Steigende Kosten fürs Personal, höhere Sozialabgaben: Viele hessische Kommunen ächzen unter einem wachsenden Schuldenberg. «Die Systeme bei uns implodieren gerade», sagt etwa der Landrat des Landkreises Kassel, Andreas Siebert (SPD).
Siebert ist einer von fünf Landräten der Kreise Kassel, Schwalm-Eder, Waldeck-Frankenberg, Werra-Meißner und Hersfeld-Rotenburg, die sich kürzlich mit der Resolution «Es ist fünf nach zwölf! Das Geld fehlt!» an Bund und Land gewandt haben. Darin kritisieren sie parteiübergreifend eine fehlende Finanzierung und fordern unter anderem eine Anpassung der Verteilung von Steuergeldern.
Kommunen sehen Ende der Leistungsfähigkeit erreicht
Die Kommunen seien am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen, warnt Siebert. Es drohten massive Sparzwänge, wenn sie nicht finanziell besser ausgestattet würden. «Das bisschen, was wir noch an zusätzlichen freiwilligen sozialen Angeboten aufrechterhalten, müssen wir dann einstellen. Wir reden hier über die Lebenswirklichkeit der Menschen, wenn sie in eine Sporthalle gehen, wo die Duschen nicht mehr gehen, wenn sie Kinder haben, und der Kindergarten zumacht, weil permanent Personalnot besteht.» Damit treibe man Menschen weg von der demokratischen Mitte, ist er überzeugt. Die politischen Akteure müssten dringend anfangen, miteinander zu reden.
«Sorgenfalten» im Norden und im Süden Hessens
Auch Hessens bevölkerungsreichster Landkreis, der Main-Kinzig-Kreis, macht schon seit Jahren öffentlich auf die Schieflage der kommunalen Finanzen aufmerksam. Landrat Thorsten Stolz (SPD) stellte sich kürzlich demonstrativ auf die Seite seiner Kolleginnen und Kollegen im Norden Hessens. Der Aufschrei praktisch aller hessischen Landrätinnen und Landräte sei nachvollziehbar, betont er.
Die Sorgen um Krankenhäuser, die notwendigen Investitionen in Schulen, Kürzungen im kommunalen Finanzausgleich, der allgemeine Spardruck und eine Einbehaltung der Bundesmittel im Bereich Flucht und Asyl durch das Land lösten «am nördlichen Ende Hessens genauso Sorgenfalten aus wie am südlichen und weit über die Landesgrenzen hinaus», erklärt Stolz.
Darmstadt weit von Hauhaltsausgleich entfernt
Auch bei der viertgrößten Stadt im Land, Darmstadt, klafft ein Loch in der Stadtkasse. Im jüngst vorgestellten Haushaltsplan 2025/2026 steht noch ein Defizit von rund 69 Millionen Euro. Aufgabenzuweisungen von Bund und Land, Inflation und andere Kostenexplosionen hätten dazu geführt, dass man von einem Haushaltsausgleich so weit entfernt sei, wie nie zuvor.
Bis zu den endgültigen Beratungen im April sollen nun weitere Möglichkeiten gefunden werden, um Löcher zu stopfen. «Auf die ein oder andere schwere Entscheidung werden sich alle einstellen müssen», heißt es bei der Stadt. Die letzten Reserven seien aufgebraucht.
Offenbach klagt ebenfalls über seine Finanzlage. «Unsere Ausgaben übersteigen unsere Einnahmen», erklärt ein Sprecher. Aktuell profitiere man noch von Rücklagen, es bedürfe aber Anstrengungen auf «allen Ebenen». Gründe sieht die Stadt in dramatisch steigenden Ausgaben und Fallzahlen im Sozialbereich, etwa im Bereich der Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche.
Nach Haushaltssperre auch 2025 dickes Minus in Marburg
Nach der Haushaltssperre bis Ende 2024 in Marburg ergibt sich für den neuen Haushaltsplan im laufenden Jahr ein Defizit von 77,5 Millionen. Das Minus lasse sich noch aus der Rücklage decken, müsse aber in den kommenden Jahren «Schritt für Schritt verringert werden, um zukunftsfähig zu sein», erklärt die Stadt. Mit einer Genehmigung des diesjährigen Etats durch das Regierungspräsidium Gießen rechnet die Stadt bis April.
