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Vom Glück zu schreiben

Doris

Vom Glück zu schreiben

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    Frau Dörrie, sind schreibende Menschen glücklicher als andere?

    Nein, sie sind nicht durchweg glücklicher als andere Menschen, aber durch das Schreiben ist man sehr viel mehr im eigenen Leben vorhanden. Außerdem kann der Schreibprozess an sich sehr zufrieden machen.

    Warum tut es Menschen gut, zu schreiben?

    Statt zu konsumieren – und das bezieht sich auf jeglichen Konsum, auch den digitalen – stellt man etwas her und ist kreativ. Das Schreiben nach den Regeln aus meinem Buch führt zu einer hoch konzentrierten Selbstvergessenheit wie beim Spielen, und Spielen macht einen glücklich.

    Sie empfehlen Ihren Lesern ja, an einem Feigenblatt zu riechen, an Kaffee und Tee, die Nase ins Moos zu drücken und darüber zu schreiben. Schreiben soll also eine Selbsterfahrung sein.

    Ja. Wenn man schreibt, bekommt man ein Zuhause im eigenen Leben, eine Erdung und eine intensive Verbindung mit der Welt, wonach wir uns doch alle sehnen.

    Kann denn jeder schreiben?

    Ja. Jeder, der lesen kann, kann auch schreiben. Ich habe über die vielen Jahre dafür einen sehr handlichen Werkzeugkoffer zusammengestellt. Darüber hinaus gibt es in Wahrheit nur einen einzigen Trick: ganz genau hinzuschauen. Immer wieder. Und jeden Tag. Und das lässt sich trainieren.

    Sie sagen, über sich selbst zu schreiben, verhindere, dass einem sein Leben durch die Finger rinnt. Für das durchaus beliebte Schreiben eines Tagebuchs müsste das doch auch gelten, oder?

    Beim Tagebuch landet man schnell beim Bewerten des eigenen Lebens, Bedauern, Beschweren, bei Zweifeln und Klagen, bei allem, was nicht gut läuft. Beim Schreiben, wie ich es unterrichte, geht es um die Präzision der Erinnerung und das wertfreie Beschreiben des eigenen Lebens.

    Und dieses autobiografische Schreiben, wie Sie es verstehen, macht die Menschen glücklich?

    Immer wieder erlebe ich, welche Freude, welche Inspiration, welche tiefe Befriedigung daraus entstehen kann, zu begreifen, dass jedes Leben berichtenswert ist! Dass jedes Leben unverwechselbar und das ganz eigene und besondere ist! Das bedeutet sehr viel in einer Welt, die sich immer mehr an einer homogenen digitalen Oberfläche orientiert, die immer nur fragt, ob ich schön und erfolgreich genug bin.

    Sie fordern dazu auf, sich selbst davon überraschen zu lassen, wohin einen das Schreiben führt. Wie geht das denn?

    Ich staune immer wieder darüber, was mein Gehirn tief in seinen Windungen anscheinend abgespeichert und aufgehoben hat. Das mit Methode wieder herauszukitzeln bedeutet, auch immer wieder überrascht zu werden von dem Reichtum des eigenen Lebens in all seinen Details. Das sind nicht nur friedliche und hübsche Details und Szenen, doch sie schildern mich und mein kurzes, ganz eigenes Vorhandensein auf dieser Welt. Letzten Endes geht es darum, durch das Schreiben zu begreifen, dass man wirklich hier war.

    Würden Sie sich selbst eigentlich glücklich nennen und – falls ja – wie haben Sie es geschafft, den Weg des Glücks zu beschreiten?

    Na ja, ich denke, dass „das Glück“ überbewertet wird. Mir geht es eher um Gelassenheit, Zufriedenheit und um die Fähigkeit, einen glücklichen Moment auch als solchen zu erkennen und ihn nicht festhalten zu wollen – denn das mag er nicht.Interview: Heiko Wolf

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