Die Frauen der Memminger Indians haben einen neuen Headcoach verpflichtet. Der 37 Jahre alte Kai Erlenhardt wird ab der neuen Saison das Sagen an der Bande des sechsfachen Deutschen Meisters haben. Wir haben mit dem neuen Trainer und dem Manager der Indians-Frauen, Peter Gemsjäger, gesprochen.
Willkommen bei der Frauen-Mannschaft der ECDC Memmingen Indians, Herr Erlenhardt. Wie fühlt es sich an, Teil dieses Klubs zu sein?
Kai Erlenhardt: Es fühlt sich absolut stimmig an. Schon in den ersten Gesprächen mit der Organisation war deutlich zu spüren, wie groß die Bereitschaft ist, sich sportlich und strukturell weiterzuentwickeln. Das Memminger Eishockey hat eine beeindruckende Geschichte – gerade auch im Frauen-Bereich – und man merkt sofort, welchen Stellenwert der Sport hier in der Stadt genießt. Die Leidenschaft, die hier gelebt wird, kenne ich aus Augsburg und Krefeld nur zu gut, und die enge Verbindung zwischen Verein, Team und Umfeld macht den Standort für mich besonders reizvoll.
Herr Gemsjäger, wie sind Sie auf Kai Erlenhardt gekommen?
Peter Gemsjäger: Wir haben schon seit vielen Jahren Kontakt, und Kai hat mich kontaktiert, nachdem wir Waldemar Dietrich (bisheriger Trainer der ECDC-Frauen, Anm. d. Red.) verabschiedet hatten. In unserem ersten Gespräch kam heraus, dass Kai mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt von Nordrhein-Westfalen nach Bayern, bei Landsberg, verlegt hat. Von allen Bewerbern hat er die meisten Punkte unserer Anforderungen erfüllt. Die Tatsache, dass er auch schon als Headcoch im Frauenbereich tätig war, war für uns dabei ein ganz wichtiger Faktor.
Herr Erlenhardt, was waren Ihre bisherigen Stationen im Eishockey?
Erlenhardt: Mit 22 Jahren begann meine Trainer-Laufbahn im Nachwuchsbereich der „Füchse“ Duisburg, wo ich vier Jahre lang tätig war. Danach folgte ein Wechsel zur Düsseldorfer EG – dort habe ich das Frauenprogramm aufgebaut. Wertvolle internationale Einblicke ergaben sich durch Gaststationen bei den Profi-Clubs in Nitra (Slowakei) und Graz (Österreich). Diese Erfahrungen haben mein Verständnis für Spielsysteme, Trainingsmethoden und professionelle Strukturen deutlich erweitert. Zeitgleich war ich im Management der Krefeld „Pinguine“ tätig und konnte umfassende Einblicke in die organisatorischen Abläufe eines DEL-Klubs gewinnen. Nach meinem Umzug nach Bayern übernahm ich die Position des Video-Coaches beim Augsburger EV. Daneben konnte ich dort mein Fachwissen im Trainerteam sowohl auf dem Eis als auch in der Analysearbeit vertiefen.
Die ECDC-Frauen wollen ihren Titel verteidigen
Herr Gemsjäger, was sind Ihre Erwartungen an den neuen Coach?
Gemsjäger: Er soll unsere Mannschaft weiterentwickeln. In der Bundesliga wollen wir unseren Titel verteidigen, die Nationalspielerinnen sollen bestmöglich auf die Olympischen Winterspiele in Mailand vorbereitet und junge Spielerinnen an die Bundesliga herangeführt werden.
Was hat Sie überzeugt, das Traineramt hier zu übernehmen, Herr Erlenhardt?
Erlenhardt: Ganz klar: die Mannschaft und das Projekt, das wir hier gemeinsam anstoßen. Es geht nicht um kurzfristige Effekte, sondern um den nachhaltigen Aufbau eines leistungsfähigen, modernen Frauenprogramms. Die Vision, das Frauen-Eishockey in Memmingen auf ein neues Niveau zu heben, hat mich überzeugt – sportlich, strukturell und vor allem kulturell. In einem Jahr wie diesem, in dem Olympia mit Blick auf Mailand 2026 eine zentrale Rolle spielt, gilt es, eine funktionierende Balance innerhalb des Teams zu entwickeln: zwischen ambitionierten Olympia-Kandidatinnen, jungen Talenten mit Entwicklungspotenzial und gestandenen Führungsspielerinnen, die den Spaß am Spiel unter professionellen Bedingungen leben. Was mich besonders anspricht, ist die Möglichkeit, mit dieser Struktur etwas Langfristiges zu schaffen – ähnlich wie es die „Eisbären“ Berlin im Männerbereich erfolgreich vorgemacht haben: klare Philosophie, gezielte Entwicklung, starke Identität. Wenn wir diesen Spirit auf unser Projekt übertragen, ist hier sehr viel möglich – und genau das reizt mich an dieser Aufgabe.
