50 spannende Relikte der Stadtgeschichte hat Autorin Heike Thissen mit Kennern der Regionalgeschichte im Werk „Memminger Geheimnisse“ zusammengetragen. In einer Serie stellen wir einige Kapitel vor. Heute: der Freiheitsbrunnen.
Geheimnisse müssen nicht immer mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel haben und in den hintersten Winkeln der Stadt versteckt sein, auch wenn das natürlich die besonders spannenden Relikte sind. Manchmal stehen Geheimnisse auch einfach mitten auf einem Platz wie dem Weinmarkt und ragen neun Meter in den Himmel – so wie der Freiheitsbrunnen. Das ändert nichts daran, dass er etwas ganz Besonderes ist. Einer, der für dieses Relikt mitverantwortlich ist, ist der Altoberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger, der sich in den letzten Jahren seiner 36-jährigen Amtszeit für den Brunnen einsetzte.
Im Rahmen der Neugestaltung des Weinmarkts haben wir 2008 einen Wettbewerb für einen Brunnen ausgelobt, der an das bedeutendste geschichtliche Ereignis der Stadt erinnern sollte.“
Dr. Ivo Holzinger, Altoberbürgermeister
„Im Rahmen der Neugestaltung des Weinmarkts haben wir 2008 einen Wettbewerb für einen Brunnen ausgelobt, der an das bedeutendste geschichtliche Ereignis der Stadt erinnern sollte“, erklärt das ehemalige Stadtoberhaupt. In unmittelbarer Nähe der Kramerzunftstube sollte er an historischer Stätte – früher hatte hier bereits einmal ein Brunnen gestanden – an die „Zwölf Bauernartikel“ erinnern, die dort schräg gegenüber am 7. März 1525 verfasst worden waren. Diese Artikel bündelten die Forderungen und Beschwerden, welche die Bauern anlässlich des deutschen Bauernkrieges in Memmingen gegenüber dem Schwäbischen Bund, also gegen Adel und Obrigkeit, erhoben.
Wie kam es zu der Form des Freiheitsbrunnens in Memmingen?
Den Zuschlag für den Brunnen erhielt der Augsburger Künstler Andy Brauneis (geb. 1964). Seine Grundidee: Zwölf Bronzetafeln bilden – scheinbar aufeinandergestellt – einen neun Meter hohen Turm mit vier Seiten. In den Tafeln sind unsichtbar Düsen eingebaut, die feine Wassertropfen aus der hohen Stele sprühen. Der Sockel besteht aus 49 Steinwürfeln, auf denen Bronzetafeln mit Auszügen aus den Beschwerden und Forderungen der oberschwäbischen Bauern in ihrer modernisierten Fassung zu lesen sind. Finanziert wurde der Brunnen durch die Stadt und eine großzügige Spende der Memmingerin Elisabeth Bach-Schedel.
Die Besonderheit bei den „Zwölf Artikeln“ in Memmingen
„Das Treffen der Bauern in Memmingen war wie eine erste verfassungsgebende Versammlung, auf der Grundprinzipien demokratischer Gemeinwesen formuliert wurden: Freiheit, Gerechtigkeit, Wahl, Selbstbestimmung und Mitbestimmung“, geht Ivo Holzinger ins Detail. Das Besondere an den Forderungen war die Berufung der Bauern auf die Bibel und das Evangelium. Der Bibel hatten sie entnommen, dass sie frei seien und sein wollten. In ihren „Zwölf Artikeln“ haben sie deshalb die Universalität der Menschenrechte bezeugt, die weder durch ein lokales noch durch irgendein anderes Sonderrecht außer Kraft gesetzt werden dürfen.
Dr. Hans-Wolfgang Beyer, ehemaliger Kulturamtsleiter der Stadt, schrieb in einer Annäherung an den Freiheitsbrunnen anlässlich dessen Realisierung im Jahr 2014: „Ziel der Brunnengestaltung war es deshalb nicht, die Geschichte des Bauernkriegs zu erzählen. Es stellte sich vielmehr die Aufgabe, dem hohen Gut der Freiheit und nicht zuletzt ihrer Zerbrechlichkeit eine Gestalt zu geben.“
„Freiheit und Menschenwürde sind keine Geschenke, sie sind jedem Menschen zu eigen und sollen überall ihre Wirkung entfalten.“
Dr. Hans-Wolfgang Beyer, ehemaliger Kulturamtsleiter der Stadt Memmingen
Und er fährt fort: „Denn wir wissen, dass Freiheit, einmal errungen, nicht für immer gesichert ist. Sie bleibt verletzlich und angreifbar. Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft ist es deshalb, Freiheit wertvoll zu machen, ihr Funktionieren transparent zu halten und Bedrohungen von außen wie von innen zu benennen.“
Was der Freiheitsbrunnen in Memmingen heute allen Generationen vermitteln soll
Das Bauprinzip des Memminger Freiheitsbrunnens gebe diesen Ansprüchen Form und Inhalt. So kann sich zum Beispiel der produzierte Wassernebel frei bewegen, ohne Ziel und Richtung. Er erfüllt sein Umfeld wie die Luft zum Atmen. „Freiheit und Menschenwürde sind keine Geschenke, sie sind jedem Menschen zu eigen und sollen überall ihre Wirkung entfalten“, führte Hans-Wolfgang Beyer den Gedanken damals fort.
Besonders beliebt sind die freiheitverbreitenden Wassertröpfchen bei Kindern, die bei warmen Temperaturen die Abkühlung im Brunnen genießen. Ihre Eltern können derweil die „Zwölf Artikel“ lesen und sich Gedanken darüber machen, wie es denn heute um die Freiheit bestellt ist.
Das Buch
Die „Memminger Geheimnisse“ erscheinen in Kooperation zwischen der Mediengruppe Allgäuer Zeitung und dem Bast Medien Verlag. Das Hardcover hat 192 Seiten, ist durchgehend bebildert und kostet 24 Euro. Erhältlich ist es in den Geschäftsstellen der Allgäuer Zeitung sowie im Buchhandel. ISBN: 978-3-911514-00-2
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