Der Kuckuck fliegt als Zugvogel 15 000 Kilometer von Afrika nach Europa und kommt im Allgäu heute Anfang April – damit zwölf Tage früher als vor 30 Jahren. Dadurch passen die Eiablage seiner Wirtsvögel, denen er als Brutparasit seine Eier unterjubelt, und die Insektendichte als Futterbedarf zeitlich nicht mehr zueinander. Mit konkreten Beispielen und mit aussagekräftigen Schaubildern zeigte Diplombiologe Dr. Michael Schneider aus Wertach die Auswirkungen des Klimawandels im Allgäu.
Er fand zu seinem Referat auf dem Schrannenboden im Buchloer Heimatmuseum einen großen Zuhörerkreis. Eingeladen hatten zu dem aktuellen Thema die Buchloer Blumen- und Gartenfreunde und der Heimatverein Buchloe. Ist doch der Klimawandel zur Zeit, auch durch die Fridays for Future-Schülerdemonstrationen, in aller Munde. Jedoch fehlen neben den allgemein bekannten Ursachen und Folgen der Erderwärmung genaue lokale Untersuchungen für das Allgäu.
Deshalb erarbeitete Schneider in einer eigenen objektiven Studie, ohne politisches oder wirtschaftliches Sponsoring, die vorliegenden Fakten und feststellbaren Auswirkungen des Klimawandels im Ober-, Ost- und Unterallgäu, erklärt er. Schneider sammelte und untersuchte dazu die Daten des Deutschen Wetterdienstes, der Waldklimastationen und des Gewässerkundlichen Dienstes Bayern. Befragt wurden auch einheimische Biologen, Artenschutzbeauftragte, Fachleute der Forst- und Wasserwirtschaft, Insekten- und Schmetterlingskundler und Naturschutzbeauftragte. Es ging dabei vor allem um Klimadaten, Wassertemperaturen, phänologische Daten (Blühzeiten), Vegetationsperioden, Zugzeiten der Zugvögel und lokalen Veränderungen in der Fauna und Flora des Allgäus. Seine Diagnose ist erschreckend.
Auffällig ist generell, dass der Alpenraum besonders sensibel auf die Klimaänderungen reagiert. So hat sich dieJahresdurchschnittstemperaturim Allgäu von 1850 bis heute um 1,4˚ Celsius bis 2.4˚ C erhöht, gegenüber der globalen Erhöhung von 1˚ Grad. Nach einer Simulierung mit dem GLOWA-Projekt muss Oberstdorf bis 2060 im Sommer mit einer 3˚ C höheren Durchschnittstemperatur rechnen. Dagegen will der Internationale Klimarat die globale Temperaturerhöhung auf 1,5˚ C begrenzen, der Pariser Klimaratsbeschluss auf 2,0˚ C. Beide Begrenzungswerte sind aus jetziger, realistischer Sicht nicht erreichbar. Laut Dr. Schneider ist es nicht fünf, sondern eine Minute vor zwölf Uhr für unseren Globus.
Der Vergleich historischer Foto zeigt das schnelleAbschmelzen der Gletscherund des arktischen Eisschildes in den letzten Jahrzehnten. Der Schwarzmilzferner-Gletscher an der Allgäuer Mädelegabel hatte vor hundert Jahren noch eine Dicke von 60 Metern, heute sind es noch sechs Meter, sein Verschwinden ist absehbar. Damit geht ein Trinkwasserreservoir verloren. Durch den Rückgang des dauernden Permafrostes im Hochgebirge kommt es zu mehr Felsstürzen, Steinschlag und Muren. Global steigt der Meeresspiegel an, zur Zeit jährlich um 3,2 Zentimeter. Die Zahl derKlimaflüchtlingeist heute schon höher als die der Kriegsflüchtlinge. Für 2050 werden gar 100 Millionen Klimaflüchtlinge prognostiziert.
Die vergangenen fünf Jahre waren auch im Allgäu die wärmsten, seit Wetterdaten vorliegen. Im Jahre 2019 wurden zum ersten Mal an drei Tagen die 40˚ C überschritten und alle Monate, außer Mai, waren bisher im Schnitt wärmer als früher. Das Mittelmeerklima erobert zusehend das Allgäu. DieKlima-Superlativehäufen sich: der heißeste Monat, das trockenste Jahr, der mildeste Winter. Innerhalb von zehn Jahren gab es an Pfingsten zwei Jahrhundert-Hochwasser. Starkregen, Hagelschauer und orkanartige Stürme nehmen zu.
