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Pflege: Wird Pflegegrad 1 abgeschafft? So streitet die Koalition

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Pflege: Wird Pflegegrad 1 abgeschafft? So streitet die Koalition

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    Bei Pflegegrad 1 kann eine Person ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bewältigen.
    Bei Pflegegrad 1 kann eine Person ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bewältigen. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

    Personen, die in ihrer Selbstständigkeit oder ihren Alltagsfähigkeiten eingeschränkt sind, können als pflegebedürftig eingestuft werden und haben die Möglichkeit, einen Pflegeantrag zu stellen. Abhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigung wird ein Pflegegrad zwischen 1 und 5 vergeben, wobei Pflegegrad 1 die leichteste Form darstellt.

    Einem Medienbericht zufolge erwägt die Bundesregierung nun, den Pflegegrad 1 gänzlich abzuschaffen, um die Sozialausgaben zu reduzieren. Die Bild beruft sich dabei auf Aussagen führender Koalitionspolitiker. Die SPD distanzierte sich jedoch umgehend von diesen Plänen.

    Will die Regierung Pflegegrad 1 abschaffen? Was bisher bekannt ist

    Für das Jahr 2026 wird in der gesetzlichen Pflegeversicherung ein Defizit von rund zwei Milliarden Euro erwartet, berichtet unter anderem die Tagesschau. Vor diesem Hintergrund denkt die Bundesregierung offenbar darüber nach, den Pflegegrad 1 vollständig abzuschaffen. Wie die Bild unter Berufung auf übereinstimmende Aussagen führender Politiker von Union und SPD berichtet, gilt die Streichung als eine mögliche Maßnahme zur Stabilisierung der Finanzlage.

    Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums äußerte sich auf Bild-Anfrage nicht dazu, wie konkret die Überlegungen bereits sind, und verwies stattdessen auf die derzeit tagende Kommission zur Pflegereform, die bis Mitte Oktober einen ersten Bericht vorlegen soll. Die Arbeitsgruppe von Bund und Ländern befasse sich umfassend mit allen Einnahmen und Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa): „Dies umfasst unter anderem auch die Pflegegrade und deren Ausrichtung, um weiterhin eine zielgerichtete Versorgung sicherzustellen“, wird eine Sprecherin des Ministeriums zitiert. Ergebnisse könnten nicht vorweggenommen werden, damit die Kommission offen diskutieren könne.

    Nach Angaben der Bild erhoffen sich führende Politiker von Union und SPD durch die Streichung des Pflegegrads 1 eine Entlastung der Pflegeversicherung: Das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung habe das mögliche Einsparvolumen demnach auf rund 1,8 Milliarden Euro jährlich beziffert.

    Kritik an den Plänen: Was sagen Politiker und Sozialverbände?

    Innerhalb der SPD stoßen die Pläne auf deutliche Ablehnung. Fraktionschef Matthias Miersch erklärte im ARD-Fernsehmagazin Bericht aus Berlin, eine Streichung des Pflegegrads 1 komme für seine Partei nicht infrage. Statt Kürzungen brauche es mehr Effizienz im Pflege- und Gesundheitssystem, wodurch sich Milliarden einsparen ließen. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verwies in der Sendung auf die laufende Kommission zur Pflegereform, die konkrete Vorschläge erarbeiten soll. Zugleich betonte er, dass die Beiträge stabil bleiben müssten – die hohen Lohnnebenkosten belasteten die Arbeit in Deutschland bereits jetzt erheblich.

    Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) äußerte sich zurückhaltend zu den Diskussionen. Gegenüber RTL/ntv betonte die CDU-Politikerin laut dpa: „Wir werden den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen.“ Gleichzeitig schloss sie aber auch nicht aus, dass der Pflegegrad 1 tatsächlich abgeschafft wird. Das Pflegesystem bezeichnete Warken als „große Errungenschaft“, machte jedoch deutlich, dass Reformen notwendig seien, um die Unterstützung auch künftig im gewohnten Umfang sicherzustellen und das System generationengerecht weiterzuentwickeln.

    Aus der Opposition und von Sozialverbänden kommt deutliche Kritik an den Plänen. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warnte im Spiegel, die Pflege dürfe nicht als „Sparschwein verkorkster Haushaltspolitik“ missbraucht werden. Das Defizit in der Pflegekasse sei während der Pandemie durch staatliche Eingriffe selbst verursacht worden. „Wer jetzt bei Pflegebedürftigen spart, greift in ihre Taschen – statt das geborgte Geld zurückzugeben und endlich die versprochene große Pflegereform vorzulegen“, so Dahmen. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann verlangte nach Angaben der dpa, die Bundesregierung solle auf Kürzungen an sensiblen Stellen verzichten und stattdessen versicherungsfremde Leistungen aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Zudem müssten die rund sechs Milliarden Euro an Corona-Mehrkosten wieder in die Pflegekassen zurückgeführt werden. Nach Informationen des Spitzenverbandes der Krankenkassen hatte die Pflegeversicherung während der Pandemie Milliardenbeträge zusätzlich aufbringen müssen – unter anderem für Tests und Sonderzahlungen an das Personal, informiert die dpa.

