Ist das nun ein Sieg für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, wie EU-Parlamentarier das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs lobten? Zum Feiern darf nach der Entscheidung eigentlich niemandem zumute sein. Denn auch wenn die Richter die Klagen aus Polen und Ungarn abgewiesen und damit den Weg frei gemacht haben für die Anwendung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus, stellt es doch ein Armutszeugnis dieser Europäischen Union dar, dass es überhaupt soweit gekommen ist.
Ja, das Urteil ist zurecht eine Ohrfeige für die Regierungen in Warschau und Budapest. Aber der seit Jahren erbittert geführte Streit zwischen der EU und den beiden Rechtsstaatssündern hat die Gemeinschaft Kraft wie Glaubwürdigkeit gekostet – und ihre Schwächen exponiert. So waren etwa die bisherigen Schutzmechanismen viel zu langsam. Und wer glaubt heute noch, dass die zwei osteuropäischen Staaten im jetzigen Zustand in die EU aufgenommen werden würden?
Dass das Fundament dieses Projekt zu bröckeln beginnt, daran trägt auch die Kommission schuld, die dem antidemokratischen Treiben viel zu lange zugeschaut und den beiden Regierungen eine Schonfrist nach der nächsten gewährt hat. Das neue Instrument, mit dem Fördermittel gekürzt werden können, gilt nun als letzte Option, Länder wie Polen und Ungarn vor dem Abdriften in die Autokratie zu bewahren. Es dürfte zudem Abschreckungswirkung haben für potentielle Kandidaten wie Slowenien.
Wer die Gemeinschaft mit Füßen tritt, muss die Konsequenzen spüren
Dennoch muss die Brüsseler Behörde das Instrument sorgfältig einsetzen. Eine Wertegemeinschaft wie die Europäische Union kann nicht allein durch das Zurückhalten von Geldern oder durch Sanktionen zusammengehalten werden. Am Ende liegt die Hoffnung auf den Wählern, die ihre herrschenden Politiker hoffentlich bald abstrafen – wegen Korruption, Missständen im Justizwesen, Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit. Dass die Kommission die gröbsten Verstöße in den Mitgliedstaaten nun bremsen kann, sind gute Nachrichten. Die EU ist kein Selbstbedienungsladen und die Wut vieler EU-Bürger darüber, dass Polen mit ihren Steuergeldern den Rechtsstaat aushöhlt und Viktor Orbán sowohl seine Kumpels wie auch seine Wahlkampagnen finanziert, ist mehr als verständlich.
Wenn eine Regierung die europäischen Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt und gleichzeitig Milliarden-Summen an Fördergeldern kassiert, dann läuft in der EU etwas falsch. Umso wichtiger ist es nun, den Rechtsstaatsmechanismus so schnell wie möglich einzuleiten, auch oder gerade vor den Wahlen in Ungarn.