Kannten Sie den Verein oder einzelne Spielerinnen bereits vor Ihrer Verpflichtung?
Erlenhardt: Natürlich. Memmingen gehört seit Jahren zu den Top-Adressen im deutschen Frauen-Eishockey. Einige Spielerinnen kannte ich aus meiner Hospitationszeit bei U-18-Lehrgängen, andere durch ihre Leistungen auf dem Eis oder aus der Nationalmannschaft. Die Fraueneishockey-Welt ist ja auch nicht so groß – umso spannender ist es jetzt, mit diesen Spielerinnen zusammenzuarbeiten und das nächste Kapitel gemeinsam zu gestalten.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Erlenhardt: Ich setze auf Klarheit, Struktur und Verlässlichkeit. Jede Spielerin soll wissen, woran sie ist – nicht, um Druck aufzubauen, sondern um Orientierung zu geben. Mir ist wichtig, dass wir als Team ein gemeinsames Verständnis davon haben, wie wir arbeiten und auftreten wollen, und dass das idealerweise mit Freude und Spaß verbunden ist. Ich würde schon behaupten, dass ich jemand bin, der viel fordert, weil ich fest daran glaube, dass sich Einsatz und Investition – im Sport wie im Leben – immer auszahlen.
Welche Art von Eishockey möchten Sie hier spielen lassen?
Erlenhardt: Ich denke, das knüpft direkt an meine Haltung als Trainer an: Für mich ist Verlässlichkeit das höchste Gut auf dem Eis. Ich bin kein Coach, der starr ein System über eine Mannschaft stülpt. Stattdessen will ich zunächst im Detail verstehen, wo die individuellen Stärken und Schwächen der Spielerinnen liegen – und welche Spielerinnen von außen mögliche Lücken sinnvoll schließen können. Mir geht es am Ende weniger um eine feste taktische Ausrichtung, sondern vielmehr um klare Prinzipien. Zeit und Raum sind im modernen Eishockey die wertvollsten Ressourcen – und unser Ziel muss es sein, genau diese dem Gegner konsequent zu nehmen. Ob im Forecheck, in der neutralen Zone oder im eigenen Drittel – wir wollen immer organisiert, präsent und schwer zu bespielen sein.
Haben Sie das aktuelle Team bereits analysiert? Wo sehen Sie die größten Potenziale und Herausforderungen?
Erlenhardt: Ja und Nein. Natürlich habe ich mir bereits ein erstes Bild gemacht – und der Eindruck ist definitiv positiv. Ich übernehme eine gewachsene Mannschaft, die durch meinen Vorgänger sehr gut entwickelt wurde. Der Kader bringt vieles mit, was man braucht, um erfolgreich zu sein: Qualität, Erfahrung und eine stabile Struktur. Die größte Herausforderung wird darin bestehen, die Mannschaft in der Liga auf Kurs zu halten – und das in einem Jahr, das für einige Spielerinnen mit der Olympia-Teilnahme womöglich den sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere bereithält. Diese Balance zwischen täglichem Liga-Betrieb, individueller Belastung und internationalen Zielen hinzubekommen, wird anspruchsvoll – aber genau darauf freue ich mich.
Wie wichtig ist es Ihnen, mit erfahrenen Spielerinnen, gleichzeitig aber auch mit jungen Talenten zu arbeiten?
Erlenhardt: Ich glaube, es gibt kaum etwas Wichtigeres. Junge Athletinnen brauchen die Erfahrung der etablierten Spielerinnen – nicht nur auf dem Eis, sondern auch im täglichen Miteinander, in der Kabine und im Umgang mit Druck und Verantwortung. Erfahrene Spielerinnen geben Orientierung, Stabilität und eine Vorbildfunktion. Gleichzeitig bringen junge Talente Energie, Neugier und Entwicklungspotenzial mit. Die richtige Mischung aus beidem macht ein Team nicht nur erfolgreicher, sondern auch lebendiger. Für mich ist das kein Entweder-oder, sondern eine Partnerschaft, von der beide Seiten profitieren – wenn man sie richtig führt.
Welche Ziele haben Sie sich für die kommende Saison gesetzt – sportlich und strukturell?
