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Bayerischer Tag der Tracht in Füssen: D’Neuschwanstoaner halten über „Mythos Tracht“ und ihren 125. Geburtstag

Tradition und Brauchtum

„Bayerische Tag der Tracht“ im Vereinsheim Füssen: Über die Frage der Echtheit und der Entstehung

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    Der Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner feierte seinen 125. Geburtstag. Unter anderem mit Füssens Bürgermeister Maximilian Eichstetter.
    Der Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner feierte seinen 125. Geburtstag. Unter anderem mit Füssens Bürgermeister Maximilian Eichstetter. Foto: Rainer Paulick

    Jedes Jahr findet am 14. Juli der „Bayerische Tag der Tracht“ statt – organisiert vom Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner, Stamm Füssen, in Kooperation mit dem Allgäuer Heimatwerk.

    Neben Immenstadt gilt Füssen als Wiege der Trachtenbewegung im Allgäu: Allein zwischen 1900 und 1935 gründeten sich hier fünf Vereine. Damals nannte sich der heute traditionsreiche Verein D’Neuschwanstoaner noch „Alpenclub Edelweiß und Almenrausch“.

    „Mythos Tracht“ im Vereinsheim Füssen: Vorsitzender Richard Hartmann hält Vortrag

    Im Vereinsheim am Schrannenplatz hielt Richard Hartmann, Sprecher des Hauptvorstandes der Neuschwanstoaner, einen Vortrag zu dem Thema „Mythos Tracht“. Darin stellte er die scheinbare „Echtheit“ der Tradition infrage – und machte auch auf die sture Haltung mancher Brauchtumsverfechter aufmerksam: „Es gibt regelrechte Trachten-Taliban, die behaupten, das sei alles schon immer so gewesen.“

    Tracht, so Hartmann, entstand erst im 18. Jahrhundert als bewusste Gegenbewegung zur städtischen Mode. Was wir heute als „klassisch“ ansehen, war schon immer im Wandel. Ursprünglich diente Kleidung vor allem dazu, Standesunterschiede sichtbar zu machen.

    Besonders spannend ist, dass die ersten Trachtenerhaltungsvereine eigentlich ein Phänomen der Industriezeit sind. Beispielsweise in den 1860er-Jahren wuchs Füssens Einwohnerzahl rapide durch einen Arbeitgeber, der vor allem junge Arbeiterinnen und Arbeiter in die Lechstadt zog: die Hanfwerke.

    Sie kamen aus Gegenden wie Miesbach, Hausham oder Bad Tölz. Um sich im Rahmen der damaligen Schicklichkeit zu treffen und eine Gemeinschaft zu bilden, gründeten die jungen Leute Vereine. Dabei brachten sie ihre Heimattrachten mit – und so hielt deren Stil Einzug im Allgäu.

    Gebirgstrachten- und Heimatverein D’Neuschwanstoaner: Tracht als Ausdruck

    In dieser Zeit war Tracht vor allem Ausdruck von Zugehörigkeit. Es ging nicht um Dirndlromantik, sondern um Selbstbehauptung in der aufkommenden Arbeitergesellschaft. Später trugen auch die Wittelsbacher zur Romantisierung bei. Ludwig I. ließ 1810 zur Hochzeit mit Therese Kinder in regionaler Tracht beim Festumzug aufmarschieren – der Ursprung des heutigen Oktoberfests. Sein Sohn, Max II., ließ Menschen aus ganz Bayern in ihrer „ortstypischen Kleidung“ porträtieren, und sein Enkel Ludwig II. unterzeichnete persönlich das Gesuch zur Vereinsgründung in Füssen – zwei Monate vor seinem Tod.

    Dann kam Prinz Luitpold, der mit kurzer Lederhose und Joppe auf die Jagd ging und sich so porträtieren ließ. Ein Bild, das bis heute in der Politik fortlebt: Wer Volksnähe zeigen will, greift zur Tracht. Nach Luitpold explodierte die Zahl der Trachtenvereinsgründungen regelrecht.

    Am „Bayerischen Tag der Tracht“ über den Missbrauch der traditionellen Kleidung

    Auch die dunkle Seite wurde nicht ausgespart: Die Nationalsozialisten missbrauchten das Brauchtum gezielt, um ihre Ideologie in ein völkisches Kleid zu hüllen. Unter dem Schlagwort „deutsches Brauchtum“ wurde eine heile Welt konstruiert, die so nie existierte. Bekanntlich krachte dieses System 1945 in sich zusammen.

    Im Jahr 1948 beantragten die Neuschwanstoaner dann die Genehmigung, wieder Heimatabende veranstalten zu dürfen. Und bald darauf formierten sich neue Heimatbewegungen. Die Sissi-Filme und Heidi taten ihr Übriges – das Traditionsbild war zurück, mit Romantik und Alpenkulisse.

    Und heute? Nach einem kurzzeitigen Pandemie-Knick sieht Hartmann die Zukunft positiv: denn junge Menschen interessieren sich wieder für Traditionen. Und vermutlich schaffen sie im Laufe der Zeit selbst wieder neue. Denn: „Die Tracht, die man heute sieht, ist nur ein kleines Zeitfenster.“

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