Ein Karenztag für Krankmeldungen – für viele Arbeitnehmer klingt das nach einem Relikt vergangener Zeiten. Doch inmitten des Bundestagswahlkampfs 2025 griff Allianz-Chef Oliver Bäte jüngst genau diesen Vorschlag wieder auf: Wer krank ist, soll für den ersten Fehltag selbst zahlen und keine Lohnfortzahlung erhalten. Damit, argumentiert Bäte in einem Interview mit dem Handelsblatt, könnten Fehlzeiten drastisch reduziert werden.
In der EU steht Deutschland mit durchschnittlich 20 Krankheitstagen pro Jahr im Spitzenfeld – doppelt so hoch wie Länder wie Schweden, die mit Karenztagen auf nur acht Fehltage kommen. Nun meldet sich aber auch der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen zu Wort. Er geht sogar noch weiter und fordert neben drei Karenztagen eine deutliche Kürzung des Krankengeldes, welches nach der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber greift. Was das für Versicherte bedeuten könnte.
Krankengeld bald nur noch auf Arbeitslosengeld-Niveau? Das fordert ein Ökonom
Grund für Raffehüschens Forderungen ist, dass er das aktuelle deutsche Gesundheitssystem langfristig für nicht mehr finanzierbar hält. Seiner Meinung nach wird das System von zwei zentralen Problemen belastet, die er im Interview mit Focus Online darlegt: den stetig steigenden Kosten und der sinkenden Zahl der Beitragszahler im Verhältnis zu den Krankheitsfällen.
„Seien wir ehrlich – so ein Karenztag ist nichts anderes als eine Selbstbeteiligung“, erklärte Raffelhüschen im Interview. Doch er sieht darin mehr als nur ein Instrument zur Kostenkontrolle. Mit mehreren Karenztagen könnten seiner Ansicht nach die zunehmenden Krankmeldungen besser eingedämmt werden: „Die Neigung, mal einen Tag ‚blau zu machen‘, hat stark zugenommen. Das könnte man mit einem Karenztag eindämmen. Aber bei zwei oder drei Tagen wird das viel klarer.“
Dieser Vorschlag wird jedoch kontrovers diskutiert, da vor allem Geringverdiener durch zusätzliche Belastungen überfordert sein könnten. Raffelhüschen hält dagegen, dass eine gestaffelte Karenzregelung nach Einkommen denkbar sei: „Es gibt auch die Möglichkeit, dass Geringverdiener nur ein oder zwei Karenztage tragen, aber ab einem mittleren Verdienst drei Tage.“
Krankengeld bald nur noch auf ALG 1-Niveau?
Neben den Karenztagen fordert der Wirtschaftswissenschaftler auch eine drastische Senkung des Krankengelds von derzeit 70 Prozent des Bruttogehalts auf das Niveau des Arbeitslosengeldes. Dieses liegt nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bei 60 Prozent des sogenannten Leistungsentgelts – einer Summe, die nach Abzug von Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und pauschalen 20 Prozent Sozialversicherungsbeiträgen berechnet wird. Für Arbeitnehmer mit einem Kind steigt der Satz auf 67 Prozent, doch selbst dieser Wert liegt deutlich unter der aktuellen Krankengeldregelung, die einen deutlich höheren Höchstsatz vorsieht. Während das Krankengeld auf Basis des Bruttogehalts berechnet wird, führt die Berechnungsgrundlage des ALG dazu, dass Betroffene im Schnitt nur etwa 50 bis 55 Prozent ihres ursprünglichen Bruttogehalts erhalten.
Eine solche Kürzung wäre für viele Arbeitnehmer kaum tragbar, da Fixkosten wie Miete, Strom oder Versicherungen weiterlaufen, während das Einkommen in dieser Zeit drastisch sinken würde. Ein solcher Schritt wäre einschneidend, doch laut Raffelhüschen unvermeidlich: „Wenn wir es so belassen wie bisher, werden unsere Kinder irgendwann 26 bis 28 Prozent ihres Lohns nur für die Krankenversicherung zahlen. Das ist nicht darstellbar.“
Er verweist darauf, dass die steigende Lebenserwartung und zunehmende Krankheitsfälle, etwa durch Burn-out oder andere chronische Erkrankungen, die Belastung des Systems weiter erhöhen. Gleichzeitig stellt er im Interview klar, dass ein Einnahmeproblem nicht existiert: „Wir haben die höchsten Beitragseinnahmen und Sozialausgabenquoten. Das Problem ist die ausufernde Ausgabenstruktur.“
In den Wahlprogrammen der Parteien werden sich seine Vorschläge wohl eher nicht wiederfinden, das ist auch dem Ökonomen bewusst. „Wir hatten schon einmal Karenzzeiten und werden sie wieder einführen müssen. Von den Politikern im Wahlkampf darf man da nichts erwarten – das würde ich auch nicht tun.“ Die Chance, dass sich die Verschärfungen bei Krankheitstagen und Krankengeld durchsetzen, ist derzeit eher überschaubar.
Übrigens: Auch wer gekündigt wird, behält seinen Anspruch auf Krankengeld. Denn für die Zahlungen sind ab Woche 7. der Krankschreibung die Krankenkassen verantwortlich und nicht der Arbeitgeber. Krankengeld ist steuerfrei, unterliegt allerdings dem sogenannten Progressionsvorbehalt, wodurch der persönliche Steuersatz steigt. Wem das Krankengeld alleine nicht reicht, der kann weitere Leistungen wie Bürgergeld- und Wohngeld beantragen, um das Krankengeld aufzustocken.
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