Mit den Vorfällen rund um die "Corona-Demo" in Berlin beschäftigen sich zahlreiche Kommentare. Wir haben eine Auswahl von Pressestimmen zusammengetragen.
"Augsburger Allgemeine/Allgäuer Zeitung":
Legitimer Protest delegitimiert sich selbst, wenn er sich so offensichtlich wie in Berlin von Rechtsradikalen und Rechtsextremisten vereinnahmen lässt. Diesen Radikalen geht es in Wahrheit gar nicht um die Corona-Pandemie und die Diskussion über die richtigen Maßnahmen. Sie wollen vielmehr diesen Staat angreifen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung kippen, und vor allem wollen sie am liebsten selbst an die Macht kommen.
"Bild am Sonntag":
Gestern haben Tausende Menschen gegen Maskentragen, Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen der Regierung demonstriert, weil es ihrer Meinung nach keine Pandemie gibt und Corona nicht gefährlich sei. Das war ihr gutes Recht in unserer Demokratie. Doch unter den Demonstranten liefen (wieder) Neonazis und ultrarechte Gruppierungen mit und schwenkten Nazi-Fahnen am Reichstag. Dieses geistige, rechte Virus ist mindestens so gefährlich wie Corona.
"FAZ":
Protestkundgebungen wurden aufgelöst, Demonstranten von Polizisten abgeführt. Doch wenn sie ihnen dabei Mund und Nase zuhielten, dann zur Eigensicherung. Es reicht, wenn sich die Protestler wechselseitig mit dem neuartigen Coronavirus anstecken. Das wird Bösgläubige nicht daran hindern, die Szenen auf den Straßen ... zum Ausweis allgegenwärtiger staatlicher Repression und einer allzeit gewaltbereiten Polizei zu nehmen. Doch nicht die Sicherheitskräfte haben ein Problem. Die Bilder halten in erster Linie das fest, was in der Sprache der Soziologie als performativer Selbstwiderspruch daherkommt: Bürger erstreiten mit den Mitteln des Rechtsstaats, von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen zu können, um sich als Ausweis höherer Moral in ihrem Tun und Lassen um diesen Rechtsstaat nicht zu scheren.
"Süddeutsche Zeitung":
Nicht das Volk waren sie, sondern ein Völkchen aus Regenbogen- und Reichskriegsflaggenträgern, aus Meditierenden im Schneidersitz und "Putin, Putin"-Rufern. Eine Demonstration, bei der Menschen die Mund-Nasen-Maske zum "Gehorsamszeichen" wie den Hitlergruß erklären und deshalb gemeinsam mit Hitler-Jüngern auf die Straße gehen: Eine solche Querfront hat die Welt noch nicht gesehen. Wer sich von all den Organisatoren und Mitläufern nun verbittet, mit Rechtsextremisten in einen Topf geworfen zu werden, dem kann man nur erwidern: selber schuld. Hat irgendwer diese Leute für unerwünscht erklärt? Hat irgendwer sie aufgefordert, ihre über den Zug verteilten Reichskriegsflaggen einzupacken? Die Helden dieses Samstags sind nicht die Zehntausenden, die T-Shirts mit dem Slogan "Mut zur Wahrheit" oder ähnlichem Quatsch spazieren trugen. Die Helden dieses Samstags sind die drei Polizisten, die auf der Schwelle des Parlaments dem unfriedlichen und eindeutig rechtsextremen Teil der Demonstranten so entschlossen gegenübertraten, dass der den Sturm auf das Haus der Demokratie unterließ.
"Sächsische Zeitung" (Dresden):
Jeder hat das Recht, friedlich gegen die Corona-Politik zu demonstrieren. Man kann - wie in Berlin zu sehen - Politiker in Sträflingskleidung stecken, weil man sie ohne Gerichtsverfahren schuldig gesprochen hat. So geschmacklos es ist. Jeder darf behaupten, dass es kein Virus gibt, dass hinter der Pandemie undurchsichtige Mächte oder Außerirdische stecken. Erstens befreit das jedoch nicht von Abstandsgebot und Maskenpflicht. Zweitens müssen sich diese Leute gefallen lassen, dass man ihnen klar widerspricht. Sie sind nicht "das Volk", sondern eine Minderheit.
"Südkurier" (Konstanz):
Wie halten es die Corona-Rebellen mit der Demokratie? Spätestens nach diesem Wochenende muss diese Frage erlaubt sein. Wie schon beim letzten Mal spazierten Impfgegner, Esoteriker sowie besorgte Männer und Frauen einträchtig neben Reichsbürgern und Neonazis. Schon das ist eigentlich kaum zu entschuldigen. Diesmal allerdings gingen die Rechtsextremen noch weiter und versuchten gleich, den Reichstag einzunehmen. Letztlich lassen sich die friedlichen Corona-Demonstranten von Rechtsextremen vor den Karren spannen. Bei aller Kritik, die sie an der Regierung haben: Das können sie nicht im Sinn haben.
"Stuttgarter Zeitung":
Das Coronavirus mit all seinen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen ist, so hat es Kanzlerin Angela Merkel dieser Tage wieder eingeräumt, "eine demokratische Zumutung". Die Proteste am Wochenende in Berlin gegen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und mehrerer Grundrechte waren es allerdings auch. Wer vor Gericht sein Demonstrationsrecht durchsetzt, dann aber Infektionsschutzauflagen ignoriert, entlarvt sich als Fan eines Rechtsstaates " la carte. Die gute Nachricht ist: Beide Zumutungen kann diese Gesellschaft, deren übergroße Mehrheit den Umgang mit der Pandemie bisher für angemessen hält, überstehen.
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