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Diskriminierung: Meldestelle: Mehr Hass und Hetze gegen Sinti und Roma

Diskriminierung

Meldestelle: Mehr Hass und Hetze gegen Sinti und Roma

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    So wie die Dokumentationsstelle Antiziganismus (MIA) in Berlin hat nun auch die regionale Schwesterorganisation für Hessen einen Jahresbericht vorgelegt. (Symbolbild)
    So wie die Dokumentationsstelle Antiziganismus (MIA) in Berlin hat nun auch die regionale Schwesterorganisation für Hessen einen Jahresbericht vorgelegt. (Symbolbild) Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

    In einer Straßenbahn ruft ein Mann «Fahr nach Auschwitz!», an einem Spind im Job findet sich ein geschmiertes Hakenkreuz: Die Zahl registrierter Diskriminierungen von Sinti und Roma in Hessen ist laut der Informations- und Meldestelle Antiziganismus (MIA) eklatant gestiegen. Sie habe sich von 113 Vorfällen 2023 auf 159 im Jahr 2024 erhöht, also um rund 40 Prozent - auch wegen der inzwischen größeren eigenen Bekanntheit, teilte MIA in Wiesbaden bei der Vorstellung ihres zweiten, 68-seitigen Jahresberichts mit.

    Antiziganismus ist eine besondere Form des Rassismus, die sich gegen Sinti und Roma oder gegen Menschen richtet, die als solche wahrgenommen werden - mit Vorurteilen wie Arbeitsverweigerung, Nichtsesshaftigkeit, Bildungsferne und Lärm. Dies hat eine jahrhundertealte Tradition.

    Viele Diskriminierungen im Wohnumfeld und an Schulen

    «Am häufigsten, mit 57 Prozent, wurden Menschen antiziganistisch beleidigt beziehungsweise verbal stereotypisiert», ergänzte die Meldestelle mit Blick auf die im Jahr 2024 registrierten Vorfälle in Hessen. Vor allem im Wohnumfeld und an Schulen sei es zu gemeldeten Diskriminierungen gekommen.

    So habe ein Nachbar aus einem Fenster Gegenstände auf spielende Kinder geworfen und sie fast verletzt. Eine Familienangehörige sei anschließend tatsächlich verletzt worden. Oder ein Mädchen sei auf einem Schulhof vom Fußballspiel ausgeschlossen worden mit den Worten eines anderen Kindes: Roma könnten das nicht - nur essen, dabei seien sie gut.

    Meldestelle: Auch Lehrerinnen und Lehrer beteiligt

    Lehrerinnen und Lehrer sind laut MIA «besonders oft involviert». Entweder mit eigenen Aussagen oder nicht angemessenem Einschreiten bei Vorfällen unter Schülerinnen und Schülern. «Das heißt, an vielen hessischen Schulen, explizit an denen, von denen wir Meldungen erhalten haben, werden antiziganistische Vorfälle zumindest geduldet, ihr antiziganistischer Gehalt geleugnet oder nicht als solcher erkannt», hieß es.

    Der Mutter des vom Fußball ausgeschlossenen Mädchens zum Beispiel sei von einer Lehrkraft gesagt worden: «Ich kann da nichts machen, Ihre Tochter muss halt die anderen Kinder damit überraschen, dass sie gut Fußball spielen kann.»

    «Alarmierende Entwicklung»

    MIA-Projektleiter Joachim Brenner erklärte zum Anstieg gemeldeter Fallzahlen in Hessen: «Konkret heißt das, dass Beleidigungen, Bedrohungen, Benachteiligungen, Ausgrenzungen gegenüber Roma und Sinti am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit, in der Schule, im Alltag nicht nur weiterhin bestehen, sondern zugenommen haben.» Dieser «alarmierenden Entwicklung» müsse entschieden entgegengetreten werden. Ohnehin gibt es MIA zufolge bei der Zahl dieser Fälle ein großes Dunkelfeld.

    Brenner verwies auch auf den jüngst gemeldeten deutlichen Anstieg der Zahl antisemitischer Vorfälle landes- wie bundesweit. Dies zeige generell, «dass die Luft dünner wird, dass die Hemmschwellen sinken». Es gebe sogar «unheilige Allianzen» von Migranten und der Mehrheitsbevölkerung bei der Diskriminierung der Sinti und Roma, ebenso wie unter prekär in Wohnheimen lebenden und sonst miteinander verfeindeten Menschen.

    MIA: Vorurteile finden sich noch heute in einigen Schulbüchern

    Rinaldo Strauß, ebenfalls MIA-Projektleiter, forderte, «dass die Verfolgungsgeschichte von Sinti und Roma und die Strukturen des gegenwärtigen Antiziganismus an Schulen und Universitäten ein verpflichtender Bestandteil der Lehrpläne wird». Betroffene Mädchen und Jungen müssten vor Antiziganismus an Schulen geschützt werden. MIA erklärte: «Noch heute finden sich in einigen Schulbüchern und auch in Schullektüren im Deutschunterricht antiziganistische Stereotype.» Diese Bücher müssten überarbeitet werden.

    Völkermord in NS-Zeit

    In Hessen leben laut der Meldestelle groben Schätzungen zufolge 8.000 bis 10.000 Sinti und Roma. Eine Statistik gebe es nicht aufgrund der Erfahrungen mit der Erfassung in der NS-Zeit. Damals wurden bis zu einer halben Million Sinti und Roma systematisch verfolgt und ermordet.

    Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus Hessen gehört zu einem gleichnamigen bundesweiten Projekt. Die Bundesgeschäftsstelle von MIA in Berlin hat ihre Arbeit im Frühjahr 2022 begonnen.

    MIA klagt über künftig ungesicherte Finanzierung

    MIA Hessen beklagte, dass ihre Finanzierung mit Landes- und Bundesmitteln nur noch für 2025 gesichert sei. Das Land mache weitere Zusagen davon abhängig, dass weiter Geld vom Bund fließe - was aber offen sei. Die Grünen-Opposition im Landtag forderte die schwarz-rote Landesregierung erneut auf, MIA dauerhaft zu sichern: «Wir tragen in Hessen eine historische Verantwortung dafür, dass die Minderheit der Sinti und Roma geschützt wird.»

    Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Völkermord an ihnen jahrzehntelang geleugnet und nicht aufgearbeitet worden. Heute sind sie eine anerkannte nationale Minderheit in Deutschland.

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