Noch heute gibt es das Sprichwort „Da fährt jemand schweres Geschütz auf“. Im Dreißigjährigen Krieg war das durchaus wörtlich gemeint. So wog die Kanone mit dem beschaulichen Namen „Nachtigall“ samt Unterbau knapp sechs Tonnen. Einen Nachbau besitzt auch die Wallenstein-Gruppe der „Kanoniere Breuner“ – benannt nach dem Generalfeldzeugmeister und obersten Artillerieführers Graf Johann Phillipp von Breuner.
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Das Geschütz wird in der historischen Woche von acht Kaltblütern gezogen und wurde einst mit Kugeln des Kalibers 19,5 Zentimeter geschossen. Die Reichweite lag bei maximal 15 Kilometern. Bei Wallenstein in Memmingen fliegen jedoch keine Geschosse mehr – das wäre zu gefährlich. Aber es qualmt und kracht immer noch ordentlich. Denn in Memmingen werden die Kanonen bei den Gefechtsübungen – in diesem Jahr auf einem Areal zwischen der Firma Metzeler und dem Grenzhof – immer noch gezündet. Und zwar historisch getreu mit Schwarzpulver, erklärt Gruppenleiter Markus Bilgram. Er ist seit drei Jahren Hauptmann, aber schon seit 33 Jahren bei Wallenstein aktiv.
Richtiger Umgang mit Sprengstoff: Schwarzpulverschein nötig
Es gelten fürs Publikum, aber vor allem für die Schützen spezielle Sicherheitsmaßnahmen. „Wer bei uns Kanonier werden will, muss sich schriftlich bewerben“, erklärt Bilgram. Ein siebenköpfiger Gruppenausschuss entscheidet nach der schriftlichen Bewerbung über die Aufnahme. Im braunen Wams wird die Person zunächst für ein Jahr zur Probe aufgenommen. Dann, meist am Fischertag, gibt es die schwarze Uniformjacke. Der Anwärter kann auf eigene Kosten eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung zum Umgang mit Sprengstoff ablegen. Alle fünf Jahre muss dieser „Schwarzpulverschein“ erneuert werden.

Die Kanoniere stopfen die Geschütze mit Schwarzpulver (bestehend aus Schwefel, Salpeter sowie Holzkohle) und Verdämmung. Mit einer Lunte zündet der Kanonier – aber erst nach einem speziellen Kommando. „Wichtig ist, die Ohren zu schützen, sich wegzudrehen und den Mund offen zu haben – wegen des Lärms und des Drucks“, erklärt Bilgram. Er habe das einmal vergessen – „da habe ich abends noch Ohrenklingeln gehabt ...“
Zudem haben die schweren Geschütze einen ordentlichen Rückstoß – teilweise mehrere Meter. Nach jedem Böllerschuss muss das Rohr von möglichen Glutrückständen gereinigt werden. Insgesamt sind für das Bedienen einer Kanone vier bis fünf Personen nötig.
Wenn die „Alte“ erschallt
Doch nicht nur die „Nachtigall“ ist dabei, sondern auch „die Alte“ (eine Holzkanone) sowie die Falkonetten „Gretel“ (Erb) und „Rolf“ (Bilgram) und das kleinere Feldgeschütz „Günther“ (Bachfischer). Benannt sind sie nach verdienten Mitgliedern der Gruppe. Ebenso wie der speziell gesicherte Pulverwagen, der nach dem langjährigen Fuhrmann nun „Rudi“ (Geromiller) heißt. Hinzu kommen ein Kugel- und ein Schanzkorbwagen, auf dem Werkzeug zum Ausheben von Stellungen transportiert werden.
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Doch zurück zu den Kanonen. Die Kartaune „Nachtigall“ war ein reines Belagerungsgeschütz, das so nah wie möglich (aber außerhalb der Schussweite der Gegner) an die gegnerische Mauer gebracht wurde, um Breschen in die belagerte Stadt beziehungsweise Burg zu schießen. „Aber allein die Größe dieses Kanonentyps und der Lärm, der bei der Schussabgabe entstand, trieb so manchen Gegner in die Flucht“, berichtet Bilgram.
Der Kanonentyp „Falkonette“ war auch als Präzisionskanone zum zielgerichteten Schießen bekannt. Diese wurde im Vergleich zu den Feldgeschützen mit Eisenkugeln geladen. Mit Kimme und Korn konnte präzise geschossen werden. Feldgeschütze wurden hingegen mit Schrot oder Kettenkugeln geladen – sie sollten den größtmöglichen Schaden in den gegnerischen Reihen verursachen.
Böller am Fischertag in Memmingen
Die Kanoniere Breuner schießen jedoch nicht nur bei den Wallenstein-Spielen, wo samt Gefechtsübungen und Reiterspielen zwischen 50 und 100 Schüsse abgegeben werden. Auch beim Fischertag sind sie im Einsatz – sie geben pünktlich um 8 Uhr lautstark das Signal zum in den Stadtbach jucken.
Die Gruppe der Kanoniere wurde 1972 gegründet und umfasst derzeit 83 Mitglieder, davon 21 Kinder, 21 Marketenderinnen und 41 Männer. 20 von ihnen haben die Erlaubnis, mit dem Sprengstoff zu hantieren. Zur Gruppe gehören auch Musiker.
Unterstützt werden sie in der Festwoche von insgesamt 24 Fuhrleuten mit 18 Kaltblütern. „Ohne sie würden wir bei den Umzügen nicht so ein imposantes Bild abgeben“, betont Bilgram. Wenn die Tiere nicht bei Wallenstein im Einsatz sind, arbeiten sie in der näheren Umgebung als Holzrückepferde.
An Wallenstein begrüßt die Gruppe auch noch 50 befreundete Engländer im Lager im Reichshain. Seit Jahrzehnten wird der Kontakt gepflegt. 2004 wurde sogar mehr daraus: Eine hiesige Marketenderin verliebte sich in einen „Pikeman“ von der Insel und wanderte 2012 nach Wales aus. „Heuer an Wallenstein kommen sie uns wieder besuchen“, freut sich Bilgram mit dem Paar.