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Schwerer Kindesmissbrauch in Münster: Mutter soll von Taten gewusst haben

"Unfassbare Bilder"

Schwerer Kindesmissbrauch in Münster: Mutter soll von Taten gewusst haben

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    In dieser Gartenhütte sollen vier Männer über Stunden hinweg Kinder sexuell missbraucht haben. Ermittler fanden Videomaterial mit "unfassbaren" Bildern.
    In dieser Gartenhütte sollen vier Männer über Stunden hinweg Kinder sexuell missbraucht haben. Ermittler fanden Videomaterial mit "unfassbaren" Bildern. Foto: Guido Kirchner/dpa

    Die Polizei in Münster ist auf ein professionell verschleiertes Kindesmissbrauchsnetz gestoßen und hat in mehreren Bundesländern elf Verdächtige festgenommen. Sieben Beschuldigte befinden sich in Untersuchungshaft, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Samstag in Nordrhein-Westfalen mitteilten. Drei Kinder seien als Opfer identifiziert worden. Sie seien fünf, zehnund 12 Jahre alt.

    Der Hauptbeschuldigte ist ein 27-jähriger IT-Techniker aus Münster. In einer Gartenlaube und in einem Keller in der westfälischen Stadt fanden die Ermittler hochprofessionelle technische Ausstattung zur Videoaufzeichnung und riesige Mengen versiert verschlüsselter Daten. Die Täter nutzten Handys, auf denen ein Großteil der Spuren gelöscht war. Bislang haben die Ermittler mehr als 500 Terabyte sichergestellt. Viele der Daten müssen noch entschlüsselt werden.

    Bei den sechs weiteren Beschuldigten, gegen die Haftbefehl erlassen wurde, handelt es sich den Angaben zufolge um dessen 45 Jahre alte Mutter aus Münster sowie um Männer aus Staufenberg bei Gießen (30 Jahre alt), Hannover (35), Schorfheide in Brandenburg (42), Kassel (43) und Köln (41). Die Ermittler hätten "unfassbare" Bilder sehen müssen, sagte der Leiter der Ermittlungen, Joachim Poll.

    Mutter des Tatverdächtigen soll von Missbrauch gewusst haben

    Mindestens vier der Männer sollen wechselweise einen fünf- und einen zehnjährigen Jungen in einer Gartenlaube in Münsters Norden über Stunden schwer sexuell missbraucht und die Taten teils gefilmt haben. Bilder und Videos der Taten bot der Hauptverdächtige im Darknet an. Die Mutter des Hauptbeschuldigten sei Nutzerin der Hütte im Stadtteil Kinderhaus. Sie soll ihrem Sohn die Schlüssel überlassen und den sexuellen Missbrauch der Kinder in Kauf genommen haben.

    Am Sonntag wurde bekannt: Die Mutter des Verdächtigen soll bis zu ihrer Festnahme als Erzieherin gearbeitet haben. "Die Leitung der Kita wurde von uns informiert", sagte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt der Deutschen Presse-Agentur. Derzeit gebe es aber keine Hinweise auf Taten der 45-Jährigen im Kindergarten. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hatte zuvor über den Arbeitsplatz der Frau berichtet. Ihre Gartenlaube in Münster gilt derzeit als Haupttatort.

    Bei den beiden Opfern handelt es sich laut den Ermittlern um den zehnjährigen Sohn der Lebensgefährtin des Münsteraners und um den fünfjährigen Sohn des Beschuldigten aus Staufenberg. Das habe die Auswertung einer bereits gelöschten Festplatte ergeben, die die Ermittler versteckt in einer Zwischendecke gefunden hätten, sagte Poll.

    Bei dem dritten Opfer handelt es sich den Ermittlern zufolge um den zwölfjährigen Neffen des Beschuldigten aus Kassel. Dieser soll den Jungen missbraucht haben, wie aus sichergestellten Daten des 27-jährigen Münsteraners hervorgehe. Alle Opfer, die aus Münster, sowie Staufenberg und Kassel in Hessen kommen, werden derzeit von den zuständigen Jugendämtern betreut. Die Kinder sollen vor den Taten betäubt worden sein. Körperliche Verletzungen haben sie nicht davon getragen, sagte Poll. Die Kinder seien von Rechtsmedizinern untersucht worden.

