Carl Hirnbein (1807 bis 1871) war im 19. Jahrhundert einer der einflussreichsten Geschäftsmänner und Großgrundbesitzer im Allgäu. Seine Spuren in den Feldern Milchwirtschaft, Tourismus, Alpwirtschaft und Kurwesen sind noch heute in der Region sichtbar. Der Heimatdichter Peter Dörfler widmete Hirnbein die Allgäu-Trilogie - drei Bücher mit insgesamt etwa 1000 Seiten.
In diesem Artikel geben wir einen Überblick über Hirnbeins Leben und Wirken - und gehen der Frage nach, ob sich der Wandel vom "blauen zum grünen Allgäu" wirklich vollzogen hat. Hier finden Sie Antworten auf folgende Fragen:
- Wann und wo wurde Carl Hirnbein geboren?
- Wo ging er zur Schule?
- Wie veränderte Hirnbein die Landwirtschaft im Allgäu?
- Welchen Käse hat er im Allgäu produziert?
- Warum nennt man Hirnbein den Notwender?
- Warum trägt er auch den Titel Zwingherr?
- Und warum nennt man ihn den Allgäuer Alpkönig?
- Was tat Hirnbein für den Tourismus im Allgäu?
- Wo stand Hirnbein politisch?
- War Hirnbein auch Bürgermeister von Wilhams?
- Wer war Hirnbeins Frau?
- "Vom blauen zum grünen Allgäu" - war das wirklich so?
Wann und wo wurde Carl Hirnbein geboren?
Carl Hirnbein wurde am 27. Januar 1807 in Wilhams (heutige Gemeinde Missen-Wilhams im Landkreis Oberallgäu) geboren. Seine wohlbehütete Kindheit verbrachte er im Hause seiner Großeltern Eldracher, in das sein Vater Johann Hirnbein (1767 bis 1840) eingeheiratet hatte. Er beeinflusste das Leben seines Sohnes sehr.
Johann Hirnbein war 25 Jahre lang Gemeindevorsteher, Schreiber am Gericht und Glasermeister – und brachte es dadurch zu ansehnlichem Wohlstand. Die Kindheit und Jugend seines Sohns Carl Hirnbein wurde durch einen sozial denkenden, unternehmerisch begabten und aktiv wirkenden Vater sowie einer tüchtigen, warmherzigen und dem Hausstand vorstehenden Mutter geprägt.
Wo ging Carl Hirnbein zur Schule?
Von 1814 bis 1819 besuchte Carl Hirnbein die Elementarschule Wilhams und anschließend bis 1821 die Höhere Bürgerschule (Realschule) in Kempten. Dort lernte er italienisch. Mit 18 Jahren schickte sein Vater ihn für ein Jahr zu einem Geschäftsfreund nach Rovereto (Italien), damit er perfekt italienisch lernen und sich kaufmännische Kenntnisse aneignen konnte.
Bereits in jungen Jahren musste Carl Hirnbein im Betrieb der Eltern fleißig mitarbeiten. Heißt: Das Vieh hüten, den Stall ausmisten und etwa Kühe melken. Mit 17 Jahren begleitete er als verantwortlicher Hirte Viehtriebe mit bis zu 600 Rinder über die Alpen ins Welschland (Italien). So wurde Hirnbein zu einem wertvollen Mitarbeiter für seinen Vater auf dem Gut, das er von 1826 bis 1827 bauen ließ.
Wie veränderte Hirnbein die Landwirtschaft im Allgäu?
Was Carl Hirnbein außerdem lernte: dass die Allgäuer Bauern mit Leinenwirtschaft und Ackerbau auf eine wirtschaftliche Katastrophe zusteuerten. Bot schon der damals übliche Ackerbau wegen wenig fruchtbarer Böden, des kalten Klimas und des hügeligen Geländes kaum Potenzial, kam nun noch der Preisverfall bei dem aus Flachs hergestellten Leinen hinzu. Billige Baumwolle und die mechanischen Webstühle machten das mühsame Weben in den Kellern der Bauernhäuser zur unrentablen Sache.

