300 Millionen Liter Abwasser fließen pro Tag durch die Kläranlage in Frankfurt-Niederrad. Über die verschiedenen Reinigungsstufen wird das Wasser so weit gesäubert, dass es unbedenklich in den Main geleitet werden kann. Was am Ende noch immer drin ist, sind Rückstände von Medikamenten und Krankheitserreger. Daher werden Kläranlagen für die Überwachung der Gesundheit der Bevölkerung immer wichtiger.
«Großes Potenzial»
«Das Abwassermonitoring hat großes Potenzial», sagt Wiebke Reimann, Sprecherin des Frankfurter Gesundheitsamts. «So kann zum Beispiel die Verbreitung bestimmter Infektionskrankheiten besser eingeschätzt und daraus konkrete Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung abgeleitet werden. Somit nutzen die Messungen natürlich auch den Bürgerinnen und Bürgern.»
In den Frankfurter Kläranlagen Niederrad und Sindlingen kommt das Abwasser aus der ganzen Stadt inklusive Flughafen und Umlandgemeinden an. 1.600 Kilometer Abwasserrohre enden in einem unterirdischen Schachtbauwerk, in dem es genau so riecht, wie man sich das vorstellt. Riesige Rechen und ein sogenannter Sandfang fischen beim Einlauf das Gröbste raus. Dann wird das immer noch recht trübe Abwasser nach oben gepumpt - und gleich hier werden die ersten Proben entnommen.
Derzeit wird das Abwasser in Frankfurt routinemäßig auf Sars-CoV-2, Influenza, Polio uns RSV untersucht, wie Susanne Schmid erklärt, die Abteilungsleiterin Abwasserbehandlung bei der Frankfurter Stadtentwässerung. Die Chemikerin kann sich vorstellen, dass künftig noch mehr Krankheiten dazukommen. «Das Abwasser ist ja der Spiegel von uns Menschen.»
Wer sich vorstellt, dass ein Wissenschaftler in weißem Kittel mit der Pipette Proben aus der trüben Brühe entnimmt, liegt falsch. Während des gesamten Klärprozesses zapfen Maschinen - zu Überwachungszwecken - automatisch Proben ab. Das Abwassermonitoring zu Gesundheitszwecken verursacht in der Kläranlage also kaum zusätzlichen Aufwand.
Frühwarnsystem der Pandemie
Angefangen hat die Entwicklung während der Corona-Pandemie, angestoßen von Susanne Lackner, Professorin für Wasser und Umweltbiotechnologie an der Technischen Universität (TU) Darmstadt. Im Rahmen eines Modellprojekts wurden in der Pandemie in ausgewählten Kläranlagen Proben entnommen und auf Coronaviren untersucht.
Zweierlei konnte man dabei sehen: die Zu- oder Abnahme der Virenkonzentration - also ob mehr oder weniger Menschen infiziert sind - und welche Varianten gerade im Umlauf sind. Vor allem aber zeigte sich, dass Abwasser als Frühwarnsystem genutzt werden kann, denn Entwicklungen waren in den Abwasserproben früher sichtbar als mit medizinischen Tests.
Daten aus 70 Kläranlagen
Inzwischen beteiligt sich Frankfurt an dem Projekt «Amelag» von Robert-Koch-Institut (RKI) und Umweltbundesamt (UBA). Die Abkürzung steht für «Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung». 70 Kläranlagen im Bundesgebiet machen mit. Neben Sars-CoV-2 werden seit 2024 auch Influenzaviren und RS-Viren im Abwasser überwacht.
In Hessen machen neben Frankfurt noch Wiesbaden und Kassel mit, wie das hessische Gesundheitsministerium berichtet: «An jeder beteiligten Kläranlage werden Zulaufproben entnommen und entsprechende Begleitparameter der Probennahme - etwa Wetterdaten, Volumenstrom oder Temperatur - erfasst.»
«Die erhobenen Daten erlauben Rückschlüsse zum Trend der Infektionsdynamik», heißt es beim RKI. Die Messwerte könnten mit Angaben aus bereits bestehenden Überwachungssystemen verglichen und gemeinsam analysiert werden. Expertinnen und Experten könnten so die Lage vor Ort umfassender bewerten.
Die Analysen selbst werden nicht in der Kläranlage durchgeführt, wie Schmid berichtet. Die Proben für das Polio-Projekt zum Beispiel werden am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums untersucht. Der zuständige Wissenschaftler holt sie alle zwei Wochen mit dem Lastenrad ab. Die Proben werden zum Teil in Frankfurt mit PCR analysiert, primär aber ans RKI geschickt, wie ein Sprecher der Uniklinik erklärt.
Wo es noch Defizite gibt
Aktuell werde zum Thema Abwassermonitoring noch viel geforscht, sagt Gesundheitsamts-Sprecherin Reimann. Es gehe unter anderem darum, Methoden und Standards zu entwickeln, «sowohl was die technische Untersuchung als auch die Interpretation der Befunde angeht».
Hier sieht auch Schmid noch Bedarf: «Wir wissen, dass Abwassermonitoring funktioniert. Wir wissen, wo wir die Proben herkriegen. Wir wissen, wie wir die Proben analysieren können.» Gebraucht würden einheitliche Standards für Entnahme, Aufbereitung und Analyseverfahren, damit die Ergebnisse verschiedener Städte vergleichbar seien.
Bisher arbeiten Kläranlagen in der Regel mit drei Reinigungsstufen: mechanisch, biologisch, chemisch. Etwa einen Tag braucht das Abwasser, bis es so weit gereinigt ist, dass es in den Main geleitet werden kann. Viren und andere Keime sind dann immer noch drin - ebenso wie Rückstände von Medikamenten, Kosmetika und Putzmitteln. Um sie herauszufiltern, soll perspektivisch eine vierte Reinigungsstufe eingeführt werden.



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