Einen umfangreichen, spannenden Einblick in sein Schaffen bietet der Ostallgäuer Bildhauer und Konzeptkünstler Christian Hörl mit der Ausstellung „sichanfangen“ im Hofgartensaal der Kemptener Residenz. Dort liegt ein konzeptionelles Langzeitprojekt Hörls aus, dort hängt jüngere, großformatige Malerei. Zudem zeigt der renommierte Künstler aus Ruderatshofen auf einem endlos langen Tisch Modelle und Entwürfe aus den vergangenen 30 Jahren. Die dominierende Arbeit im Saal jedoch ist ein Werk zur Zwangsarbeit im Allgäu während der NS-Zeit.
Auf der Suche nach der Wahrheit im Gestrüpp von Geschichten und Legenden
„Selmans Traum“ dokumentiert allerdings nicht so sehr die Ereignisse von damals als vielmehr die Suche nach der Wahrheit im Gestrüpp von Geschichten und Legenden. In einem gemeinsamen Projekt begegnete ihm der Künstler Selman Tragic aus Serbien, der sich im Allgäu auf die Suche nach Spuren seines Großvaters machte. Der war nach seiner Zeit als Zwangsarbeiter im Westallgäuer Dorf Gestratz im Jahr 1945 spurlos verschwunden. Auf 74 bedruckten Kupfertafeln reflektiert Hörl die Suche des Enkels, den die tragische und bis heute unbekannte Geschichte seines Großvaters nicht loslässt.

Seit zwei Jahrzehnten sammelt der 61-Jährige Christian Hörl seine geschnittenen Haare. Zu kleinen Knäulen gedreht und konsequent in zeitlicher Reihenfolge aufgereiht, werden sie mit fortschreitendem Alter immer heller. Ob beabsichtigt oder nicht, rufen die zarten, jederzeit vom Wind erfassbaren Haarbüschel in Verbindung mit dem Werk „Selmans Traum“ Assoziationen zum Holocaust auf.
Natur und Kultur verschmelzen zu einer stimmigen Bildeinheit
Ähnlich wie auf den Kupferplatten dieser seriellen Arbeit verwendet der Künstler auch auf seinen Leinwänden das Prinzip von farbigen Schichten und Mustern in Verbindung mit Siebdrucken von Landschaftsfotos. Natur und Kultur verschmelzen zu einer stimmigen Bildeinheit, und doch künden die Bilder von Entfremdung und einer Kluft zwischen Mensch und Natur.

Die spannende Ausstellung verschafft einen Überblick über Christian Hörls konzeptionelles und bildnerisches Werk und seine architektonischen Arbeiten, die nicht als Objekte isoliert ausgestellt werden können. Plexiglaswürfel mit Siebdrucken, geschnittene Steinmodelle und Metallstehlen in Miniatur, die im Original vor dem Hauptsitz des Logistikunternehmens Dachser in Kempten stehen, geben Einblicke in seine Arbeits- und Denkweise zwischen Objekt und Architektur. Vieles davon ist in Katalogen sowie auf Fotos und Schautafeln dokumentiert. Spuren aus dem Werk eines großartigen Künstlers, für den Kunst heißt, bei sich selbst anzufangen.
Die Ausstellung im Hofgartensaal der Residenz Kempten läuft bis 29. Oktober 2023 (geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr; Eintritt frei; Schulklassenführungen nach Vereinbarung unter Telefon-Nummer 0831/25 25 77 77). Am Sonntag, 22. Oktober 2023, stehen Künstler Christian Hörl und Kulturhistorikerin Ursula Winkler ab 15 Uhr für Gespräche und Werk-Interpretationen bereit. Motto: „Im künstlerischen Raum“.