Die negativen Folgen für den Lebensraum Allgäu zeigen sich immer offensichtlicher. Bei den vorherrschendenFichtenwäldernkommt es aufgrund ihrer flachen Tellerwurzeln zu Windwürfen und zum Absterben durch Trockenheit. Die Anfälligkeit für den Borkenkäfer nimmt durch Wärme und Trockenheit rapid zu. Deutlich zu sehen sind auch der Rückgang des Berg- und Lawinen-Schutzwaldes sowie die Verschiebung der Baumgrenze nach oben. Als Gegenmaßnahme pflanzte die Bayerische Bergwaldoffensive in den vergangenen zehn Jahren eine halbe Million Bäume. Zunehmend werden Buche, Eiche und Ahorn Einzug im Allgäu halten.
Generell sind dieWassertemperaturenin den Allgäuer Flüssen um 1,2˚ C bis 3,4˚ C gestiegen und es kommt zunehmend zuTrockenphasen. Dies hat Auswirkungen auf die verschiedenen Fischregionen und die Fischbestände. So verlagert sich etwa die Forellenregion gewässeraufwärts. Auch Amphibien wie Bergmolch, Gelbbauchunke, Grünfrosch und Alpensalamander suchen höhere Gebiete. Sie sind aber auch von einer Pilzkrankheit bedroht, die es nur in tropischen Gebieten gibt. Trockenheitsphasen und geringere Niederschläge – bisher im Allgäu 50 Millimeter jährlich weniger – haben Auswirkungen auf denGrundwasserspiegel, der in etwa 20 Jahren um zwei Meter sinken wird. Die Trinkwasserversorgung ist gefährdet, auch die Stromerzeugung durch Wasserkraft wird in den Allgäuer Flüssen deutlich zurückgehen.
In der Pflanzenwelt des Allgäus zeigen sichfrühere Blühzeiten, zum Beispiel bei der Haselnuss, beim Löwenzahn und bei der Herbstzeitlose. Durch die Erwärmung verlängert sich dieVegetationsperiodeim Jahr; seit 1952 bis 2016 hat sie sich im Allgäu im Schnitt um 24 Tage verlängert, in Pfaffenhausen sogar um 35 Tage, also mehr als einen Monat. 16 von 20 Zugvögelarten kommen zwei Wochen früher als vor 30 Jahren. Wärmeliebende Pflanzen und Tiere nehmen zu, wie Goldrute, Zecken oder Eichenprozessionsspinner. Andere wandern aus südlichen Gebieten ein: Feuerlibelle, Tigermücke oder Wespenspinne. Bisher heimische Pflanzen und Tiere wandern nach Norden oder im Gebirge in höhere, kältere Regionen, wie Hochmoorperlenfalter, Alpenrispengras, Feldgrille oder Murmeltiere. Auch die Gämsen wandern in höhere Lagen, wo dasNahrungsangebotjedoch geringer ist. Sie haben in den vergangenen 30 Jahren etwa 20 Prozent an Gewicht abgenommen, da sie auch durch die höheren Temperaturen inaktiver werden und weniger fressen. Sogar die Wildschweine, die früher bis nördlich der Donau lebten, ziehen jetzt durch Allgäuer Fluren, da mehr Frischlinge die milderen Winter überleben und Laubwälder mit Eicheln und Bucheckern zunehmen – und natürlich auch der Mais lockt.
In den nächsten Jahrzehnten werden die winterlichenFrosttageim Allgäu von bis jetzt 14, um 50 Tage abnehmen und die geschlossene Schneedecke etwa 40 bis 80 Tage weniger liegen. Damit werden die Betriebstage der Skilifte in den nächsten 20 Jahren um mindestens 25 Tage abnehmen.
In der abschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die Buchloer Störche heuer zum erstenmal keine Anzeichen machten, Richtung Süden zu fliegen. Lobenswert wurden die energetischen Sanierungen und die Photovoltaikanlagen der städtischen und schulischen Gebäuden in Buchloe erwähnt und das geplante Klima-Anpassungs-Paket des Landkreises Ostallgäu. Der kommende Buchloer Stadtrat sollte die notwendige Wohnbebauung auch klimafreundlich gestalten und einen eigenen Klimabeauftragten benennen, um kommunalpolitisch gegen den heimischen Klimawandel agieren zu können.