Ein Unfall, eine langsam voranschreitende Krebserkrankung oder unerwartet auftretende Demenz - in vielen Fällen setzen sich Menschen erst mit einer Patientenverfügung auseinander, wenn sie sie auch wirklich brauchen. Dann treten oft Unsicherheiten und vor allem viele Fragen auf. Brauche ich überhaupt eine Patientenverfügung? Woher bekomme ich sie? Und was sollte da eigentlich drin stehen?
Rechtsanwältin Nina Klein beschäftigt sich täglich mit diesem Thema. Die 31-Jährige arbeitet für die Rechtsanwaltsgesellschaft Unternehmerwerte in Kaufbeuren und spezialisiert sich gerade auf das Thema Erbrecht. Vor allem während der seien viele Menschen mit Fragen zur Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung zu ihr gekommen. Die Menschen würden sich gerade jetzt mit den Themen rund um Krankheit und Tod beschäftigen.
Wer braucht eine Patientenverfügung? Und wann sollte ich mich darum kümmern?
„Am besten ab 18 Jahren“, sagt Klein. Dann nämlich sind nicht mehr die Eltern verantwortlich, sie ergänzt: „Ab dann liegt bei niemandem automatisch die Verantwortung in einer Notsituation“. Viele ihrer Klienten denken, dass automatisch der Ehepartner oder die Kinder entscheiden. Das ist aber nicht so, sagt Klein. Darum ist es laut Klein auch so wichtig überhaupt etwas festzulegen. Ohne eine Patientenverfügung muss das Gericht entscheiden, wer zuständig sein soll, und die Verantwortung liegt bei der Familie. „Das sorgt oft für Streit unter den Verwandten“, sagt die Rechtsanwältin. „Sie sind überrascht und natürlich auch überfordert“. Wenn erst ein Unfall passiert ist oder die Demenz bereits eingesetzt hat, dann ist es zu spät. Das könne jeden treffen.
Was ist der Unterschied zwischen Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung?
Hier zu unterscheiden ist laut Rechtsanwältin Klein wichtig, denn es gibt weitaus mehr zu beachten als nur die Patientenverfügung:
Patientenverfügung:
In einer Patientenverfügung steht alles zur medizinischen Versorgung während des Sterbeprozesses. Dabei geht es um die ärztliche Behandlung, aber auch um die Pflege. So kann zum Beispiel die Unterbringung zuhause oder in einer Pflegeeinrichtung festgelegt werden. Konkret bedeutet das also: Welchen lebenserhaltenden Maßnahmen stimme ich zu? Oder möchte ich das überhaupt?
Vorsorgevollmacht:
Eine Vorsorgevollmacht ist für den Fall einer längerfristigen Erkrankung mit Aussicht auf Besserung wichtig. Zum Beispiel bei einem Koma nach einem Unfall oder für die Zeit einer Reha-Behandlung. Hier wird die Frage geklärt, wer sich um die alltäglichen Angelegenheiten des Patienten kümmern soll, bis dieser wieder fit ist. Es geht also zum Beispiel um Bankgeschäfte, die Post oder auch Profile in den Sozialen Medien.
Betreuungsverfügung:
Ist klar, dass sich auch in Zukunft der gesundheitliche Zustand des Patienten nicht mehr verbessern wird, muss die langfristige Betreuung geklärt werden. Das wäre zum Beispiel bei einer Demenzerkrankung der Fall. Nicht nur die Wünsche in Bezug auf Betreuung oder die Betreuungsperson werden darin festgelegt, sondern auch, wer die alltäglichen Geschäfte des Patienten übernimmt.
Was sollte in einer Patientenverfügung festgelegt sein?
Rechtsanwältin Nina Klein rät dazu, alles so ausführlich wie möglich festzulegen. "Nur so können sich die Verwandten und auch die Ärzte sicher sein, dass sie auch das tun, was der Patient möchte", sagt sie. Das bedeutet, dass jeder sich überlegen sollte, welchen konkreten Behandlungen man zustimmt und welchen nicht. Klein nennt als Beispiele verschiedene Wiederbelebungsmaßnahmen oder lebenserhaltende Maßnahmen wie Bluttransfusionen, Beatmung oder künstliche Ernährung. Außerdem sollten in einer Patientenverfügung auch die Vorerkrankungen oder die Patientengeschichte erwähnt werden. Am besten geschieht das laut Klein in Absprache mit dem Hausarzt. "Der Hausarzt kann einschätzen, was einen noch erwarten könnte. Er kennt einen mit am besten und kann ganz individuell beraten", sagt die Rechtsanwältin.
Woher bekomme ich eine Patientenverfügung? Und wie fülle ich sie aus?
"Es gibt Patientenverfügungen als Vordruck im Internet, aber davon rate ich ganz klar ab!", sagt Rechtsanwältin Nina Klein. Das Problem bei den Vordrucken ist, dass diese oft zu schwammig formuliert sind. Im schlimmsten Fall kann dann der Wille des Patienten nicht umgesetzt oder richtig verstanden werden. Selbes gilt auch für vorgefertigte Patientenverfügungen, wie es sie zum Beispiel in einigen Discountern zu kaufen gibt. Wichtig ist es auch, eine Patientenverfügung nicht allein auszufüllen, sagt Nina Klein. Sie rät dazu, alles mit einer Vertrauensperson abzusprechen. Das kann der Ehepartner, ein Verwandter oder auch ein guter Freund sein. Außerdem rät sie Interessierten dazu, das Beratungsangebot so gut wie möglich zu nutzen.
