern. "Wir wissen überhaupt nicht, wer in der Völkerwanderungszeit wo lebt", sagt Birgit Kata, Historikerin aus dem Kemptener Stadtarchiv. "Man weiß wenig über diese Zeit und spricht deswegen gerne von dunklen Jahrhunderten", pflichtet ihr Volker Babucke bei. Er ist Archäologe und Leiter des Verlags Likias in Friedberg bei Augsburg und hat die frühmittelalterlichen Spuren im Allgäu unter die Lupe genommen.Was die Forscher aber wissen ist, dass die Stämme aus Norden und Osten ab dem frühen fünften Jahrhundert massiv in den Raum der römischen Provinz Rätien eindringen und damit die bisherige Ordnung gewaltsam verändern. Doch Babucke will nicht das häufig genutzte Schlagwort vom Untergang des Römischen Reichs verwenden. Er sieht es vielmehr so, dass die Germanen das Römische Westreich ablösen. Das Reich im Osten, mit der Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul), besteht noch bis ins 15. Jahrhundert.   Ein anderes Schlagwort schwächt Kata ab: Völkerwanderung. Das bedeute nicht, dass die Menschen damals ständig auf Achse sind. "Es sind viele, viele kleine Gruppen unterwegs. Sie haben Kinder und Alte dabei, müssen sich um ihr Vieh kümmern und gleichzeitig auskundschaften, wo sie gut leben können", sagt sie. Durchaus kann auch mal eine ganze Generation an einem Ort bleiben. "Aber wenn jemand für 20 oder 30 Jahre irgendwo lebt, merkt man 1500 Jahre später nicht mehr viel davon."Doch zurück ins Allgäu. In der Region lassen sich die neuen Bewohner vor allem im Osten nieder. Das belegen Gräberfunde, etwa bei Marktoberdorf, Schlingen und Pforzen. Die Menschen siedeln entlang der Wertach, wo sie fruchtbare Böden finden, wo Auenwälder Holz liefern und wo umliegende Hügel ideale Plätze für Verteidigungsanlagen bieten. Auch wenn die Zeit nach dem Ende Westroms (476 nach Christus) den Beginn des Mittelalters markiert, erfüllt sie noch keinerlei Klischeevorstellung davon. Weder was die Macht der Kirche noch was steinerne Burgen und Ritter in Rüstungen angeht. Damals bauen die Menschen sehr viel aus Holz, es ist der Rohstoff für fast alles. Eine entscheidende Rolle spielen breite Bäche und Flüsse wie die Iller, die ab Kempten mit Flößen befahren werden kann. Diese Verkehrswege ermöglichen erst den Handel mit dichter besiedelten Regionen. "Einige Gegenden im Allgäu werden erst spät besiedelt", sagt Kata. Damit meint sie vor allem die näher an den Bergen und damit höher gelegenen Landstriche. "Dauersiedlungen kommen dort erst spät zustande", sagt sie. Zu unwirtlich und lang ist der Winter und zu schwer erreichbar sind die von Urwald und Mooren bedeckten Täler. Schon zu Zeiten der Römer waren die Städte im Allgäu kleiner als in milderen und flacheren Regionen ihres riesigen Reiches.Die wichtigsten Hinweise, dass auch in den Jahren 400 bis 700 immer Menschen im Allgäu leben, sind die Orts- und Gewässernamen. Auch wenn für diese Zeit eine Lücke in der geschichtlichen Überlieferung der Region klafft, überdauerten viele Ortsnamen. Sie stammen teils sogar noch aus vorrömischer Zeit - etwa Cambodunum für das heutige Kempten. Archäologe Babucke hat noch ein Beispiel auf Lager: Der Name von Pforzen, das nördlich von Kaufbeuren liegt, leitet sich vom lateinischen Wort Porta für Hafen ab. Waren, die Lasttiere über die Berge bringen, setzen dort ihren Weg auf Flößen in Richtung Donau fort.Probleme im ganzen ReichEin nahegelegenes Gräberfeld geht auf die Zeit zurück, in der das Weströmische Reich zerbricht. Neben dem Druck von Außen sind dafür auch innere Wirren, bis hin zu Bürgerkriegen verantwortlich. So lässt sich nach Babuckes Worten nachvollziehen, warum so viele römische Errungenschaften in Vergessenheit geraten und das Leben sich dadurch verändert. Die Menschen brauchen Jahrhunderte, um mit Abwassersystemen oder Badehäusern wieder einen Komfort wie einst im Römischen Imperium zu entwickeln. "Die Probleme ergeben sich nicht nur dort, wo die Germanen dazukommen, sondern im gesamten Römischen Reich", sagt Babucke. Bewusst benutzt er dabei das Wort "dazukommen". Denn genau wie Kata und Peiker geht Babucke davon aus, dass damals ein Völkergemisch am Alpenrand lebt. "Schon die Grabsteine aus spätrömischer Zeit zeigen, dass nicht nur römische Bürger hier leben, sondern auch romanisierte Gruppen", sagt Kata. "Heute würde man sagen, die haben eine römische Aufenthaltsgenehmigung", vergleicht Peiker.Mit der Völkerwanderung kommen Germanen hinzu, zum Beispiel aus dem Thüringischen und aus Böhmen im heutigen Tschechien. Das schwäbische Herzogtum wird ab dem frühen zehnten Jahrhundert bestehen und sich bis in die heutigen Gebiete Graubünden und Elsass ausdehnen. Das ist zu Zeiten der Völkerwanderung jedoch noch Zukunftsmusik. Die bekannte Welt ist zu dieser Zeit damit beschäftigt, zu einer neuen Ordnung zu finden.

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