Schon seit Wochen war der gemeinsam von der Waaler Pfarrei St. Anna und der katholischen Erwachsenenbildung Kaufbeuren/Ostallgäu organisierte Vortrag „Quo vadis Kirche“ („Wohin gehst du, Kirche?“) ausverkauft. Der ebenso bekannte wie beliebte Münchner Seelsorger und Buchautor Pfarrer Rainer Maria Schießler überzeugte das Publikum auf der Bühne des Waaler Passionsspieltheaters. Durch den Tod von Papst Franziskus hatte der zweistündige Vortrag, bei dem es um Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit der römisch-katholischen Kirche ging, durch die Wahl eines neuen Kirchenoberhauptes einen unerwarteten Extra-Dreh bekommen. Begrüßt wurde Schießler von Diakon Hermann Neuner.
„Es gibt kein Recht auf Weihe“, sagt Schießler
Die Besucherinnen und Besucher mussten geistig sehr beweglich sein, bei Schießlers fast vollständig frei gehaltenem Zwei-Stunden-Vortrag. Er selbst war es auch, allein räumlich gesehen: Den vorbereiteten Tisch nutze der Pfarrer nicht, sondern war stehend und mitunter lebhaft gestikulierend, vorn an der Rampe zu finden – bei den 575 Menschen sozusagen. Das sagte einiges über sein Verständnis von Kirche und vom Papstamt aus.

Klar, dass er von der Art von Papst Franziskus begeistert war und auch große Hoffnung auf seinen frisch gewählten Nachfolger Leo setzte. Dabei gehe es ihm allerdings nie darum, sich vorschnell vom innerkirchlichen Lager der Modernisten vereinnahmen zu lassen, sondern um die Liebe, in aller gebotenen Freiheit für den Einzelnen. Dieser sollte in seinen Lebenswelten und -erfahrungen ernst genommen werden. Und so plädierte Schießler auch für mehr Mitsprache für Frauen in der Kirche. Zum Beispiel „darf Frauen nicht wegen ihres Geschlechts die Berufung abgesprochen werden“, andererseits gebe es aber „kein Recht auf Weihe – übrigens auch für Männer nicht“.

Harte Fakten, die übersehen werden
Zu wenig Beachtung fand seiner Meinung nach auch, was Franziskus bereits geändert hat: die Möglichkeit, dass etwa in der Vatikan-Verwaltung inzwischen Frauen die Dienstvorgesetzten von Kardinälen sein könnten. Das habe es vorher so nicht gegeben und relativiere doch etwas die einseitige Fokussierung auf die Frage, wer am Altar steht.
Wie auch immer: Es ging um sehr viel, eigentlich um alles, an diesem Abend. Schießler tauchte tief in die eigene Familiengeschichte ein – inklusiver interessanter Details von amüsant bis tragisch-berührend. Weiterhin ging es um die Verstrickungen der Kirche in Schuld, die er klar benannte: „Missbräuche und Kreuzzüge hätten nie passieren dürfen“, genauso wenig wie eine Komplizenschaft mit dem NS-Regime.

Ein Abend zum Nachdenken
Immer wieder kam auch Schießlers Faszination für eine geheimnisvolle innere Größe der Kirche zum Ausdruck, die nichts mit äußerem Pomp zu tun hat. Sehr wohl aber unter anderem mit dem Auszug der Juden aus Ägypten, der zugleich ein „Exodus aus einem falschen Gottesverständnis gewesen“ sei. Und natürlich immer wieder Jesus: Auch dieser habe sich im Garten Gethsemane von einem Gott, „der da ist“, auffangen lassen.
Zurück zur Sprache: Schießler redet kraftvoll im Dialekt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, unter Vermeidung von Fremdwörtern – was ihm nicht ganz gelang: Die „Transzendenz“ – das Hinweisen in einer „verbeulten Kirche“ auf etwas, das über sie hinausgeht – war ihm wichtig. Am Ende laß Schießler dann doch ab: Texte von Tucholsky und Hüsch begleiten die Besucherinnen und Besucher auf dem Heimweg, nach einem Abend, der einem ohnehin noch lange im Hirn herumgehen wird.
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