Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dank des gigantischen Arbeitsmarktes in Indien zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Während dort jährlich viele Millionen Arbeitskräfte neu hinzukommen, gehen die Zahlen in Deutschland immer mehr zurück. Das Bundeskabinett hat als Reaktion darauf vor wenigen Tagen eine eigene „Fachkräftestrategie Indien“ beschlossen. Heil ist mit Kanzler Olaf Scholz nach Neu-Delhi gereist, um sie dort vorzustellen. Der SPD-Politiker trotzt Hitze und Smog, er absolviert ein paar Ortstermine und wirbt auch im Rahmen der Asien-Pazifik-Konferenz für das Projekt.
Regierung spricht von Millionen Arbeitern – doch es geht vor allem um eine Gruppe
In der Praxis zielt die Strategie darauf ab, die Einwanderung von indischer Seite zu erleichtern, indem Visa-Anträge schneller bearbeitet werden. Das kommt insbesondere Akademikern, IT-Spezialisten und Studenten zugute, die im Vergleich zu Berufsausgebildeten ohnehin auf weniger Hürden stoßen. Der Grund ist die leichtere Vergleichbarkeit von Abschlüssen: Ein Bachelorstudiengang in Informatik beispielsweise, der ohnehin häufig auf Englisch unterrichtet wird, lässt sich leichter anerkennen als eine Physiotherapeuten-Ausbildung oder ein Facharztzertifikat. Wie bürokratische Hürden hierzulande abgebaut werden sollen, wird in der neuen Strategie, abgesehen von Vereinfachungen im Pflegebereich, kaum vermittelt.
Der große Wunsch ist es, mehr Fachkräfte im mittleren Bereich zu gewinnen
Wido Geis-Thöne, Volkswirt und Experte für Familienpolitik und Migrationsfragen bei IW-Köln
Für das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist damit ein großes Problem nicht gelöst. Volkswirt Wido Geis-Thöne betont: „Berufe wie Softwareentwickler und Ingenieure sind wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Firmen – das ist definitiv gut.“ Allerdings seien Anerkennungsverfahren, gerade in reglementierten Berufen, äußerst komplex und zögen einen langen Rattenschwanz nach sich. „Der große Wunsch ist es, mehr Fachkräfte im mittleren Bereich zu gewinnen“, sagt der IW-Fachmann für Familienpolitik und Migrationsfragen.
Fachkraft heißt nicht autmatisch Fachkraft im klassichen Sinne
Heil zufolge hat sich die Zahl indischer Fachkräfte seit 2021 verdoppelt. Bei genauer Betrachtung profitiert allerdings vor allem eine kleine Gruppe: Laut einem kürzlich erschienenen Regierungsbericht hat der überwiegende Teil der indischen Beschäftigten einen Hochschulabschluss und ist im IT- oder Technikbereich tätig. Das spiegele sich in einem durchschnittlichen Bruttogehalt von 5.400 Euro wider.
Inderinnen und Inder sind in IT- und Ingenieurfächern herausragend
Dieser Trend dürfte sich fortsetzen: 80 Prozent der indischen Studierenden belegen Masterstudiengänge, die große Mehrheit davon in den Ingenieur-, Mathematik- und Naturwissenschaften. Insgesamt stellen indische Studierende die größte Gruppe unter allen ausländischen Studenten in Deutschland dar, wie Daten des Bildungsministeriums belegen.
Heil kündigte nun Verbesserungen und mehr digitale Lösungen bei den Visa-Antragsverfahren an. Ein Blick auf den inzwischen digitalen Anmeldeservice „Vfs Global“ zeigt: Die Wartezeiten für Terminanfragen bei einer Botschaft oder ihren Zweigstellen für Arbeitsvisa liegen tatsächlich bei wenigen Tagen bis Wochen. Nach Informationen des Nachrichtenportals „Table Media“ wurden 2023 in Indien rund 9.500 Fachkräfte-Visa ausgestellt; dies wolle man jährlich um 25 Prozent steigern.
Die Bundesregierung plant außerdem, vermehrt Deutschkurse anzubieten. Doch wie genau das finanziert werden soll, bleibt unklar. IW-Experte Geis-Thöne bemängelt: „Es wurden keine konkreten Maßnahmen zur Finanzierung genannt.“ Insgesamt handele es sich „in weiten Teilen um die die Zusammenfassung bereits bestehender Maßnahmen.“
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