„Vorsicht, Deckung“, möchte ausrufen, wer das Bild dieses Boxers mit ausgefahrener Faust vor dem Oberstdorf-Haus sieht. Es ist einer der Hingucker, jener großformatig auf Leinwand aufgezogenen Fotografien vor dem Oberstdorf-Haus, die dort für den Oberstdorfer Fotogipfel werben, „Europas höchstes Fotofestival“.
Der Slogan stapelt dabei keineswegs hoch. Denn selbst in der Gipfelregion des Nebelhorns, des 2224 Meter hohen Berges bei Oberstdorf, präsentiert dieses Festival in großformatigen Installationen Aufnahmen. Sie stammen von dem künstlerischen Schirmherrn des Festivals: Kristian Schuller.
Die Verantwortung des Fotografen
Der in Rumänien geborene deutsche Modefotograf mahnt bei der Eröffnung des fünftägigen Festivals, beim Fotografieren nicht nur den Blick auf das Motiv im Zentrum des Suchers zu richten, sondern auch nach rechts und nach links zu sehen. Aufnahmen entstehen nicht losgelöst von einem gesellschaftlichen Umfeld. Und dieses stets mit in den Blick zu nehmen, sei Verantwortung eines Fotografen. Die Bedeutung der Fotografie hatte zuvor Claudia Roth, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, hervorgehoben. Der Fotogipfel sei ein Kulturereignis für die Kunst der Fotografie. Er zeige, wie Bilder bewegen, aufrütteln, aber auch erfreuen können.
Schirmfrau Claudia Roth
Zudem vertiefte Claudia Roth, die zum sechsten Mal als politische Schirmfrau der Veranstaltung wirkt, das Motto dieser elften Auflage des Festivals: Familientreffen. Aufbauend auf einem schwarzhumorigen Zitat des österreichischen Satirikers Karl Kraus zum Thema, zeigte sie – gleichsam dessen These widerlegend – auf, welch spannende Geschichten Fotografien in einem Familienalbum erzählen können, nicht nur von vergangenen Generationen, sondern auch als Dokumente der Geschichte. Kurator und künstlerischer Leiter Christian Popkes erzählte, welche große Bedeutung für ihn persönlich Familientreffen als Kind hatten und betonte: Heute sei die Fotogipfelfamilie für ihn wichtig.
Der Einfluss Künstlicher Intelligenz
In fünf Tagen präsentiert das Festival nicht nur zahlreiche Ausstellungen, sondern auch Workshops und ein breites Rahmenprogramm – von Konzerten bis zu Diskussionen mit Fotokünstlerinnen und -Künstlern. Dabei sollen dann auch so aktuelle Themen wie der Einfluss Künstlicher Intelligenz auf die Fotografie diskutiert werden.
Vor allem aber lenken natürlich die Ausstellungen im öffentlichen Raum den Blick auf sich. Da findet sich dann neben dem Box-Konterfei von Thomas Höpker auch ein mümmelndes Kaninchen, auf Großleinwand aufgezogen, festgehalten von Walter Schels. Vor dem Oberstdorf-Haus erinnern exemplarische Arbeiten an die bisherigen Schirmherrn des Festivals.
Ausdrucksstarke Portraits im Kurpark Oberstdorf
Walter Schels war der Erste. Seine Kunst dokumentieren vor allem ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Portraits von Musikern im Kurpark: Yehudi Menuhin, Leonard Bernstein, Christa Ludwig, … Daneben in der Wandelhalle widmet sich Joachim Baldauf dem „Schönen Schein“. Der Modefotograf, der 1965 in Weiler im Allgäu geboren wurde, stellt dabei Portraits einander gegenüber, die scheinbar den schönen Schein entlarven. Der Fotograf inszeniert aber auch regelrecht Szenenbilder, in denen Jagd und Wald wie in eine fantasievolle Theaterkulisse gekleidet, oder eine zersplitternde Glasscheibe und ein entsetztes Frauengesicht wie in einem Filmschnitt montiert werden.
Die unverblümte Michaela May
Im Oberstdorf-Haus warten vielfältige künstlerische Ansätze auf ihre Entdeckung: So drapiert oder schmückt zum Beispiel Mike Kraus surreal berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler mit üppigen Blumenarrangements. Vor allem aber zeigt der deutsche Fotograf Micha Pawlitzki mit Teilnehmern seiner Meisterklasse, was mit Fotografie alles möglich ist. Angefangen von seinen eigenen, meditative Ruhe verströmenden Landschaftskompositionen, über farblich völlig verfremdete Strukturen bei Stephan Egli, über grafische Lichtspielereien bei Helmut Weiß bis zu skelettierten organischen Details, die Michael Proske Schwarz auf Weiß festhält.
Weitere Ausstellungsstätten
Auf dem Weg zu weiteren Ausstellungsstätten, etwa dem Kunsthaus Villa Jauss, der Galerie Oberstdorf oder dem Atelier des Fotografen Jonathan Besler, finden sich Bilderfolgen, die an den Wettbewerb „Europäischer Naturfotograf des Jahres“ erinnern oder „Unsere Heimat“ spiegeln.
Der Fotogipfel dauert bis Sonntag, 2. Juli. Er beinhaltet ein umfangreiches Rahmenprogramm. Die Ausstellungen im Oberstdorf-Haus sind geöffnet täglich von 9 bis 18 Uhr. Die Ausstellung in der Villa Jauss (Rankin & Profifoto New Talent Award) ist bis 16. Juli zu sehen, geöffnet donnerstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, die Ausstellung Corinna und Frank Scheil in der Galerie Oberstdorf bis 14. Juli, geöffnet täglich von 14 bis 18 Uhr.
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