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Marktoberdorf
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Vor 30 Jahren bringt Fendt das stufenlose Vario-Getriebe auf den Markt - Erbe von Hans Marschall lebt weiter

Fendt blickt stolz zurück

Nach 30 Jahren immer noch eine Sensation: das Vario-Getriebe von Fendt

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    Passend zum Jubiläum hatte Fendt im Forum auch das erste Vario-Getriebe ausgestellt. Eingebaut war es in einem Favorit 926, wie er im Hintergrund steht. Das Interesse an diesem Stück Landtechnikgeschichte aus Marktoberdorf war groß.
    Passend zum Jubiläum hatte Fendt im Forum auch das erste Vario-Getriebe ausgestellt. Eingebaut war es in einem Favorit 926, wie er im Hintergrund steht. Das Interesse an diesem Stück Landtechnikgeschichte aus Marktoberdorf war groß. Foto: Andreas Filke

    Was passiert da? Es muss damals ein Anblick gewesen sein, der manchen grübeln ließ. Unter Volllast fuhren da größere Traktoren von Bernbeuren hinauf auf den Auerberg. Ihr Ziel: der Parkplatz unterhalb der Kirche St. Georg, nahe der Wirtschaft. Nach einem Treff zum Frühschoppen sah es nicht aus. Die Schlepper fuhren einmal, sie fuhren mehrmals. Kein Außenstehender ahnte zu jener Zeit, dass Geschichte geschrieben wird. Eine Geschichte, die Fendt in Marktoberdorf gleichsam in die Champions League der Traktorenhersteller führen sollte. Dank des stufenlosen Vario-Getriebes, das an diesem Tag getestet wurde.

    Aus dem Fendt-Werk in Marktoberdorf drang über das Vario-Getriebe nichts nach außen: ein Wunder

    „Ob den Amerikanern bewusst war, was sie erwerben?“, fragte Dr. Heribert Reiter in die Runde im Fendt-Forum. Er bezweifelte das. Rund 300 Mitglieder des Fendt Classic Clubs International lauschten höchst interessiert den Worten des früheren Entwicklungschefs. Denn nun, 30 Jahre nach der Vorstellung dieses Getriebes, konnte er aus dem Nähkästchen plaudern. 1997 hatte der amerikanische Landmaschinenkonzern AGCO den Traktorenhersteller Fendt aufgekauft. Bei den einen herrschte Untergangsstimmung, sprachen von Ausverkauf. „Wenn die das Getriebe haben, lassen sie Fendt fallen“, war der Standardsatz. Die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze war in der Stadt und der Region groß.

    Die anderen prognostizierten Fendt eine gute Zukunft. Sie behielten recht. Denn AGCO investierte in einer Größenordnung, wie es die Gesellschafterfamilie nie hätte leisten können. Geld floss auch in die Weiterentwicklung des Vario-Getriebes. 1995 war es, eingebaut in ein Favorit 926, erstmals bei der Agritechnica in Hannover vorgestellt worden. „Ein Wunder, dass vorher nichts an die Öffentlichkeit gelangt war“, sagt Reiter. Denn die Präsentation bedeutete nicht anders als „eine Revolution“. Niemand habe sich damals vorstellen können, dass diese Technik in einem Traktor lange überlebt.

    Dr. Heribert Reiter, langjähriger Chef Forschung und Entwicklung bei AGCO/Fendt, referierte über 30 Jahre Vario-Getriebe und ließ einen Blick hinter die damals streng verschlossenen Kulissen zu.
    Dr. Heribert Reiter, langjähriger Chef Forschung und Entwicklung bei AGCO/Fendt, referierte über 30 Jahre Vario-Getriebe und ließ einen Blick hinter die damals streng verschlossenen Kulissen zu. Foto: Andreas Filke

    Ein Getriebe, das das Schalten für Maschinen überflüssig macht, die gleichmäßig über den Acker fahren: Das war realistisch. Aber für einen Motor, der in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Leistung bringen muss? Schafft der das? Kann er den guten Wirkungsgrad von Schaltgetriebe sogar noch verbessern?

    Einen „Silberpfeil“ hatte nicht nur Mercedes

    Diese Fragen trieben auch Hans Marschall um. Einen Mitstreiter fand er in Dr. Hermann Fendt. Bereits 1956 gab es erste Studien zum stufenlosen Getriebe, bald darauf einen Prototypen: den „Silberpfeil“, benannt nach seiner glänzenden Karosserie. In der Praxis hatten sich die Vorteile des Getriebes bewährt, aber die Nachteile überwogen. Und dann der vermeintliche Durchbruch: Marschall sah bei der Hannovermesse 1972 den Flygmotor von Volvo. Dieser und ein Fachartikel machten bei ihm „Klick“. Er tüftelte weiter und meldete 1973 für Fendt seinen „hydrostatisch-mechanischen Antrieb für land- und bauwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge“ als Patent an. Prof. Hans Jürgen Matthies von der TU Braunschweig hatte zuvor geurteilt, dieses Getriebe „dürfte zu bisher noch nicht erreichten Wirkungsgraden führen, und zwar über einen relativ großen Drehzahlbereich“. Die Bewertung eines Getriebeherstellers wenige Jahre später war allerdings vernichtend: „Dieses Getriebeprinzip ist für Fahrzeuge, wie beispielsweise Ackerschlepper, unserer Meinung nach nicht genügend geeignet.“

    Marschall überzeugte Hermann Fendt trotzdem. Dessen Bedingung: Das Getriebe muss in Traktoren einbaubar sein. Marschall arbeitete in der Fabrik als Werkzeugmaschinenkonstrukteur weiter – zu Hause aber als Getriebeentwickler. „Es war seine Lebensaufgabe“, sagte Reiter. 1982 legte er die Pläne für das Vario-Getriebe – damals Tristat genannt – vor. Der Wirkungsgrad lag über dem von Schaltgetrieben. „Alle Forschungen von Marschall wurden bestätigt.“ In Serie ging es dennoch nicht. Die Zeiten waren wirtschaftlich zu schwierig für Experimente. Das Projekt verschwand in der Schublade. Das änderte sich 1988. Das Getriebe sollte in Serie gehen. Sogar eine eigene Abteilung wurde gegründet: Bei Fendt hieß sie scherzhaft „Jugend forscht“ und stand unter der Leitung von Robert Honzek. Doch das erlebte Marschall nicht mehr mit. Er starb nach schwerer Krankheit 1989.

    Hunderttausende Vario-Getriebe hat Fendt inzwischen gebaut

    Mit Hochdruck arbeitete die Ingenieure weiter am Vermächtnis von Hans Marschall. „Viele von uns haben die Entwicklung miterlebt und gestaltet“, wie Reiter, der 1990 ins Werk kam, und Richard Heindl. Heindl gehörte zu denjenigen, die das Getriebe auch für Kleintraktoren konstruierten: „Bis heute weltweit einmalig.“

    Inzwischen sind 450.000 Vario-Getriebe gebaut. Jeder Fendt ist längst damit ausgestattet. Die Ideen von Marschall und „vielen kreativen Menschen“ leben in jedem Schlepper weiter. Bei einer Fahrt auf den Auerberg muss seitdem nicht mehr 18 Mal geschaltet werden – es geht in einem Rutsch nach oben.

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