Heimatdichter Peter Dörfler beschrieb es in literarischer Sprache so: „Die Not lugte zu allen Kreuzstöcken heraus.“ Hirnbein wusste, was zu tun war: Das Allgäu musste weg vom Flachs, weg vom Ackerbau. Es sollte ein Milch- und Käseland werden. Der Unternehmer selbst hatte das Käsen in jungen Jahren gelernt und war zudem viel auf Reisen - um sich neue Kenntnisse anzueignen, Handelsbeziehungen zu knüpfen und Fachkräfte anzuwerben.
Welchen Käse hat Hirnbein im Allgäu produziert?
Aus Limburg (Belgien) brachte Hirnbein die Brüder Grosjean mit nach Missen. 1830 eröffnete Hirnbein mit deren Hilfe – in Zeiten bitterster Armut – eine Weichkäserei in Wilhams. Er führte hier die beiden Käsesorten Limburger und Romadur ein, die auch mit kleineren Milchmengen hergestellt werden können - anders als beim Hartkäse. Das war zugleich der Beginn der Milchwirtschaft im Allgäu und im Voralpenland. Hirnbein gründete nach und nach Niederlassungen in Deutschland und baute ein großes Vertriebsnetz auf.

Vielen Bauern im Allgäu bot sich durch die zunehmende Milchwirtschaft nach und nach wieder eine gute Lebensgrundlage. Während der Käse auswärts verkauft wurde, wurden im Allgäu immer mehr Äcker und Wälder in Wiesen umgewandelt. Die Bauern schafften sich Milchkühe an und steigerten die Erträge durch Entwässerung und Düngung der Wiesen. (Lesen Sie auch: Das hat es mit den Allgäuer Spezialitäten Weißlacker, Seele und Co. auf sich)

Warum nennt man Hirnbein den Notwender?
Weil Carl Hirnbein die Milchwirtschaft im Allgäu vorantrieb, nennt man ihn auch den "Notwender". Das Allgäu, das vorher in den vielen Ackerbau-Farben schillerte und zur Zeit der Flachsblüte vielerorts blau glänzte, kleidete sich nun ganzjährig grün.
Warum wird Carl Hirnbein Zwingherr genannt?
Carl Hirnbein wirtschaftete im Sinne seines Vaters Johann fort. Er vermehrte laufend seinen Haus- und Grundbesitz. Schließlich gehörten ihm fast der ganze Grünten sowie viele Land- und Hochalpen am Stuiben in Gunzesried, Thalkirchdorf und anderen Allgäuer Orten. Außerdem kaufte Hirnbein in Weitnau den Alten Hof, die Brauerei und den Adler. Er zeigte sich allerdings beim Abschluss der Kaufverträge als harter Geschäftsmann. Dies brachte ihm den Titel „Zwingherr“ ein.
Warum nennt man Carl Hirnbein Allgäuer Alpkönig?
Carl Hirnbein war selbst nie in Not und einer der größten Grundbesitzer im Allgäu mit einem Gesamtbesitz von etwa 3000 Hektar Land und über 100 Alpen. Dies brachte dem harten und gewitzten Geschäftsmann den Titel "Allgäuer Alpkönig" ein. (Lesen Sie auch: Hätten Sie es gewusst? Darum verbringen Kühe den Sommer auf den Alpen im Allgäu)
Was tat Carl Hirnbein für den Tourismus im Allgäu?
1852 ließ Carl Hirnbein mit dem Grüntenhaus das erste Hotel in den Allgäuer Alpen bauen, das 1855 eröffnete. Damit legte er den Grundstein für einen weiteren maßgeblichen Wirtschaftsfaktor: die touristische Erschließung des Allgäus. Zu der Zeit erschien zudem der erste Fremdenverkehrsprospekt für das Allgäu. Darin bewarb Hirnbein das "Hotel auf dem 6000 Fuß hohen Grünten“ als Unterkunft und Aufenthaltsort für „Touristen und Freunde einer erhabenen Alpennatur“.

In dem Hotel wurden auch Molkekuren angeboten. So wurde Carl Hirnbein nicht nur Pionier des Allgäuer Alpen-Tourismus, sondern auch des Kurwesens in der Region.
War Carl Hirnbein auch politisch aktiv?
Carl Hirnbein wurde im März im Revolutionsjahr 1848 politisch aktiv und war Mitglied der Freiheitspartei. Diese setzte sich für Freiheit und Einigung des deutschen Vaterlandes ein. Hirnbein war aktiv in den Märzvereinen von Sibratshofen und Weitnau und wurde als Gegner der Monarchie überwacht. Einmal musste er sich sogar in einer abgelegenen Alpe verstecken, um nicht verhaftet zu werden.

