Wem die Ehre gebührt, sich zuerst ins neue Goldene Buch der Stadt Kaufbeuren einzutragen, darüber konnte Oberbürgermeister Stefan Bosse nur spekulieren. Der künftige Kanzler vielleicht oder der Bundespräsident? Ob man sie damit in die Wertachstadt locken kann, bleibt fraglich. Klar ist jedoch, dass das Goldene Buch zu seinem 100. Geburtstag offiziell geschlossen und das von hiesigen Künstlern gestaltete Nachfolgemodell eröffnet wurde. Zu diesem Anlass präsentierte Bosse noch eine Überraschung: Im Stadtarchiv ist ein drittes Goldenes Buch aus den 1960er Jahren aufgetaucht. Das mysteriöse Exemplar war erst auf den zweiten Blick als Gästebuch zu erkennen.
1925 gibt Kaufbeuren ein Goldenes Buch für 400 Reichsmark in Auftrag
Der braune Ledereinband ist kunstvoll verziert, mittig erstrahlt das bunte Kaufbeurer Stadtwappen. Das Goldene Buch der Stadt ist viel, sagt Stadtarchivar Dr. Peter Keller, „aber nicht golden.“ Wie er erklärt, stammt der Brauch, dass sich Ehrengäste in ein Buch eintragen, aus Venedig. Deutlich später schwappte er nach Nürnberg, in die Heimatstadt des früheren Kaufbeurer Bürgermeisters Dr. Georg Volkhardt. Seinem Wunsch, ebenso ein Goldenes Buch in Auftrag zu geben, stimmte laut Keller der Stadtrat 1925 zu. Kosten: 400 Reichsmark – viel Geld für die damalige Zeit.
Zu Beginn unterzeichneten die Persönlichkeiten, ähnlich einem Gipfelbuch, schlicht mit Namen. Zwischen 1955 und 1971 klafft eine Lücke, danach geht es „deutlich künstlerischer weiter“, so Keller. Ab den späten 1990er Jahren mehren sich Einträge zu bestimmten Anlässen, die mit Fotos geschmückt wurden. Insgesamt könne man eine gewisse Demokratisierung feststellen. Hätten zunächst noch Offiziere, Politiker und Kaufleute unterschrieben, finden sich später auch Unterschriften von der Mannschaft des ESV Kaufbeuren oder Schauspieler Til Schweiger. „Die Vielfalt nimmt über die Jahre zu“, sagt Keller. Das Tänzelfest füllt viele Seiten, die Bundeswehr oder Vertreter der Kirche.
Mit dem Eintrag der Holocaust-Überlebenden Eva Erben endet das Buch
Unter Oberbürgermeister Bosse seien die meisten Seiten gefüllt worden, wie Peter Igel, Leiter des OB-Büros, mitteilt. Mitte des vergangenen Jahres seien erstmals Gedanken über ein neues Buch aufgekeimt, da sich der Platz allmählich dem Ende zuneigte. Besiegelt wurde das Schriftstück schließlich mit dem Eintrag der Holocaust-Überlebenden Eva Erben. Erst im November besuchte Erben, die als 14-Jährige ins Vernichtungslager Ausschwitz gesteckt wurde, Kaufbeuren, um Jugendlichen von den Schrecken der Nazi-Zeit zu berichten. „Ein würdigeres Ende für das Buch gibt es nicht“, sagte Bosse. Darum habe man bewusst beschlossen, nach 100 Jahren ein neues zu beginnen.
Bevor dieses vorgestellt wird, kommt Bosse nochmals auf die 16 Jahre zu sprechen, in denen es keine Einträge gab. „Die Lücke hat mir Gedanken gemacht.“ Es könne doch kaum sein, dass in der Zeit niemand die Stadt besucht hat. In der Folge forschte Dr. Peter Keller nach, der sich an ein sehr großes und schweres Buch in einem Koffer erinnerte, das ihm einst im Archiv untergekommen ist. Jenes erweckte den Eindruck einer Chronik. Nach etwas Recherche stellte sich jedoch heraus, dass es Dr. Richard Wiebel, Bürgermeister von 1948 bis 1970, als Gästebuch hatte fertigen lassen. Vorne steht Stadtgeschichte niedergeschrieben, hinten sind Firmenporträts aus den 1960er Jahren, dazwischen: leere Seiten. Diese seien wohl für Gasteinträge vorgesehen gewesen, tatsächlich ist jedoch kein einziger Name zu finden, weil es offenbar in Vergessenheit geraten war.
Künstler aus der Region fertigen neues Goldenes Buch der Stadt Kaufbeuren
Neben dem rätselhaften Buch stellte Bosse das offizielle neue Goldene Buch vor, das von vier Künstlern aus der Region gestaltet wurde. Ulrich Peter, Inhaber von Grafikwerk, der seit vielen Jahren die Einträge zu besonderen Anlässen grafisch aufbereitet, kümmerte sich um die Papierauswahl. Es handle sich um ein zertifiziertes, archivbeständiges Papier, sagt Peter, der lachend anfügt: „Und es ist vegan.“ Buchbinder Rolf Nimmert als Oberostendorf fertigte das großformatige Buch im schweren Ledereinband. „Der ist nicht vegan“, fügte Bosse an. Das Stadtwappen auf dem Einband zeichnete Künstlerin Bärbel Pfleghar aus Waal, die Metallelemente mit den Wappen der Kaufbeurer Stadtteile fertigte Jörg Opperskalski, ehemals Lehrer an der Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Neugablonz.
3600 Euro kostete das Werk, ein Schnäppchen im Vergleich zu den damaligen 400 Reichsmark, wie Igel versichert, der die Erstellung begleitete. Er berichtet auch von einer neuen Technik des Buchbinders, die den Einband vor Rissen schützen soll. Es gebe also „eine Garantie für die nächsten 100 Jahre.“
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