„Vielleicht steh' ich ja auch auf ein Mädchen.“ So hat sich Julia vor 3 Jahren bei mir als lesbisch geoutet. Ich hatte gerade fast alle Jungs unserer Jahrgangsstufe aufgezählt, um herauszufinden, in wen sie verliebt war. „Am Anfang wollte ich es verdrängen. Dann dachte ich, ich wäre allerhöchstens bisexuell und jetzt weiß ich, ich bin lesbisch“, erzählt Julia im allgaeu.life-Interview.

Heute ist sie mit Katharina zusammen. Auch sie dachte zunächst, sie wäre bi. „Das war dann ein hin und her, was genau ich bin. Ich sage auch lieber, dass ich queer bin und nicht lesbisch“, erklärt Katharina. Denn auch wenn sie jetzt mit Julia zusammen ist und das auch bleiben will: man weiß nie, was das Leben bringt. „Es kann ja immer noch sein, dass ich irgendwann in meinem Leben jemanden kennenlerne und mich in die Person verliebe, obwohl das ein Mann ist.“
Reaktionen der Außenwelt
Von ihren Freunden haben beide nur positive Reaktionen bekommen. „Meinen Eltern ist es egal, dass ich lesbisch bin und meine Großeltern lieben Katharina“, lacht Julia. Katharinas Familie muss sich allerdings noch an das Outing der 19-Jährigen gewöhnen.
Wenn die beiden händchenhaltend durch die Stadt laufen, sieht das mit den positiven Reaktionen aber gleich anders aus. „Wir kriegen meistens abwertende Blicke ab, oder uns wird hinterher gepfiffen“, erklärt Katharina und Julia fügt hinzu: „Wir merken oft, dass Leute mit ihren Freunden tuscheln, aber die meisten sagen nichts zu uns direkt.“
Zum Glück treffen sie aber nicht nur auf Abwertung. „Wenn junge Leute schauen, ist das oft ein hoffnungsvoller Blick", erzählt Katharina. Vor allem von älteren Menschen hören die beiden doch auch mal Sätze wie „Ach, wie süß.“
Wenn junge Leute schauen, ist das oft ein hoffnungsvoller Blick.Katharina
In Bezug auf Toleranz gibt's trotzdem noch viel zu lernen. „Das Allgäu, aber auch Bayern generell, ist sehr verklemmt.“ Das habe vor allem damit zu tun, dass Bayern katholisch geprägt ist. „Das ist wie eine Spirale: Man ist verklemmt, was in dem Fall Homosexualität angeht, dadurch zeigen es weniger Menschen und dadurch ist es dann eine Ausnahme, wenn lesbische oder schwule Paare durch die Stadt laufen“, versucht Julia die Situation zu erklären.
Unabhängig vom Ort sind beide der Meinung: Die Älteren sind im Vergleich zu der jüngeren Generation oft intoleranter. „Es gibt den Unterschied zwischen Akzeptanz und Toleranz. Viele nehmen Homosexualität einfach nur hin, aber tolerieren es nicht wirklich“, so Julia. Wobei es sich aus ihrer Sicht immer mehr zur Toleranz entwickelt.
Wir merken oft, dass Leute mit ihren Freunden tuscheln, aber die meisten sagen nichts zu uns.Julia
Und je größer die Stadt ist, desto toleranter sind die Menschen. Auf ihrem Trip nach Köln im vergangenen Jahr wurden sie zwar nicht so viel angestarrt, machten aber trotzdem eine im Nachhinein lustige Erfahrung: „Da kam ein Typ zu uns und hat uns jeweils 50 Euro angeboten, wenn wir uns küssen, er zuschauen und sich einen runterholen darf.“
Ist homo gleich homo?
Die Toleranz gegenüber Lesben ist häufig größer als die gegenüber Schwulen. Lesben werden oft sexualisiert und das "versteinerte Männerbild" trage laut Katharina auch dazu bei."Den Schritt, dass Frauen Hosen tragen, haben wir gemacht, aber dass Männer Kleider tragen können, nicht. Jungs stehen unter dem Druck, dass sie möglichst 'männlich' sein müssen." Auch Julia erinnert daran, dass "schwul" immer noch als Beleidigung gesehen wird. Damit verbindet man nichts Männliches und Hartes.

Das Ding mit der Bibel
Oft wird die Bibel als Argument gegen Homosexualität genommen. Auch in der Debatte um die Homo-Ehe rechtfertigte sich die Contra-Seite damit, dass in der "Heiligen Schrift" von der Ehe zwischen Mann und Frau die Rede sei. „Das ist Auslegungsache“, meint Julia, die selbst evangelisch ist. „Die Bibel sagt nicht direkt, dass Homosexualität verboten ist. Außerdem ist sie schlussendlich auch nur von Menschen geschrieben und nicht direkt von Gott.“ Zustimmend erklärt Katharina: „Wenn das Dein Glaube ist, okay. Du musst ja nicht lesbisch oder schwul oder was auch immer werden, aber lass andere Menschen so sein, wie sie sind.“ Man müsse schließlich auch nicht zu anderen Religionen konvertieren, nur weil man anderer Menschen Glauben toleriert.

Für die Zukunft
"Ich würde mir wünschen, dass man nicht mehr das Gefühl vermittelt bekommt, man wäre falsch", gesteht Katharina auf die Frage, was sie sich für die Zukunft erhoffen. Julia fügt dem ernst hinzu: "Dass normale Dinge einfach normal werden. Wir laufen beispielsweise Händchenhaltend zum Supermarkt und alle starren. Dann denk ich mir immer: 'Leute ich will einfach nur Semmeln holen!'"
Leuten, die sich noch nicht getraut haben, sich zu outen und ihre Sexualität noch verstecken, können die beiden Abiturientinnen nur raten: Mach's einfach. "Such Dir eine Person, der Du vertraust. Je schneller Du Dir im Klaren bist, dass es okay ist, desto besser"
Auch vor schlechten Reaktionen soll man keine Angst haben. Man soll sich immer die Frage stellen "Willst Du wirklich mit der Person befreundet sein, wenn sie schlecht darauf reagiert, wer Du bist? Ist es die Person wert, dass Du Dich die ganze Zeit verstellst? Dass Du mit dem Gedanken lebst, die Person würde Dich weniger mögen, wenn sie die Wahrheit wüsste."
Ich würde mir wünschen, dass man nicht mehr das Gefühl vermittelt bekommt, man wäre falsch.Katharina
Natürlich ist das komplizierter, wenn es um Familienmitglieder geht. Diese kann man ja nicht einfach meiden. "Wenn Dir droht, dass Du von Deinen Eltern rausgeworfen wirst, warte am besten mit dem Outing, bis Du ausgezogen bist. Oder wenn euch Gewalt droht, ist es vielleicht besser, es vor dieser Person erst mal zu verheimlichen. So blöd das auch klingen mag", rät Julia.
Auch auf die Frage, wie man am besten auf ein Coming-Out reagiert, haben sie sofort eine Antwort: positiv. "Wenn es euch nicht passt, solltet ihr die eigene Meinung unterdrücken. Versucht, euch in euer Gegenüber hineinzuversetzen, wie wichtig es ihm oder ihr ist", erklärt Julia. "Es braucht viel Mut, sich einem Menschen anzuvertrauen und das sollte man schätzen, auch wenn man nicht begeistert davon ist, was einem gerade erzählt wird", ergänzt Katharina.
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