Pflegekräfte sind in Deutschland aktuell gefragt wie nie, denn es herrscht Personalmangel. Die Lücke dürfte in den kommenden Jahren allerdings noch größer werden. So prognostizieren Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes bis 2049 zwischen 280.000 und 690.000 fehlende Pflegefachkräfte. Gleichzeitig steigt die Zahl pflegebedürftiger Menschen allein schon wegen des demografischen Wandels Jahr für Jahr an.
Aktuell ist der Bedarf riesig und die Regierung tut viel dafür, den Pflegeberuf attraktiver zu machen: etwa mit der neuen Pflege-Ausbildung, dem Pflege-Studium, dem Pflege-Kompetenzgesetz und weiteren Maßnahmen. Trotzdem standen Pflegekräfte während der Corona-Pandemie deutlich mehr im Fokus der Gesellschaft als heute. Dankbarkeit für ihren großen Einsatz wurde etwa in Form von Applaus vom Balkon gezeigt. Aber aufgrund der Corona-Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal, die laut dem Bundestag ab 18. März 2022 galt, wurden manche Pflegekräfte mit einem Tätigkeitsverbot belegt. Sie hatten weder einen Impfnachweis, eine Genesenenbescheinigung noch ein ärztliches Attest darüber, dass eine Impfung nicht möglich ist, vorgelegt.
Deshalb hat eine Pflegehelferin gegen den Landkreis Osnabrück geklagt und hatte damit nun zumindest in Teilen Erfolg. Wie das Verwaltungsgericht Osnabrück (VG Osnabrück) nach der Verhandlung am 3. September 2024 mitteilt, hält es die Impfpflicht in der Corona-Pandemie für nicht verfassungsgemäß. Das Verfahren wird jetzt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe vorgelegt. Es soll sich erneut mit der Frage befassen, ob die Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen ist.
Corona-Impfpflicht in der Pflege: War das Tätigkeitsverbot verfassungswidrig?
Das Verwaltungsgericht Osnabrück ist eigenen Angaben zufolge zu dem Schluss gekommen, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Corona-Impfpflicht nicht möglich sei. Denn die Norm, die inzwischen ausgelaufen ist, verletze das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sowie die Berufsfreiheit.
Das Bundesverfassungsgericht muss sich nun erneut mit dem Gesetz auseinandersetzen. Mit einem Beschluss vom 27. April 2022 hatte es die umstrittene Impfpflicht bereits als rechtens und verfassungsgemäß erklärt. Neu ist dem VG Osnabrück zufolge allerdings, dass nun auch die Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (RKI) vorliegen. Zudem hatte das Gericht den RKI-Präsidenten Lars Schaade als Zeuge in der Verhandlung in Osnabrück vernommen. Er hatte den Corona-Krisenstab 2022 geleitet.
Wichtig ist das, weil die Impfpflicht zum Schutz vulnerabler Gruppen auf Grundlage von Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung sowie den Empfehlungen des RKI eingeführt wurde. Über neue Entwicklungen hätte das RKI das Bundesgesundheitsministerium laut dem VG Osnabrück laufend und von sich aus informieren müssen – sodass die Norm zur Corona-Impfpflicht unter Umständen hätte angepasst werden können. Das sei nicht passiert, sodass der Gesetzgeber „seiner Normbeobachtungspflicht nicht gerecht geworden“ sei, erklärt das VG Osnabrück. In der Folge sei die Impfpflicht für das Gesundheits- und Pflegepersonal „im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen“. Daher sei eine erneute Vorlage beim Bundesverfassungsgericht nötig.
Deutscher Pflegerat: „Impfpflicht war eine Diskriminierung der professionell Pflegenden“
Die Entscheidung aus Osnabrück und die erneute Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht begrüßt auch der Verbund Pflegehilfe. Wie ein Sprecher auf Nachfrage mitteilte, sei die Einführung der Impfpflicht zum damaligen Zeitpunkt in einer Situation großer Unsicherheit, auf Grundlage der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie zum Schutz vulnerabler Gruppen zwar verständlich, jedoch müsse „jede politische Maßnahme stets im Einklang mit den verfassungsmäßigen Grundrechten stehen“. Weiter erklärt der Sprecher: „Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Entscheidung treffen wird, die sowohl den Schutz der öffentlichen Gesundheit als auch die Wahrung individueller Freiheiten berücksichtigt.“
Deutlich klarere Worte findet die Präsidentin des Deutschen Pflegerats: „Die Impfpflicht war eine Diskriminierung der professionell Pflegenden und hat seinerzeit den Eindruck entstehen lassen, dass die Profession Pflege einer der Pandemietreiber sei“, erklärt Christine Vogler auf Nachfrage. Das Gegenteil sei der Fall, denn schon Anfang 2022 hätten die Impfquoten unter Pflegekräften „weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung“ gelegen. Die Corona-Impfpflicht nur für Pflege- und Gesundheitspersonal, nicht aber für die Allgemeinheit sei „ein resignierendes und fatales Zeichen für die Profession Pflege“ gewesen. Für beruflich Pflegende hätten in dieser Zeit nicht die gleichen Freiheitsrechte gegolten, wie für alle anderen, erklärt Vogler und spricht von einer Zweiklassengesellschaft. Sie hält die vom VG Osnabrück veranlasste Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Corona-Impfpflicht daher für richtig.
Da es sich bei der Prüfung der Corona-Impfpflicht um ein laufendes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht handelt, wollte der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) zu diesem Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben, werde aber die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen, wie eine Sprecherin auf Nachfrage mitteilte. Von dem Deutschen Pflegeverband haben wir hinsichtlich dieser Thematik bislang noch keine Rückmeldung erhalten.
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