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Der Bundestag setzt die Afghanistan-Tragödie fort

Afghanistan

Der Bundestag setzt die Afghanistan-Tragödie fort

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    Der Plenarsaal des Bundestages in Berlin. Am Mittwoch wurde hier unter anderem über den Einsatz in Afghanistan debattiert.
    Der Plenarsaal des Bundestages in Berlin. Am Mittwoch wurde hier unter anderem über den Einsatz in Afghanistan debattiert. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die dunklen Bilder aus Afghanistan dringen bis in das lichtdurchflutete Reichstagsgebäude. Unter der gläsernen Kuppel sind an diesem Mittwoch die Abgeordneten zu einer Sondersitzung des Bundestages zusammengekommen. Während draußen die Sonne scheint, geht es drinnen auch um andere Katastrophen. Um das Hochwasser im Westen Deutschlands, um Corona, aber zuallererst geht es um die Lage in Afghanistan.

    Angehörige sämtlicher Parteien drücken ihr Mitgefühl mit den Menschen aus, die von den Taliban erdrückt werden. Trotz des Wahlkampfes halten sich die Abgeordneten mit übertriebenen Angriffen auf die politischen Gegner zurück, der Ton bleibt der Lage angemessen. Eine Sternstunde des Parlaments erleben die Beobachterinnen und Beobachter vor Ort jedoch nicht. Mehr in unserem Newsblog.

    Schäuble: "Menschen nicht im Stich lassen"

    Es ist zunächst an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die brutale Lage in Kabul mit wohldurchdachten Worten zusammenzufassen. Wofür andere Rednerinnen und Redner nach ihm viele Sätze brauchen und trotzdem scheitern, reichen dem erfahrenen CDU-Politiker wenige Worte. „Die Verzweiflung der Menschen am Flughafen in Kabul zerreißt einem das Herz“, sagt Schäuble. „Es ist eine Tragödie für die Afghanen, die nun um ihr Leben fürchten – unter ihnen Frauen und Mädchen, die lernen durften, selbstbestimmt und selbstbewusst zu leben.“

    Schäuble erinnert die vor ihm sitzenden Abgeordneten an ihre „moralische Verpflichtung“ und mahnt: „Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen!“ Deutschland und seine Verbündeten seien mit ihrem Einsatz gescheitert und müssten jetzt zeigen, „dass wir immerhin der Niederlage gewachsen sind“. Genau das hätte die Klammer dieser Sondersitzung zu Afghanistan sein können. Doch das Parlament bleibt seltsam unbeweglich.

    Merkel sieht "eine einzige Tragödie"

    Kanzlerin Angela Merkel spricht erneut von „furchtbaren menschlichen Dramen“, die sich in Kabul abspielten. „Die Entwicklungen der letzten Tage sind furchtbar, sie sind bitter. Für viele Menschen in Afghanistan sind sie eine einzige Tragödie“, bekräftigt die CDU-Politikerin. Sie erinnert an einen ehemaligen Leibwächter, der 2007 beim Afghanistan-Einsatz ums Leben kam und gedenkt aller 59 Deutschen, die bei dem Versuch getötet wurden, die Sicherheit des Landes am Hindukusch zu verteidigen.

    Warum die Rettung der Ortskräfte nicht früher einsetzte? Die promovierte Physikerin Merkel sieht hier ein „Dilemma bei Entscheidungen dieser Art“. Hätte die Regierung nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die vielen Helferinnen und Helfer vor Ort abgezogen, wäre das einerseits sicherlich als vorausschauend gewertet worden, sagt sie. Anderseits wäre der Vorwurf laut geworden, man lasse die Afghanen und zahlreiche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit im Stich.

    Baerbock will großen Afghanistan-Gipfel

    Hinterher, macht Merkel in ihrer Schlussfolgerung deutlich, sei man eben immer schlauer. Niemand habe vorausahnen können, wie schnell die afghanische Regierung und die regulären Truppen aufgeben und den Taliban weichen würden. Niemand habe gewusst, wie sich die USA verhalten, sagt die Regierungschefin und schiebt damit die Verantwortung anderen zu. Es sind Sätze wie diese, die Linkenfraktionschef Dietmar Bartsch später erneut zu der Einschätzung gelangen lassen, der Afghanistan-Einsatz sei „der schwärzeste Punkt“ in Merkels Amtszeit. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert einen internationalen Afghanistan-Gipfel mit allen Nato-Mitgliedern und Anrainerstaaten. Aber solch ein Treffen mit so vielen unterschiedlichen Interessenlagen will gut vorbereitet sein, wenn es ein Ergebnis geben soll. Das dauert und hilft in Afghanistan gerade niemandem.

    Die Sondersitzung des Bundestags gerät so auf Regierungsseite zu einer Veranstaltung, die ans eigene Volk gerichtet ist und keine verwertbaren Signale an die Menschen in Afghanistan aussendet. Über die Möglichkeit eines eigenen deutschen oder eines europäischen Evakuierungseinsatzes beispielsweise wird nicht debattiert. Und schon gar nicht kommt das, was viele von dieser Sondersitzung, von Merkels Regierungserklärung und den anderen Reden erwartet oder erhofft hatten. Von einer Entschuldigung gegenüber dem afghanischen Volk ist nichts zu hören.

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