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Landwirtschaft: Geschützter Schädling bedroht hessische Ernte

Landwirtschaft

Geschützter Schädling bedroht hessische Ernte

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    Im Labor in Wetzlar wird gezählt.
    Im Labor in Wetzlar wird gezählt. Foto: Boris Roessler/dpa

    Hessen hat ein Zikaden-Problem. Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) trägt Bakterien zu Kartoffeln, Zuckerrüben und anderen Nutzpflanzen. Die Ernteausfälle sind massiv, wie aus einer Antwort des Landwirtschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage der AfD hervorgeht: «Die Pflanzkartoffelproduktion in Hessen ist aktuell nahezu zum Erliegen gekommen.» Auch bei Zuckerrüben gibt es Ernteausfälle. Rote Bete, Karotten und Zwiebeln können ebenfalls befallen werden.

    Hotspot Südhessen

    Besonders betroffen sind laut Hessischem Pflanzenschutzdienst aktuell als Hotspot-Regionen die südhessischen Landkreise Groß-Gerau, Darmstadt-Dieburg, Bergstraße und Odenwaldkreis. Den ersten Befall bemerkten die Spezialisten 2018. Seitdem breitet sich die Zikade in Südhessen stark aus und arbeitet sich nach Norden voran, wie Dominik Dicke berichtet, der zuständige Dezernent für das Sachgebiet Warndienst und Schaderregerüberwachung.

    «Gerade in Südhessen bis zur Mainlinie haben wir die Hotspot-Region in Hessen», teilte der Hessische Bauernverband mit. Der Schaden richte sich nach der Schwere des Befalls. Bei Kartoffeln kann es laut Bauernverband zu einem Totalverlust kommen, weil sie die Qualitätskriterien nicht mehr erfüllen. Zuckerrüben werden laut Pflanzenschutzdienst an den Spitzen gummiartig weich und verlieren an Ertrag und Zuckergehalt.

    Gefährdet aber bekämpft

    Das Problem: Die Schilf-Glasflügelzikade ist in der Roten Liste Deutschlands als gefährdet eingestuft. Ursprünglich kommt sie in naturnahen Feuchtgebieten wie Schilfen vor, wo sie weiterhin selten ist, wie das Landwirtschaftsministerium erklärt. Eigentlich müsste die Schilf-Glasflügelzikade von der Roten Liste gestrichen werden, findet Dicke.

    Nach Angaben des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (Hlnug) steht die Schilf-Glasflügelzikade seit 2016 als gefährdet auf der bundesweiten Roten Liste der Zikaden. Die Liste werde «fortlaufend etwa alle zehn Jahre» aktualisiert. «Eine eventuelle Neueinstufung oder Streichung einer Art erfolgt immer nur bei der Aktualisierung einer Roten Liste.»

    Ursachensuche

    Was dazu führte, dass die Zikade auf Felder gelangte - darüber gebe es nur Hypothesen, erklärt Pflanzenschutzexperte Dicke. Eine Theorie: Weil ihr natürlicher Lebensraum schrumpft, sucht sich die Zikade neue Gebiete. Eine weitere: Die Krankheitserreger, die sie überträgt, sind mit Darmbakterien verwandt; möglicherweise helfen sie der Zikade, bestimmte Stoffe besser zu verdauen, sodass neue Pflanzenarten verträglich sind.

    Das Ministerium schreibt in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage: «Die aktuell beobachtete Massenvermehrung in landwirtschaftlichen Kulturen stellt eine neuere Entwicklung dar, die auf eine ökologische Anpassung an veränderte Habitatbedingungen zurückzuführen ist.» Der Bauernverband vermutet: «Der Klimawandel kann zur stärkeren Ausbreitung der Zikade beigetragen haben.»

    Warnstufe in Südhessen erreicht

    Wie bekämpft man einen geschützten Schädling? Landwirte dürfen im Rahmen einer «Notfallzulassung» bestimmte Insektizide einsetzen - aber nur, wenn der Hessische Pflanzenschutzdienst einen amtlichen Warndienstaufruf herausgegeben hat, wie der Bauernverband erklärt.

    Damit das geschieht, muss ein sich aufbauender Befall an Zikaden in einer bestimmten Region nachgewiesen sein, in der schon in vergangenen Jahren Schäden auftraten, wie Dicke ausführt. Das funktioniert mit Klebefallen, die im Land auf Feldern verteilt sind: Mitarbeiter sammeln einmal wöchentlich die Streifen auf Feldern ein, bringen sie ins Labor nach Wetzlar und zählen sie aus.

    So wird nachvollzogen, ob die Fangzahlen ansteigen und bekämpft werden müssen oder nicht. Auf dieser Basis wurde am 23. Mai ein Warndienstaufruf für die Hotspot-Region in Südhessen erlassen.

    Insektizide reichen nicht

    Insektizide seien «ein wichtiger, wenn auch begrenzt wirksamer Baustein» bei der Bekämpfung der Zikaden, schreibt das Ministerium. Auch Pflanzenschutzexperte Dicke ist sicher: Nur Chemie reicht aber nicht aus, um den Schädling einzudämmen - von Ausrotten könne ohnehin keine Rede sein.

    Das Julius Kühn-Institut – das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen - hat verschiedene Insektizide verglichen und kommt zu dem Schluss, dass ihr Einsatz zwar den Befall reduzieren kann, dass das Pflanzenschutzmittel allein aber nicht ausreicht, «um dem komplexen epidemiologischen Geschehen wirksam zu begegnen».

    Alternativen zur Chemie

    Nötig sei «ein integrierter Ansatz von chemischen und ackerbaulichen Maßnahmen», sagt Dicke. Als Beispiele nennt er die Suche nach resistenten Sorten oder das Aushungern oder Untergraben der Larven nach der Ernte.

    Weitere Strategien im Kampf gegen den Befall können laut Bauernverband Fruchtfolge oder Bodenbearbeitung sein. Allerdings gebe es hier in manchen Bereichen noch keine endgültige Lösung, es sei weiterhin intensive Forschungsarbeit nötig.

    An innovativen Methoden zur Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade wird geforscht. Das Ministerium nennt als Beispiele RNA-Interferenz-Technologien, für Insekten schädliche Pilze sowie «natürliche Gegenspieler». Damit neue, biologische Ansätze möglichst schnell aufs Feld kommen, sollen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren entbürokratisiert werden.

    Die Ausbreitung dieser Art gefährdet die Ernte.
    Die Ausbreitung dieser Art gefährdet die Ernte. Foto: Boris Roessler/dpa
    Das ist sie: die Schilf-Glasflügelzikade.
    Das ist sie: die Schilf-Glasflügelzikade. Foto: Boris Roessler/dpa
    Die Tierchen übertragen Bakterien.
    Die Tierchen übertragen Bakterien. Foto: Boris Roessler/dpa
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