Kurzfristig sieht sie sich nicht in einer «Finanznot» - Grund für die Lage sei, dass sich die Erträge nach Rekordjahren wieder «normalisiert» hätten, die Aufwendungen aber höher seien als vor 2022.
Frankfurt geht es vergleichsweise gut
Der Mainmetropole Frankfurt «geht es relativ gut, aber die Lage ist auch hier angespannt», erklärt ein Sprecher. Sie sieht sich selbst im «interkommunalen Vergleich» in einer stabilen Lage, da sie über stabile Steuereinnahmen verfüge. «Hierzu trägt insbesondere die Finanz- und Dienstleistungsbranche bei.» Allerdings: Die Kosten steigen für die Stadt stärker als die Einnahmen aus Steuern und Gebühren.
Auch Hessens größte Stadt könne deshalb nicht mehr alle ihre Aufgaben verlässlich gewährleisten. Speziell im Bereich der Bildung und Betreuung sowie beim öffentlichen Nahverkehr gebe es eine strukturelle Unterfinanzierung und wachsende Bedarfe. Die Stadt sei deshalb gezwungen, Leistungen und Projekte zu priorisieren und könne bei Weitem nicht jeden Bedarf befriedigen.
Finanzministerium verweist auf Verbesserung in den letzten Jahren
Das hessische Finanzministerium erklärt, die finanzielle Lage der Kommunen habe sich in den zurückliegenden zehn Jahren durch Eigenanstrengungen und Hilfe des Landes wie dem Schutzschirm, dem Kommunalinvestitionsprogramm und der Hessenkasse erheblich verbessert. Der Bestand an Kassenkrediten der Kommunen sinke kontinuierlich. «Er lag Ende 2023 mit unter 100 Millionen Euro auf einem historisch niedrigen Niveau.» Gleichzeitig steige das Finanzvermögen der Kommunen seit Jahren kontinuierlich. «2023 lag es bei rund 22,1 Milliarden Euro. Die liquiden Mittel belaufen sich auf über 5,7 Milliarden Euro.»
Die Kommunalfinanzen in Hessen seien zudem krisensicher. Während der Corona-Krise habe das Land die Kommunen massiv zu eigenen Lasten unterstützt. In der aktuellen Wirtschaftskrise seien die Steuererwartungen der jüngsten Steuerschätzung für die Kommunen leicht steigend, die des Landes fallend. Trotz der Belastungen des Landes steige der Kommunale Finanzausgleich 2025 erstmals auf über 7 Milliarden Euro.
«Das Land stellt zudem sicher, dass die Vorgaben der Hessischen Verfassung zum Konnexitätsprinzip eingehalten werden», führte das Ministerium aus. Bei einer durch das Land verursachten Aufgabenübertragung oder Aufgabenveränderung werde die vorgeschriebene Ausgleichsverpflichtung gegenüber den Kommunen stets erfüllt. «Wer bestellt, zahlt.»
Wiesbaden beklagt fehlende Konnexität
«Wenn endlich das Prinzip 'Wer bestellt, bezahlt auch' gelten würde, hätte die Landeshauptstadt Wiesbaden keine finanziellen Probleme», erklärt hingegen die Stadt Wiesbaden. Die Schere zwischen Erträgen und Aufwendungen gehe seit mehreren Jahren auseinander. Das liege im Wesentlichen an der fehlenden Konnexität.
«Es ist fast schon zur Tradition geworden, dass Land und Bund per Gesetz neue kommunale Pflichtleistungen beschließen, ohne den Kommunen zusätzliche finanzielle Mittel bereitzustellen», so die Stadt. Das jüngste Beispiel sei der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf Grundschulkinderbetreuung. «Hier kommen auf die Kommunen immense Kosten zu, welche noch nicht einmal ansatzweise durch Landes- und Bundesmittel gedeckt werden.»
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