    In einem Keller in Münster habe man einen komplett eingerichteten, klimatisierten Serverraum gefunden. Er sei dem 27-jährigen Tatverdächtigen zuzurechnen, sagte Poll. Er sprach von mehreren Hundert Asservaten an gefundener IT-Technik. Die Datenträger seien hochprofessionell verschlüsselt worden.

    "Nur die Spitze des Eisbergs

    Das bisherige Ermittlungsergebnis nach rund dreieinhalb Wochen sei wohl nur die Spitze des Eisbergs, sagten übereinstimmend Poll und Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Münsters Polizeipräsident Rainer Furth sagte: "Selbst die erfahrensten Kriminalbeamten sind an die Grenzen des menschlich Erträglichen gestoßen und weit darüber hinaus."

    Den Ermittlern sei es bis heute nicht gelungen, alle Daten zu entschlüsseln. Poll sprach von aufwendigen, kniffligen und mit viel Technik verbundenen Ermittlungen. Der 27-Jährige aus Münster sei in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld für die IT-Technik tätig gewesen.

    >>> Wegen Missbrauchs angezeigter Jugendleiter bringt sich in Zelle um <<<

    Ausgangspunkt der Ermittlungen sei ein Verfahren aus dem Jahr 2018 gewesen; damals habe eine unbekannte Person Daten mit Kinderpornografie übers Internet angeboten. Über eine ermittelte IP-Adresse habe die Spur zu dem landwirtschaftlichen Betrieb geführt.

    27-Jähriger aus Münster war bereits in Therapie

    Der 27-Jährige ist in den Jahren 2016 und 2017 zweimal wegen der Verbreitung und des Besitzes von Kinderpornografie zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Wegen einer offen bekundeten pädophilen Neigung sei er vom Gericht auch zu einer Therapie verpflichtet worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist er dieser Aufforderung auch nachgekommen.

    Nordrhein-Westfalen war seit Anfang 2019 wegen mehrerer Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in die Schlagzeilen geraten. Auf einem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe hatten mehrere Männer Kinder hundertfach über Jahre schwer sexuell missbraucht. Ermittlungen zu einem bundesweiten Kinderpornografie-Tauschring hatten im Oktober 2019 in Bergisch Gladbach bei Köln begonnen und erstrecken sich mittlerweile auf sämtliche Bundesländer.

    Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte nach dem Fall Lügde das Thema Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt und die Arbeit der Ermittlungsbehörden in diesem Bereich verstärkt.

    >>> 2019 rund 1700 Fälle von Kindesmissbrauch in Bayern <<<

    Der aktuelle Missbrauchsfall löste eine Welle der Bestürzung aus. "Diese furchtbaren Missbrauchsfälle von Münster erschüttern mich zutiefst", sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie zeigten ein weiteres Mal, "wie widerwärtig menschliche Abgründe sein können". Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe reagierte ebenfalls bestürzt. "Ich bin erschrocken, dass unsere Stadt offenbar Schauplatz solch schrecklicher Taten war", teilte der CDU-Politiker mit.

    Jugenamt hatte Kontakt zur Familie eines Opfers

    Unterdessen wurde bekannt, dass das Jugendamt der Stadt Münster Kontakt zu der Familie von einem der Opfer hatte. Die Familie sei den Behörden aus den Jahren 2015 bis 2016 bekannt, "weil der soziale Kindsvater wegen des Besitzes und des Vertriebs pornografischer Daten aufgefallen war", teilte die Stadt am Samstag mit. In dieser Zeit habe das Jugendamt Kontakt zu der Familie gehabt. 2015 habe das Familiengericht keinen Anlass gesehen, das Kind aus der elterlichen Verantwortung zu nehmen. Oberbürgermeister Lewe sagte dazu: "Eine Bewertung können wir erst vornehmen, wenn die Faktenlage dafür ausreichend geklärt ist."

    Der Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte nach Bekanntwerden des Missbrauchsfalls eine deutlich verbesserte personelle und technische Ausstattung bei der Polizei. "In einem solchen Fall stellen wir beim Blick in die kriminalpolizeiliche Praxis fest, dass wir über unsere Grenzen hinaus kommen", sagte Sebastian Fiedler im WDR-Fernsehen. Er lobte, dass Innenminister Reul das Thema Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt habe. "Es reicht aber nicht aus, mit kleinen Schritten voranzugehen was die Ausstattung und was die Qualifikation angeht." Jetzt seien riesengroße Schritte notwendig. Ein Plus an Experten wie IT-Techniker für Verschlüsselungstechnik oder Leute, die sich mit Opferanhörung auskennen, sei notwendig.

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