Erlenhardt: Sportlich verfolgen wir drei klare Ziele: Erstens wollen wir an die Erfolge der vergangenen Jahre anknüpfen und erneut eine starke Rolle in der Liga spielen. Zweitens liegt ein besonderer Fokus darauf, unsere Olympia-Fahrerinnen bestmöglich zu begleiten und vorzubereiten, und drittens wollen wir jungen Spielerinnen echte Perspektiven bieten. Ich habe kein Problem damit, eine Nachwuchsspielerin in die erste Reihe zu stellen – wenn sie es sich verdient. Leistung wird bei uns unabhängig vom Alter bewertet. Strukturell gibt es zwei Punkte, die ich in Angriff nehmen werde. Wenn man sich den aktuellen Kader anschaut, fällt auf, dass wir nur zwei Rechtsschützinnen im Team haben. Das schränkt uns in gewissen Spielsituationen – etwa im Powerplay – taktisch ein. Außerdem sind wir personell noch nicht komplett. Ich bin derzeit dabei, die letzten Puzzleteile zu finden. Konkret suchen wir eine spielstarke Verteidigerin und zwei Stürmerinnen, die zu unserem Anforderungsprofil passen. Darüber hinaus wollen wir auch im Trainerteam noch etwas tun. Wir brauchen aufgrund der eigenen Anforderungen noch mehr Tiefe. Das heißt konkret: ein Videocoach, der Live-Cuts während der Spiele durchführt, sowie einen weiteren Assistenztrainer, der mich auf dem Eis unterstützt. Das wird mit Sicherheit eine große Herausforderung werden, aber ich bin davon überzeugt, dass unser Projektvorhaben auf Interesse stoßen wird.
Die ECDC-Frauen veranstalten ein Try Out in Füssen
Herr Gemsjäger, wie gehen Sie das Thema Recruiting an?
Peter Gemsjäger: Es laufen bereits erste Gespräche mit Spielerinnen, die in unser Anforderungsprofil passen. Kai ist dazu schon sehr aktiv geworden. Zusätzlich werden wir im August in Füssen ein Try-Out-Training für interessierte Spielerinnen anbieten.
Herr Erlenhardt, was ist Ihnen in der Kommunikation mit der Mannschaft, dem Staff und den Fans besonders wichtig?
Erlenhardt: Gerade wenn man sich anschaut, was in der Welt aktuell passiert, wird deutlich, welchen Stellenwert gute Kommunikation hat – und das gilt im Kleinen genauso wie im Großen. Für mich ist es entscheidend, dass wir uns offen, ehrlich und respektvoll begegnen – im Team, mit dem Staff und auch mit den Fans. Nur wenn wir transparent und auf Augenhöhe kommunizieren, entsteht Vertrauen. Und Vertrauen ist die Grundlage für jedes funktionierende Miteinander – egal, ob auf dem Eis oder daneben.
Was hat Sie persönlich zuletzt im Eishockey begeistert oder emotional bewegt?
Erlenhardt: Das kann ich ziemlich genau sagen – am 7. März 2025, gegen 21.45 Uhr, in der Regiebox der Iserlohn „Roosters“. Es war der letzte Spieltag der DEL-Hauptrunde. Wir mussten mit Augsburg unser Spiel in Iserlohn unbedingt gewinnen, weil die Düsseldorfer EG zeitgleich ihr Heimspiel gegen Wolfsburg gewonnen hatte. Alles war offen – ein Punktverlust hätte für uns den Abstieg bedeutet. Wir führten 3:2, es waren noch etwa 35 Sekunden auf der Uhr. Shane Gersich von den „Roosters“ stand plötzlich völlig frei und hatte das offene Tor vor sich. Es sah nach dem bitteren Knock-out aus – und dann kam unser Torhüter mit dem Save des Abends. Er rettete uns den Liga-Verbleib. In dem Moment bin ich vor Anspannung und Erleichterung regelrecht explodiert. Nicht nur, weil es sportlich alles entschieden hat – sondern weil ich wusste, was dieser Moment für den Klub, die Spieler und die Fans bedeutet. Solche Augenblicke erinnern Dich daran, warum Du diesen Sport liebst: weil sich in einer einzigen Sekunde alles drehen kann.
Zur Person
Kai Erlenhardt ist 37 Jahre alt und stammt aus Krefeld. Er hat die Trainer-A-Lizenz des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) und wohnt in der Nähe von Landsberg. Er ist verheiratet und hat einen zweijährigen Sohn.
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