Etwa 270.000 Menschen erleiden laut der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe jedes Jahr einen Schlaganfall. Jeder fünfte stirbt in den ersten Wochen an den Folgen, ein Jahr danach bleiben rund 64 Prozent der überlebenden Patienten pflegebedürftig. Und in den Familien ist nichts mehr so, wie es vorher einmal war. Denn dort fangen die Probleme erst an, wenn der erste Schock überwunden, Klinikaufenthalt und Reha durchlaufen sind und die Betroffenen wieder nach Hause kommen. „Genau da setzen wir an“, sagt Elisabeth Barisch, die Koordinatorin der Schlaganfall-Hilfe des Kreisverbands Unterallgäu des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Dieses kostenlose Angebot gibt es seit etwa zwei Jahren – und es ist noch wenig bekannt in der Bevölkerung. Schon seit 24 Jahren gibt es dagegen ein Angebot in Benningen. Beide sind einmalig im Allgäu.
Diesen Kinderarzt hat es während der Sprechstunde getroffen
„Das Leben ist ein komplett anderes nach einem Schlaganfall“, weiß auch Thomas Ulmer. Den Kinder- und Jugendarzt hat es schon Ende 40 getroffen – während der Sprechstunde in seiner eigenen Praxis in Aalen. Nach der Erstversorgung im Krankenhaus verbrachte Ulmer insgesamt zwei Jahre in verschiedenen Rehakliniken, davon eineinhalb in Bad Tölz. Noch immer hat der heute 57-Jährige Probleme beim Gehen, er braucht einen Gehstock, für längere Strecken oder bei Glätte hat er einen Rollator. Arbeiten kann er nicht mehr. Doch er engagiert sich ehrenamtlich als Schlaganfall-Helfer beim BRK und ist zudem Vorsitzender des Benninger Vereins Selbsthilfegruppe für Schlaganfallbetroffene, Schädel-Hirn-Verletzte und deren Angehörige.
Ein Betroffener hilft anderen Betroffenen
Ulmer, der nach dem Schlaganfall in seine Heimatstadt Memmingen zurückgezogen ist, weil er die Nähe seiner Familie brauchte, kann heute wieder allein leben. Erfolgreich darauf vorbereitet hat ihn – neben Ergo-, Physio-, Sprach-, und Musiktherapeuten - in Bad Tölz ein Alltagshelfer. Jetzt hilft er selbst anderen Betroffenen, sich im Leben nach dem Schlaganfall zurechtzufinden. Dabei geht es nicht um therapeutische oder pflegerische Leistungen, sondern um Beratung und Information, um Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen, um Hilfe zur Selbsthilfe, um Zuspruch und Ermutigung.
In den Familien schauen, welche Hilfe nötig ist
„Nach dem ersten Kontakt am Telefon gehen wir in die Familien und schauen, welche Hilfe nötig ist“, erzählt Barisch. Mal reichten schon zwei, drei Stunden Betreuung, ein andermal sei ein halbes Jahr Begleitung notwendig. Langzeitbetreuungen seien aber nicht vorgesehen. Aktuell stehen ihr drei ehrenamtliche Helfer und Helferinnen zur Verfügung, der Kreis soll aber noch wachsen. Dabei wird niemand einfach so losgeschickt. Vor dem ersten Einsatz gibt es eine Online-Schulung der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, mit der das BRK kooperiert. Der zeitliche Aufwand bis zum entsprechenden Zertifikat beträgt etwa 20 frei einteilbare Stunden. Ideal sei es, wenn man auch tagsüber Zeit als Schlaganfall-Helfer hat, sagt Barisch.
So kann ein Einsatz aussehen
Wie unterschiedlich diese Hilfe aussehen kann, weiß sie von ihren eigenen Einsätzen: Mit einer Frau ging sie vor allem spazieren und führte Gespräche; ein Mann, der mitten aus dem Arbeitsleben gerissen wurde und trotz guten Fortschritten in der Genesung nicht mehr leben kann wie vor dem Schlaganfall, brauchte Unterstützung, um sich neu zu organisieren; eine Frau mit schwierigem sozialem Hintergrund vermittelte Barisch im Laufe der Betreuungszeit in eine Wohngruppe. Eine andere Helferin unterstützte eine Schlaganfallpatientin bei alltäglichen Dingen wie dem Einkaufen, besuchte sie aber hauptsächlich, um miteinander kreativ zu sein, sich zu unterhalten oder zu kochen. „Sie hat die ganze Familie mit einbezogen und aufgefangen“, erzählt Barisch. „Alle waren unglaublich dankbar für diese große Stütze.“
Die neue Situation positiv angehen
„Ich kenne keinen, der nach einem Jahr wieder fit war, auch junge Patienten nicht“, sagt Ulmer nicht nur aus eigener Erfahrung. Aus der Benninger Selbsthilfegruppe und als BRK-Schlaganfall-Helfer weiß er, wie tief der Einschnitt in das alltägliche Leben ist, wenn etwa Motorik und Sprache beeinträchtigt sind. Er weiß aber auch, wie wichtig es ist, wieder herauszukommen aus der Isolation. Ein wichtiger Baustein, um die Lebensgeister wieder zu wecken, sind in der Selbsthilfegruppe therapeutisch betreute Sportstunden.
„Nach einem Schlaganfall herrscht in den Familien oft große Hilflosigkeit“, weiß Barisch. Sie rät deshalb, sich schon mit der neuen Situation auseinanderzusetzen, wenn die Patienten noch auf Reha sind, mit einem Schlaganfall-Helfer die Wohnung zu begehen oder sich über Hilfsmittel zu unterhalten. „So können viele Ängste und Hindernisse beseitigt werden.“
Wer Schlaganfall-Hilfe braucht oder Schlaganfall-Helfer werden will, kann sich melden bei Elisabeth Barisch, BRK-Kreisverband Unterallgäu, Geschäftsstelle Memmingen, Telefon 08331/9531-126.
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