    Der Paritätische Wohlfahrtsverband äußerte sich besorgt und sprach von einem fatalen Signal: Betroffen wären nicht nur Menschen mit geringen Einschränkungen, sondern ebenso ihre Angehörigen, die den Großteil der Pflege leisten. „Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt“, betonte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe, wie die dpa berichtet.

    Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sprach sich laut dpa ebenfalls deutlich gegen eine mögliche Streichung des Pflegegrads 1 aus. Dieser sei ursprünglich geschaffen worden, um auch Menschen mit Demenzerkrankungen in die Pflegeversicherung einzubeziehen. „Wenn die Bundesregierung diesen Pflegegrad abschaffen will, wäre das ein schwerer Schlag für die Betroffenen“, warnte Brysch. Vom Sozialverband Deutschland hieß es laut dpa, Vorschläge wie dieser verunsicherten Millionen Pflegebedürftige.

    Wie konkret die Überlegungen zur Streichung des Pflegegrads 1 sind, ist aktuell also offen – und nach den Äußerungen aus der SPD erscheint es unwahrscheinlich, dass sie weiter vertieft werden, resümiert die dpa.

    Was bedeutet Pflegegrad 1 – und wer bekommt ihn?

    2017 sind im Zuge der Pflegereform die Pflegegrade 1 bis 5 eingeführt worden, die die vorherigen drei Pflegestufen ersetzt haben, informiert das Pflegeportal pflege.de. Die Pflegegrade sollten eine genauere Einschätzung der Bedürftigkeit ermöglichen, informiert die dpa. Welcher Pflegegrad vorliegt, beurteilt in der Regel der Medizinische Dienst (MD) im Auftrag der Pflegeversicherung, informiert gesund.bund.de, ein Portal des Bundesgesundheitsministeriums. Dazu werden über einen Fragenkatalog verschiedene Lebensbereiche beleuchtet und die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit anhand eines Punktesystems festgestellt.

    Der Pflegegrad 1 beschreibt demnach eine geringe Pflegebedürftigkeit: Die Person kann noch weitgehend selbstständig den Alltag bewältigen. Pflegeleistungen sollen dabei unterstützen, die Selbstständigkeit in den relevanten Lebensbereichen zu erhalten oder wiederzuerlangen und zu verhindern, dass sich die Pflegebedürftigkeit erhöht.

    Laut dpa werden seit der Einführung des Pflegegrads 1 auch Beeinträchtigungen von Wahrnehmung und Erinnerung, etwa bei Demenz, und Probleme in der Alltagsbewältigung besser berücksichtigt. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) werden auch Menschen mit geringen körperlichen Beeinträchtigungen, etwa aufgrund von Wirbelsäulen- oder Gelenkerkrankungen, häufig unter Pflegegrad 1 eingestuft. Zudem habe die Einführung des Pflegegrads 1 dem Ministerium zufolge den Kreis der Leistungsberechtigten deutlich erweitert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben rund 13,8 Prozent aller Pflegebedürftigen den Pflegegrad 1.

    Welche Leistungen würden bei Streichung des Pflegegrads 1 wegfallen?

    Die möglichen Auswirkungen einer Streichung betreffen eine große Zahl von Menschen: Laut Zahlen des BMG hatten Ende 2024 rund 4,8 Millionen Menschen einen Pflegegrad, davon 861.000 den Pflegegrad 1. Da sie im Vergleich zu Pflegebedürftigen mit höheren Pflegegraden mehr Selbstständigkeit bewahren und weniger Unterstützung benötigen, steht ihnen nach Angaben des BMG lediglich ein eingeschränkter Leistungsumfang der Pflegeversicherung zu. Für diese Gruppe übernimmt die Pflegeversicherung laut dpa weder ambulante Pflegedienste noch Pflegegeld – diese Leistungen sind den Pflegegraden 2 bis 5 vorbehalten.

    Anspruch besteht laut dpa jedoch auf finanzielle Zuschüsse für barrierefreie Umbauten, etwa für den Einbau einer barrierefreien Dusche, oder für Pflegehilfsmittel wie Betteinlagen. Darüber hinaus erhalten Betroffene einen monatlichen Entlastungsbetrag von bis zu 131 Euro, der beispielsweise für Unterstützung durch einen Pflegedienst beim Duschen, Einkaufen oder Wäschewaschen genutzt werden kann. Pflegende Angehörige von Menschen mit Pflegegrad 1 können kostenfreie Pflegekurse in Anspruch nehmen.

    Die möglichen Leistungen beim Pflegegrad 1 laut gesund.bund.de im Überblick:

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