Die CDU gewinnt auch in Hessen die Bundestagswahl - und ist dennoch genervt. Grund sind die Folgen der Wahlrechtsreform. «Dass direkt gewählte Bundestagskandidaten nicht in den Deutschen Bundestag einziehen dürfen, ist ein Unding», monierte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). «Wer vor Ort gewinnt und das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler bekommen hat, muss auch in den Deutschen Bundestag einziehen.»
Wie gewonnen, so zerronnen
Von den bundesweit 23 Gewinnern eines Wahlkreises, die wegen des neuen Wahlrechts dennoch nicht in den Bundestag gelangen dürfen, trifft es fünf Hessinnen und Hessen, die alle Christdemokraten sind: Marcus Kretschmann (Groß-Gerau), Anna-Maria Bischof (Schwalm-Eder), Leopold Born (Frankfurt II), Astrid Mannes (Darmstadt) und Yannick Schwander (Frankfurt I). Rhein kritisierte dies als bitter und unverständlich.
Reform soll Bundestag verkleinern
Das neue Wahlrecht greift zum ersten Mal. Siegreiche Wahlkreiskandidaten bekommen nur noch dann ein Mandat, wenn ihre Partei genügend Zweitstimmen hat. Dafür entfallen die früher üblichen Überhang- und Ausgleichsmandate. Künftig hat der Bundestag damit nur noch 630 Abgeordnete statt aktuell 733.
CDU gewinnt Bundestagswahl in Hessen
Die CDU holte bei der Bundestagswahl im Bund und auch in Hessen die meisten Stimmen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam die CDU in Hessen auf 28,9 Prozent. Auf Platz 2 landete die SPD mit 18,4 Prozent. Auf Platz drei kam die AfD (17,8 Prozent) vor den Grünen (12,6 Prozent) und den Linken (8,7 Prozent). Die FDP erreichte 5,0 Prozent, das junge BSW holte 4,4 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag bei 83,1 Prozent (2021: 76,2 Prozent). Das Landesergebnis sagt etwas über die politische Stimmungslage aus, hat für die Landespolitik aber keine unmittelbaren Konsequenzen. Etwa 4,3 Millionen Hessinnen und Hessen waren in rund 5.000 Wahllokalen wahlberechtigt.
Geht der Bund den hessischen Weg?
Auf Landesebene regiert eine Koalition von CDU und SPD. Dieses Bündnis könnte es künftig auch wieder im Bund geben. Ministerpräsident Rhein hatte bereits in der Wahlnacht für den «hessischen Weg» in Berlin geworben. Der CDU-Landeschef stellte fest: «Die Bürgerinnen und Bürger haben der Union einen klaren Regierungsauftrag mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz erteilt.» Rhein ergänzte: «Nach Hessen werden wir nun auch Deutschland gemeinsam weiterführen und für eine Renaissance der Realpolitik sorgen.»
«Schwere Niederlage» für die SPD
Der hessische SPD-Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Sören Bartol hatte das Ergebnis schon am Wahlabend für die SPD «niederschmetternd» genannt. Das sei eine schwere Niederlage für die deutsche Sozialdemokratie. Die Gießener Politologin Dorothèe de Nève erklärte, die Christdemokraten seien hier «derzeit sehr erfolgreich. Die Sozialdemokraten bleiben in der Defensive. Sie werden in den kommenden Jahren für ihre Sichtbarkeit in der Landespolitik kämpfen müssen.»
Sechs hessische Bundestagsabgeordnete weniger
Hessen ist im neuen Bundestag in Berlin mit 45 Abgeordneten vertreten. Das sind sechs weniger als bisher, wie sich aus dem vorläufigen Endergebnis und der Sitzverteilung ergibt, die von der Bundeswahlleiterin veröffentlicht wurden.
13 Frauen sitzen künftig für Hessen im deutschen Parlament. De Nève sprach von «einer geringeren Repräsentation von Frauen im Bundestag». Bislang - ohne Wahlrechtsreform - hat Hessen noch 51 Bundestagsabgeordnete, darunter 20 Frauen, von denen drei Nachrückerinnen sind.
SPD gewinnt nur noch zwei Wahlkreise
Die Hessen-CDU stellt mit insgesamt 15 Abgeordneten künftig die größte Gruppe. Dahinter folgt die SPD mit 10 Sitzen vor der AfD (9), den Grünen (7) und den Linken (4). Von den 22 hessischen Wahlkreisen entschied die CDU 20 für sich - nur in den beiden Wahlkreisen Marburg und Kassel setzte sich die SPD durch. 2021 hatte die SPD noch 14 Wahlkreise gewonnen, die CDU 7 und die Grünen einen.
Auch SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser verpasste in ihrem Wahlkreis Main-Taunus den Sieg deutlich mit 17,8 Prozent. Faeser hatte erstmals für den Bundestag kandidiert - sie zog über die SPD-Landesliste ins Parlament ein.
Stark-Watzinger kündigt Rückzug an
Ex-Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kündigte nach der Wahlschlappe ihrer Partei den Rückzug vom FDP-Landesvorsitz in Hessen an. Sie werde auch nicht mehr als Bundesvize kandidieren. Deutschlandweit waren die Freidemokraten an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Damit flogen sie aus dem Bundestag.
Grüne kündigen «konstruktive Opposition» an
Hessens Grünen-Spitzenkandidaten Anna Lührmann und Omid Nouripour zeigten sich nicht erfreut, verwiesen aber darauf, die Grünen hätten in Hessen das drittbeste Ergebnis der Partei in einem Flächenland nach Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein errungen. «Wir werden in einer konstruktiven Opposition vernünftige Antworten und Lösungen anbieten», versicherte das Grünen-Duo.
Die hessischen Linken freuten sich über ihren Zuwachs. «Wir haben soziale Themen in den Mittelpunkt gerückt: Mietendeckel, bezahlbare Lebensmittel und eine höhere Besteuerung von Superreichen», erklärten die Landesvorsitzenden Desiree Becker und Jakob Migenda. «Damit konnten wir viele Menschen überzeugen.» Nach Angaben der Partei treten derzeit jeden Tag mehr als 100 Menschen in die Linke ein. Der hessische Landesverband habe inzwischen fast 7.000 Mitglieder.
Wirtschaft vermisst die FDP
Hessens Wirtschaft gratulierte der Union zum Wahlsieg und bedauerte das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag. Damit gehe eine wichtige liberale Stimme verloren. «Das ist ein herber Verlust für die Meinungsvielfalt in unserem Parlament», teilte der Präsident der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), Wolf Matthias Mang, mit.

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