Nachdem Symptome wie Husten weggewesen seien, sei die Atemnot gekommen, erzählt Nadja Alzner. Die ganze Zeit habe sie gedacht, "dass ich gegen eine Hand atmen muss". Alzner ist 31 Jahre alt und damit weit davon entfernt, zur Corona-Risikogruppe zu gehören. Als sie am Dienstag im Schloss Bellevue dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier von ihrer Covid-19-Erkrankung erzählt, klingt ihre Schilderung dennoch drastisch. "Ich habe meine Stimme komplett verloren", erzählt sie. Sie habe starke Schluckbeschwerden, nächtliche Schweißausbrüche und Panikattacken erlebt. Und auch heute, rund acht Monate danach, hat sie mit Spätfolgen zu kämpfen. Treppensteigen sei sehr anstrengend, Sport nicht möglich. "Kann ich nicht drüber nachdenken. Schaff' ich nicht", sagt sie.
Alzner ist eine von fünf Covid-19-Genesenen, die an diesem Tag mit Steinmeier über ihre Erkrankung sprechen. Zwei von ihnen sind selbst im Schloss Bellevue, drei sind per Videostream zugeschaltet. Gemein ist ihnen, dass ihnen der Appell, das Virus ernst zu nehmen, ein Anliegen ist. Der Zeitpunkt dürfte vom Bundespräsidialamt wohlbedacht gewählt worden sein. Vor dem Gespräch sagt Steinmeier schwierige Wochen voraus: "Es beginnt gerade ein langer und harter Winter. (...) Wir alle müssen wieder mit schmerzhaften Einschränkungen leben, Disziplin üben und Geduld haben."
Kampf gegen die Corona-Spätfolgen nach 25 Kilogramm Gewichtsverlust
Joachim Huber gehört mit 62 Jahren knapp zur so genannten Risikogruppe. Der Journalist erzählt dem Bundespräsidenten eindrücklich von einem schweren Krankheitsverlauf: Nach seiner Erkrankung Mitte März liegt er fünf Wochen im Koma, hat ein Nierenversagen und am Ende des Komas einen Herzinfarkt. "Mich hat Corona, wenn Sie so wollen, mit nichts verschont", sagt er. Das größte Erschrecken sei gewesen, sich nach dem Koma nicht bewegen zu können. Huber verliert 25 Kilogramm Körpergewicht und hat auch jetzt - rund sieben Monate später - noch schwer mit den Folgen zu kämpfen.
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Zwei Gäste sind jünger als 30. Ihm sei sehr bewusst, sagt Steinmeier, dass man mit einer Fernsehansprache zwar viele Menschen erreiche, allerdings weniger Jüngere. "Deshalb sind Menschen wie Sie, die bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, für Geduld und Disziplin zu werben, ganz besonders wichtig", sagt er.
Zugeschaltet ist etwa der 20-jährige Popmusiker Mike Singer, künftiges Jurymitglied bei "Deutschland sucht den Superstar". Der junge Musiker hatte im Sommer seine Corona-Erkrankung - die mild verlief - öffentlich gemacht und appelliert an seine jungen Fans, die Vorsichtsmaßnahmen ernst zu nehmen. Und er erinnert an Menschen aus dem Kulturbereich wie Bühnenbauer oder Soundtechniker, denen es gerade schlecht gehe und denen geholfen werden müsse.
Oberarzt: "Ich würde alle gern mal einladen auf eine meiner Covid-Stationen"
Unverständnis, teils Wut, herrscht bei allen Beteiligten, als die Rede auf Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen kommt, die teils die Gefährlichkeit des Virus anzweifeln oder gleich seine Existenz leugnen. Heinz-Wilhelm Esser betreut als Oberarzt an einem Klinikum Covid-19-Patienten - und erkrankte selbst. Esser, der auch als "Fernseharzt" aus dem WDR bekannt ist, sagt: "Ich würde alle gern mal einladen auf eine meiner Covid-Stationen." Wer einmal das Sterben der Patienten gesehen habe und in welcher Isolation und Abgeschiedenheit das zum Teil leider stattfinde, dem vergehe die Unterstellung, das alles sei eine große Verschwörung.
Die Demonstration am Samstag in Leipzig wird scharf kritisiert. Steinmeier betont zwar, das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut, sagt aber auch: "Wo einige Zehntausend Menschen die Auflagen missachten, die Regeln verspotten und weder auf Abstand achten noch Masken tragen, da werden Grenzen überschritten."
Joachim Huber sagt, er halte sich für einen liberalen Menschen, sei in der Frage aber radikal geworden. "Ich finde, dass diese Menschen, die zu diesen Demonstrationen gehen, ihre Menschenverachtung genau zeigen. Sie gefährden sich und sie gefährden andere."
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