„Augenblick, verweile doch!“, so heißt das außergewöhnliche Faustprojekt, mit dem sich die Theatergruppe des Gymnasiums Füssen seit Ostern beschäftigt. In einem „Powerwochenende“ bei größter Hitze gaben die etwa 40 Teilnehmer aus den Jahrgangsstufen fünf bis zwölf ihrem Vorhaben den letzten Schliff, wie Schulleiter Anton Wiedemann in seiner Begrüßung betonte. Schonungslos wurde das Premierenpublikum in einer turbulenten Faust-Adaption in das Jetzt und Heute katapultiert. Nach einer Vorlage von Klaus Opilik boten die Schüler mit großer Begeisterung unter der Leitung von Uwe Favero eine kurzweilige, ambitionierte Aufführung, die zugleich in die Tiefe ging und aufrüttelte.
In einem Balanceakt wurden bekannte Zitate der Goethe-Vorlage in Versform vermixt mit einem komplett neuen Text in Schülersprache. Dazu kommen modern ausgewählte Musikeinspielungen und eigene Songs mit Pianobegleitung. Auf der großen Bühne sind die bekannten Handlungsorte deutlich erkennbar. Die Figuren aus dem Original agierten im sorgfältig ausgewählten Scheinwerferlicht. Gott tritt auf als Lichtgestalt hoch oben in den Wolken, umgeben von den Engeln. Mephisto, der Widersacher, positionierte sich als auftrumpfender Gegenspieler. Dazwischen agieren die Menschen als „Wesen zwischen Tag und Nacht“.
Schüler sitzen in der Klasse, regen sich auf über den öden Schulalltag und geißeln das sinnlose Lernen mit Fragen, die wie blitzschnelle giftige Pfeile losgeschossen werden. „Je mehr wir lernen, desto weniger kapieren wir“, ist ein Resümee. Ein Teil ist auf der Suche nach dem großen Ganzen, das die Welt zusammenhält. Anderen wiederum „geht das am Arsch vorbei“. Wagner, der Streber, lechzt nach Wissen, das Macht verleiht. Er erhält prompt die Antwort, dass dafür das Internet zuständig ist. Bald schon meldet sich der Schüler Faust als Denker, Zweifler, Zauderer, vorzüglich verkörpert von Linus Langenbacher. Die Systemkritik darf nicht fehlen. Konsumzwänge, Mammon, bröckelnde Zivilisation, Verschwendungs- und Schönheitswahn, präsentieren sich in locker aneinandergereihten reizenden Szenen: Herrenstammtisch, Friseursalon, Muckibude. Mephisto umgarnt listig das Geschehen. In dieser Rolle glänzt Dominic Riedmiller. Verständnisvoll, loyal, als wohlmeinender Berater gibt er sich und verführt. Mit den Lockvögeln Mephista und den Höllenweibern sorgt er für ausgelassene Partys und Drogencocktails. Überlegt aufbereitet sind die Szenen, in denen es um das Aufbauen von intimeren Beziehungen zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen geht. Machogehabe, Angst und Unsicherheit werden glaubhaft dargestellt.
Faust, ein willkommenes Opfer, wird von Mephisto mit „passendem Outfit“ versehen. Die vielen Verführungen und selbst die opulent dargestellte Walpurgisnacht lassen den Zauderer kalt. Er lässt sich erst auf einen Pakt mit dem Teufel ein, als er sich in Margarethe (Nathalie Mößlein) verliebt. „Du hast sie morgen schon im Bett“, sagt Mephisto. Die Folge ist die Schwangerschaft einer Sechzehnjährigen. Beeindruckend ist die dargestellte Seelennot Fausts. Mutig und sehr bestimmt tritt Margarethe auf. Das Heilmittel ist die wahre Liebe. Sie kommt zum Ausdruck in den eindrucksvoll vorgetragenen Texten der Songs „One Moment in Time“ von Whitney Houston und „Can’t Help Falling in Love“ von Elvis Presley. Die Vorträge von Julia-Maria Bucsa und Anna Chaplygina wurden bejubelt. Große Aufmerksamkeit fand der von Faust (alias Langenbacher) selbst komponierte Liebessong, den er selbst auf dem Klavier begleitet. Das war ein Happy End mit stürmischem Beifall. Chapeau für die große Gemeinschaftsleistung aller Schauspieler mit den Technikern und Betreuern im Hintergrund, zu denen auch Katrin Rölle gehört.