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Wohin mit all der Kunst?

Künstler und ihr Nachlass

Wohin mit all der Kunst?

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    Der Nachlass von Marion Bracciali ist im "Kultiviert" in Wildpoldsried ausgestellt.
    Der Nachlass von Marion Bracciali ist im "Kultiviert" in Wildpoldsried ausgestellt. Foto: Matthias Becker

    Mario Bracciali ist erleichtert. Endlich, nach vielen Jahren, hat der 71-Jährige aus der Oberallgäuer Gemeinde Haldenwang einen guten Platz für die vielen Bilder und Grafiken seiner verstorbenen Frau Marion gefunden. 199 Radierungen und 212 Acrylbilder von Marion Bracciali befinden sich nun im Besitz der Nachbargemeinde Wildpoldsried, die damit ihr ökologisches Bildungszentrum Kultiviert ausgestattet hat, zu dem ein Hotel, Seminarräume, ein Saal und ein Café gehören. „Ich bin froh, dass die Arbeiten in Wildpoldsried nun eine neue Heimat gefunden haben.“

    Künstler Uwe Neuhaus macht sich keine großen Gedanken um seinen Nachlass: "Alles ist vergänglich."
    Künstler Uwe Neuhaus macht sich keine großen Gedanken um seinen Nachlass: "Alles ist vergänglich." Foto: Matthias Becker

    Heimat. Ein passender Begriff. Denn die Malerin und Grafikerin Marion Bracciali war lange Zeit auf der Suche danach: 1947 in Kiel geboren, führte sie lange ein unstetes Leben. In 28 Jahren zog sie neun Mal um, ehe sie 1968 im Allgäu sesshaft wurde. Mit ihrem Mann Mario erfüllte sie sich den Traum von einem eigenen Haus: Fünf Jahre lang restaurierten sie im Oberallgäuer Dorf Haldenwang ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert. Hier eröffnete sie 1989 eine Werkstattgalerie und Druckwerkstatt. In ihrer Kunst setzte sie sich mit der Allgäuer Landschaft, mit Bauerngärten und Kühen, dem schwäbischen Barock und aktuellen Themen auseinander. Das Zopfmuster alter Allgäuer Bändelteppiche nutzte sie in ihrer Kunst häufig als Verbindungssymbol zwischen Geschichte und Gegenwart. „Sie hat sich das Allgäu angeeignet“, sagt Mario Bracciali.

    Weil ihn das Bildungszentrum der Nachbargemeinde beeindruckte, fragte er dort nach, ob es nicht in den vielen Räumen Platz für den künstlerischen Nachlass seiner Frau gäbe. Bürgermeister Arno Zengerle zeigte sich begeistert. So schmückt nun ein Großteil der Arbeiten die Wände der Hotelzimmer und Flure des Bildungszentrums. Zudem wird dieses Jahr im Kulturcafé in vier Themen-Ausstellungen die Kunst Braccialis vorgestellt. „Das ist ein wahrer Glücksfall für Wildpoldsried“, sagt Zengerle.

    Ein Glücksfall. Ja, so sieht es auch Uwe Neuhaus. Der Maler aus Opprechts bei Altusried findet es gut, dass so die Kunst seiner Kollegin weiterlebt. „Über meinen eigenen Nachlass habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, ich bin ja erst 75“, sagt der Künstler und kneift seine Augen schelmisch zusammen.

    Der alte Bauernhof, auf dem er mit seiner Familie lebt, ist gut gefüllt mit seinen Kunstwerken. Was passiert mit den Arbeiten nach seinem Tod? Seine Frau und seine Tochter werden wohl ein paar Arbeiten nehmen, aber sonst? „Alles ist vergänglich“, sagt Neuhaus. „Und wenn die Sachen keiner haben will, kann man sie auch nach zwei, drei Jahren schreddern.“

    Künstler Horst Heilmann würde am liebsten einen Experten zu rate ziehen, um sein Lebenswerk durchzugehen.
    Künstler Horst Heilmann würde am liebsten einen Experten zu rate ziehen, um sein Lebenswerk durchzugehen. Foto: Matthias Becker

    Andererseits hat er auch eine Idee: „Es könnte ein ‚Kaufhaus Nachlass’ geben, das immer offen ist, und in das die Hinterbliebenen die Kunstwerke einstellen“, sagt er. Für wenig Geld könne sich da jeder bedienen, ob er nun ein Hotel einrichten will oder neue Bilder fürs Wohnzimmer braucht. Aus dem Erlös könnte das Kaufhaus finanziert werden. Das Wichtigste für Neuhaus: „Die Kunst kommt so unter die Leut’“. Der Zeitgeschmack der nächsten Generation werde sowieso einiges aussortieren, ist er sich sicher. Angesichts der vielen Künstler, die unentwegt produzieren, hält er aber auch ein rein digitales Kunstarchiv für denkbar.

    „Das, was ich produziert habe, erschlägt mich – auch weil ich jetzt weniger Zeit habe“, sagt Horst Heilmann. In großen Zeichenschränken in seiner Kemptener Wohnung hat der 72-Jährige, der auf Papier und Karton malt, seine Bilder gelagert. Aber nicht nur hier, auch in einem Lager in der Stadt. Horst Heilmann tut sich schwer, das Wichtige vom weniger Wichtigen zu trennen, weniger Geglücktes wegzuwerfen. Warum? „Ich sehe mir immer wieder alte Arbeiten von mir an und konfrontiere sie mit der Qualität des Neuen.“ Aussortieren und sich um einen Vorlass kümmern, das könne er nicht allein. Auch, weil er um jedes seiner Bilder hat kämpfen müssen. „Eine schnelle Zufriedenheit ist mir fremd“, sagt Heilmann. Um eine Quintessenz aus seinem umfangreichen Œuvre zu bekommen, bräuchte er den Blick von außen – am besten den eines verständnisvollen Kunstexperten. Doch der sei eben schwer zu finden ...

    Generelle Infos zum Thema:
    10 000 Nachlässe professioneller Künstler gibt es nach Schätzungen des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) in Deutschland. Nur einen Bruchteil (fünf Prozent) zeigen öffentliche und private Museen. „Das ist zu wenig“, sagt Gerhard Menger, Vorsitzender des BBK Allgäu/Schwaben-Süd. „Kunstwerke sind ein Spiegel der Zeit und ein wichtiges Element unserer Erinnerungskultur.“ 200 Künstler sind im BBK Allgäu/Schwaben-Süd organisiert.

    „Das Interesse für das, was war, ist da, aber für das, was ist, das fehlt oft“, sagt Menger und wünscht sich ein „Museum für zeitgenössische Kunst im Allgäu“, in dem vor allem Malerei, Grafik und Druckgrafik von Allgäuer Künstlern eine Heimat finden sollten. Es sollte aber nicht nur ein Depot sein: Die Werke müssen auch regelmäßig gezeigt werden.

    Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten: Eine eigene Stiftung hat der Ottobeurer Künstler Diether Kunerth (76) gegründet. Sie soll sein Werk in Form von 200 Gemälden und 17 Bronzeskulpturen dauerhaft zugänglich machen. In Eggisried bei Ottobeuren kümmert sich auch die Erich-Schickling-Stiftung um das Werk des Künstlers Erich Schickling (1924 – 2012). Sein Wohnhaus in ein Museum umfunktioniert hat Peter Zeiler. Der 86-jährige Irseer zeigt hier in Ausstellungen seine Radierungen, Keramiken, Zeichnungen und Bilder, die er in eine Stiftung eingebracht hat. Er hofft, dass dies seine Familie weiterführt.

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