Als Österreichs Interimskanzler Alexander Schallenberg am Montag durch die Brüsseler EU-Stuben tourte, war er um Schadensbegrenzung bemüht. Das Alpenland, so versuchte er bei seinem Antrittsbesuch zu versichern, „ist und bleibt ein verlässlicher und starker Partner in Europa und der Welt“ – trotz der Aussicht, dass bald mit Herbert Kickl ein Rechtspopulist die Geschäfte in Wien übernehmen könnte. Man werde sich „weiterhin aktiv auf europäischer und internationaler Ebene einbringen“, sagte der konservative ÖVP-Politiker, bevor er zunächst EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, dann die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und zuletzt Ratspräsident Antonio Costa traf.
Kann die ÖVP Herbert Kickl wirklich kontrollieren?
30 Jahre nach dem EU-Beitritt sei es „klarer denn je”: Die regelbasierte internationale Ordnung und die EU seien „die besten Garanten für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand”. Die Botschaft, die durchklingen sollte: Kickls Macht wäre, falls er denn Bundeskanzler würde, durch den Koalitionsvertrag mit der konservativen ÖVP sowie durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen beschnitten. Von Diplomaten war zu vernehmen, dass jede Vereinbarung wohl eine Formulierung enthalten soll, wonach Österreichs Mitgliedschaft in der Gemeinschaft und andere mögliche Leitplanken in Bezug auf Russland und die Ukraine festgeschrieben würden. Doch welche Sicherheit garantiert ein solches Stück Papier?
Und wie könnten die Christdemokraten den Rechtsaußen im Zaum halten, wenn Kickl mit den europäischen Amtskollegen im kleinen Kreis Entscheidungen treffen soll? Zu viele Fragezeichen bleiben, als dass der Übergangsmann Schallenberg die Zweifel hätte ausräumen können. Vielmehr herrscht die Sorge, dass die europaskeptische, migrationsfeindliche und russlandfreundliche FPÖ auf EU-Ebene für Ärger und Zerwürfnisse sorgen wird – im Schulterschluss mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán und dem slowakischen Regierungschef Robert Fico.

Sollte Österreich dem Club der Querulanten beitreten, stünde die EU vor einem massiven Problem. Ihr würden schlichtweg die Instrumente fehlen, um Deals auszuhandeln. Ungarn ist als Nettoempfänger auf das Geld aus Brüssel angewiesen und lenkt auch wegen der finanziellen Not regelmäßig in Verhandlungen ein, weil die Gemeinschaft droht, Mittel zurückzuhalten oder zu kürzen. Wien dagegen überweist mehr Geld an die EU, als es erhält. Das effektivste Druckmittel der Gemeinschaft, um aufmüpfige Regierungen zu zügeln, würde deshalb nicht auf ähnliche Weise wirken.
Kickl und Orban könnten die EU ausbremsen
Als warnendes Beispiel dürfte ein Auftritt aus dem letzten Jahr dienen. Kickl und Orbán hatten im Juni zusammen mit dem tschechischen Ex-Regierungschef Andrej Babiš die Gründung der Rechtsaußen-Fraktion „Patrioten für Europa“ verkündet. Damit rückte im EU-Parlament politisch zusammen, was sich geografisch und programmatisch bereits nah war. Nun befürchten Beobachter, dass sich Wien und Budapest bald auch in den EU-Ministerräten und im Gremium der 27 Mitgliedstaaten verschwören und die Union insbesondere beim Umgang mit Russland spalten könnten.

Während die meisten Beschlüsse im Europäischen Rat zwar lediglich eine qualifizierte Mehrheit benötigen, erfordern viele Fragen in der Außenpolitik weiterhin Einstimmigkeit. Und Orbáns Widerstandskurs löste in der Vergangenheit, vorneweg bei der Unterstützung der Ukraine und den Sanktionspaketen gegen Moskau, oft monatelangen Streit aus. Mit einem zusätzlichen Störenfried am Verhandlungstisch könnte es noch schwieriger werden, einen Konsens zu finden. Hinzu kommt die Gretchenfrage: Schließt Kickl weiterhin einen Austritt Österreichs aus der EU nicht aus, wie er im vergangenen Jahr getönt hatte?
Der Aufschrei hält sich auch in der EU in Grenzen
Tatsächlich wecken die jüngsten Entwicklungen düstere Erinnerungen in Brüssel. Als in Österreich um die Jahrtausendwende die FPÖ, damals unter der Führung von Jörg Haider, eine Koalition mit der konservativen Volkspartei einging, löste das einen bis dato beispiellosen Aufschrei in Europa aus. 14 der damals noch 15 EU-Mitgliedstaaten kündigten an, das Alpenland isolieren zu wollen. Man drohte mit diplomatischer Ausgrenzung, politischer Ächtung und Boykott. Die EU-Spitzen diskutierten offen über den Ausschluss Österreichs aus der Union. Die Gemeinschaft sah eine rote Linie überschritten. Zu blutig die Geschichte Europas, als dass jemals die extreme Rechte mit am wichtigen Tisch in Brüssel sitzen dürfe.
Ein Vierteljahrhundert später klingt die Empörung deutlich milder. Dreimal war die FPÖ seit 2000 in der Regierung. Nur wäre sie nun erstmals der größere Partner in der Koalition – und damit auch in der Lage, die gesamte EU zu blockieren.
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