Wo kann ich mich beraten lassen?
Rechtsanwälte oder auch ein Notar können die richtigen Ansprechpartner sein. "Ich gehe mit meinen Klienten alles Schritt für Schritt durch", sagt Nina Klein. Schon viele solcher Verfügungen und Vollmachten hat sie mit ihren Klienten ausgefüllt.
Wer ähnliche Erfahrung möchte, ohne dafür einen festen Preis zu bezahlen, der kann auch ein kostenloses Angebot nutzen. Im Allgäu ist das zum Beispiel beim Hospizverein Kempten-Oberallgäu möglich. Hier beraten Mitarbeiter wie Christina Seeger nicht nur Menschen, die sich bereits mit einem Leben im Hospiz auseinandersetzen, sondern Menschen allen Alters und auch ohne Erkrankung. Seeger ist Palliativkraft und ausgebildetete Beraterin in Sachen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Sie beschreibt ihre Arbeit so: "Wir übersetzen die Formulare für die Menschen, die zu uns kommen". Sie will nicht direkt beraten, sondern mehr informieren. "Am Ende muss das jeder mit sich selbst ausmachen", sagt sie. "Deshalb füllen wir das nicht direkt aus, sondern setzen uns individuell mit den Interessierten auseinander". Vor der Unterzeichnung rät sie außerdem dazu, noch einmal eine Nacht darüber zu schlafen und sich in einem ruhigen Moment mit Freunden oder Familie zusammenzusetzen.
Wer sich ganz grundsätzlich zu Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung informieren will, kann das auch über Lesestoff tun. Verschiedene Krankenkassen oder die Verbraucherzentrale Bayern bieten Broschüren dazu an. Das Klinikum Memmingen verweist wie viele Krankenhäuser in Bayern außerdem auf die Broschüre der Bayerischen Staatsregierung „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter“, die kostenlos im Internet zur Verfügung steht.
Wie kann ich sicher sein, dass meiner Patientenverfügung und damit meinem Willen gefolgt wird? Auch wenn keine Familie mehr da ist?
Sowohl Rechtsanwältin Nina Klein als auch Christina Seeger vom Hospizverein Kempten-Oberallgäu raten dazu, sich die Patientenverfügung von einem Arzt, Berater oder Notar unterzeichnen zu lassen. Zwar wäre das Dokument auch ohne deren Unterschrift gültig, aber so kann sich der Betroffene bestätigen lassen, dass er oder sie noch in vollem Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist. Einen solchen Stempel gibt es unter anderem auch beim Hospizverein Kempten-Oberallgäu. Außerdem ist es laut Klein ratsam, seine Patientenverfügung circa alle zwei Jahre zu überprüfen oder zu erneuern.
Eine ausgewählte Vertrauensperson sollte außerdem wissen, wo die Patientenverfügung in einem Notfall zu finden ist, um sie an die Klinik zu übergeben. Wichtig ist dabei: Eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung ist nur im Original gültig und muss von Betroffenen selbst unterschrieben sein.
Christina Seeger sagt, dass vor allem Menschen ohne enge Familie oder Freunde mit Sorgen zur Beratung des Hospizvereins kommen. Wer wird zur Notfallperson, wenn keiner mehr da ist? Am geeignetsten sei eine Person aus dem eigenen Umfeld, das muss aber kein enger Verwandter sein, meint Christina Seeger. Auch ein Hinweiszettel in der Geldbörse kann helfen. Rechtsanwältin Nina Klein rät in so einem Fall zu einer anderen Möglichkeit. Wer die Patientenverfügung oder ähnliches nicht selbst aufbewahren will, kann sie auch bei der Bundesnotarkammer hinterlegen lassen. Sollte sie gebraucht werden, wird hier über das zuständige Gericht nachgefragt.
Was gibt es während der Corona-Pandemie zu beachten?
"Menschen, die bereits eine Patientenverfügung haben, sollte diese jetzt auf die Corona-Pandemie anpassen", sagt Nina Klein. Auch hier sei es wichtig konkret zu werden. In welchem Fall möchte man lebenserhaltende Maßnahmen erhalten? Wann nicht? Die Rechtsanwältin nennt das Beispiel der Beatmung. Hier wäre es zum Beispiel möglich zu nennen, dass man nur beatmetet werden möchte, wenn es auch Chancen auf eine Verbesserung des Zustandes gibt.
Ganz grundsätzlich?
- Setzen Sie sich rechtzeitig mit Krankheit oder dem Sterbeprozess auseinander
- Sprechen Sie mit Freunden, Familie und Vertrauenspersonen darüber
- Benennen Sie Behandlungswünsche möglichst konkret
- Lassen Sie sich beraten und sich diese Beratung bestätigen
- Bewahren Sie die Dokumente an einem sicheren Ort auf und weihen Sie eine Person mit ein
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