Die verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges und der Pest trafen Unterthingau mit zutiefst grausamer Wucht – ein dramatischer Einschnitt, der sich in dem Rückgang der Familien von 82 auf 58 schmerzlich manifestierte. Wie sehr, berichtete der Unterthingauer Chronist und Heimatforscher Josef A. Stöckle. Er präsentierte im Rahmen eines Vortrages bisher unveröffentlichte Dokumente aus Pfarrei und Gemeinde.
Unterthingau: Heimatforscher enthüllt Geschichte und Schicksal der Ortschaft
Vollgefüllt präsentierte sich der jüngst eröffnete Schloss-Stadel, als Stöckle die Besucher mit auf eine faszinierende Zeitreise durch die spannende Geschichte der Ortschaft nahm. Mit einer beeindruckenden Fülle an sorgsam zusammengetragenen Dokumenten aus seinem privaten Archiv erweckte er die vergangenen Jahrhunderte des Ortes zu neuem Leben.

Die Erzählung nahm ihren Anfang in der Mittelsteinzeit, als erste Jäger ihre Pfeilspitzen in der Elbseeregion hinterließen. Von dort spannte sich der Bogen über die keltische Besiedlung und römische Präsenz bis zur Landnahme durch die Alemannen. Stöckle schilderte den Übergang von der merowingischen Herrschaft zum Reich Karls des Großen, wobei er auch den Einflüssen von Christianisierung und Katholizismus Raum gab.
Das ist die Geschichte von Unterthingau
Ein Meilenstein in der Ortsgeschichte markierte die erste urkundliche Erwähnung als „Toningewe“ – heute als Unterthingau bekannt. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Referent der herausragenden Stellung des Ortes und seines Schlosses innerhalb des Stifts Kempten. Die verliehenen Privilegien – darunter das Recht zum Blutbann, die Befugnis zu Stock und Galgen sowie das Marktrecht – unterstrichen die bedeutende Position der Gemeinde. Auch die bedeutende Rolle des „Thingauer Haufens“ während des Bauernkriegs fand gebührende Erwähnung.
Neben vielen alten Bildern und Darstellungen des Ortes lockerte Stöckle den Abend beispielsweise mit dem Verlesen eines Gerichtsurteils, resultierend aus einer Messerstecherei beim Hirschwirt, heute als Felderwirt bekannt, auf. Auch sonstige Anekdoten aus den Wirtshäusern oder dass der alte Galgen nicht nur abgebaut, sondern sein Holz für zwölf Gulden verkauft wurde, machten das Zuhören leicht.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Momente voller Emotionalität
Den krönenden und zugleich erschütternden Höhepunkt des Abends bildete der Teil, in dem die Geschichte eine zutiefst persönliche Dimension annahm. Mit behutsamer Einführung leitete Josef Stöckle zum Herzstück seiner Präsentation über: den Feldpostbriefen der sechs Brüder vom Funkenhof – seinen eigenen Vorfahren. Unterstützt von seinem Neffen Michael Stöckle jun. erweckten sie die vergilbten Zeilen zum Leben und gaben den längst verstummten Stimmen ihrer Ahnen neuen Klang.
In diesem intimen Moment verschmolzen Vergangenheit und Gegenwart, als Onkel und Neffe die Worte ihrer Vorfahren in würdevoller Zurückhaltung in den Raum trugen. Die authentische, von jeglichem theatralischen Überschwang befreite Darbietung traf die Anwesenden umso tiefer. Eine andächtige Stille legte sich über den Saal, während die Briefe ein erschütterndes Zeitzeugnis entfalteten: Von der Front schrieben die Brüder einander und ihrer bangenden Mutter – Dokumente einer Zeit, die stellvertretend für das Schicksal unzähliger Familien stehen.
Schicksalsbriefe aus der Vergangenheit: Das war die Lebensrealität im Krieg
Zwischen den Zeilen webte sich ein Teppich aus menschlichen Schicksalen: die niederschmetternden Todesnachrichten, der nüchterne Bericht einer Beinamputation, die sehnsüchtigen Fragen nach dem Leben auf dem heimatlichen Hof und das unstillbare Hoffen einer Mutter auf die Rückkehr ihrer Söhne. Mit jedem vorgetragenen Brief verdichtete sich die beklemmende Atmosphäre im Saal. Die Zuhörer wurden zu stillen Zeugen einer Vergangenheit, deren Schrecken durch die persönlichen Worte der Brüder einen unmittelbaren, fast greifbaren Präsenz erhielten. Die Grauen des Krieges, durch diese Feldpostbriefe aus der Abstraktion der Geschichtsbücher gelöst, wurden zu einer schmerzlich spürbaren Realität. „Die Geschichte mahnt uns, wachsam zu sein gegenüber heutigen Entwicklungen“, betonte Stöckle und rief dazu auf, die Lehren der Vergangenheit nicht zu vergessen.
„Die Geschichte mahnt uns, wachsam zu sein“
Langer Applaus dankte dem Referenten für einen Abend, der nicht nur historisches Wissen vermittelte, sondern die Zuhörer auch emotional berührte und zum Nachdenken anregte. Stöckle beendete den Abend mit der eindringlichen Bitte, historische Dokumente jeglicher Art, welche vermutlich noch auf vielen Dachböden schlummern, nicht achtlos zu entsorgen, sondern dem Gemeindearchiv der Marktgemeinde Unterthingau zur Verfügung zu stellen. Mit einer Spendensumme von über 400 Euro war dies auch den Besuchern des Abends ein Anliegen.
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