Nachdem die Revolution 1848 niedergeschlagen worden war, arrangierte sich Hirnbein mit der Monarchie. 1859 wurde er in den Bayerischen Landtag unter König Maximilian II. gewählt.
War Carl Hirnbein auch Bürgermeister von Wilhams?
Er sollte eigentlich Nachfolger seines Vaters Johann werden, der seit 25 Jahren Bürgermeister von Wilhams war. „Doch Carl Hirnbein wusste, dass ihm dieses Amt viel Zeit kosten würde und er sich so weniger um seine Geschäfte kümmern konnte“, erzählt Josef Bettendorf, Leiter des Carl-Hirnbein-Museums in Missen-Wilhams. Vor der anstehenden Wahl im Rat 1835 kam dem jungen Hirnbein eine Idee – so besagt es zumindest die Legende. Er schlug einem Mitglied den „Kuhhandel“ vor: Wenn der Rat Schlechtes über ihn verbreitet und Hirnbein so nicht gewählt würde, bekommt er im Gegenzug eine Kuh. Und so kam es schließlich auch.
Wer war Carl Hirnbeins Frau?
Carl Hirnbein heiratete im Juli 1840 Anna Maria Heim, die hübsche und tüchtige Tochter des Kronenwirts von Weiler. Seiner Nanni, wie Hirnbein sie in seinen Briefen nannte, war er ein treusorgender Ehemann. Das Paar hatte sechs Kinder, wovon vier jedoch im Säuglingsalter starben. Nur die Erstgeborene Josefine ("Sefele") und der Drittgeborene Johann Baptist wurden erwachsen.

1869 übergab Carl Hirnbein den Maienhof an seinen Sohn Johann Baptist und zog mit seiner Frau zu seiner Tochter in den Hof nach Weitnau. Dort starb der Großbauer, Agrarreformer und Politiker am 13. April 1871. Seine Frau Anna Maria starb am 12. April 1875.

"Vom blauen zum grünen Allgäu" - war das wirklich so?
Der Heimatdichter Peter Dörfler setzte Carl Hirnbein in seiner Allgäu-Trilogie ein Denkmal: Diese drei Bände sollen Hirnbein und sein Wirken charakterisieren:
- „Der Notwender“
- „Der Zwingherr“
- „Der Alpkönig“
Dörfler entwickelte in seinen Werken auch die Metapher "Vom blauen zum grünen Allgäu", die den landwirtschaftlichen Wandel der Region - vor allem im Oberallgäu und Westallgäu - vom Flachsanbau zur Milchwirtschaft symbolisieren soll.

Stadtarchivar: Diese Vorstellung ist nicht haltbar
Doch ist diese Vorstellung vom blauen zum grünen Allgäu auch richtig? "Nein, Agrarfachleute haben längst nachgewiesen, dass dieser einprägsame Begriff nicht haltbar ist", sagt Siegbert Eckel vom Stadtarchiv Immenstadt. Seit Peter Dörflers Roman „Allgäu-Trilogie“ werde uns mit diesem Vergleich eine Landschaft vorgegaukelt, die es so nie gegeben hat. Ohne Zweifel sei eine überlebenswichtige Einkommensquelle der Menschen im Oberallgäu der Flachsspinnerei zuzuschreiben.
"Die Gegend zwischen Immenstadt, Sonthofen und Füssen wurde Mitte des 18. Jahrhunderts nicht umsonst „Spinnerland“ genannt. Mindestens zwei Drittel des hier verarbeiteten Flachses wurden jedoch eingeführt", weiß Historiker Eckel. Der Eigenanbau an Flachs reichte meist nur für die Selbstversorgung - und dafür wurden höchstens drei bis fünf Prozent der verfügbaren Ackerfläche – nicht des Allgäus – bepflanzt. Eckel: "Für die Zukunft also: Das Allgäu war nie blau, aber immer schon grün."
Filmemacher Leo Hiemer: Vom bunten zum grünen Allgäu
Der Allgäuer Filmemacher Leo Hiemer hat übrigens die Dokumentation „Hirnbein - Auf den Spuren des Allgäu-Pioniers“ mit Kabarettist Maxi Schafroth gedreht. Darin und in seiner Biografie über Carl Hirnbein räumt Hiemer mit dem Klischee "vom blauen zum grünen Allgäu" auf.

Hirnbein habe zwar mit der Forcierung der Milchwirtschaft die Farbe unserer Landschaft insofern verändert, als dass ein Fleckerlteppich grün wurde. Bis ins 19. Jahrhundert gab es aber nicht nur den Anbau des blau blühenden Flachses, den die Weber zu Leinen verarbeiteten. Die Bauern betrieben auch Ackerbau und Viehzucht – was für ein buntes Bild im Alpenvorland sorgte.
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